Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 195.
4]
Hanna.
Donnerstag, den 5. Oktober.
( Nachdruck verboten.)
1899
kehrte die gleiche Frage wieder: Kümmerte sie ihn wirklich so viel?
Er kehrte ganz um, machte eine abwehrende Bewegung mit dem Kopfe, als ziehe er einen Strich durch die Antwort und versuchte an etwas anderes zu denken. Bald darauf saẞ er oben in seinem Zimmer und sah über die Wiese nach dem Birkenwäldchen. In Gedanken sah er sie wie oftmals zuvor, wenn er hier oben saß und durch das Fenster blickte, ohne nach etwas Bestimmtem zu sehen. Sie bat nicht um Nachsicht, auch nicht um Glück. Wie war dies zu erklären? Sie war doch ein Mensch! Wie konnte sie aussehen, wenn sie mit dem Dienstmädchen zusammen war, wenn sie glaubte, mit diesem allein zu sein, über alltägliche Dinge sprach? Wie lachte sie? Lachte sie überhaupt? Wie hatten ihre Augen geleuchtet und über den Tisch gelacht, beim Weine und den Gläsern, nach ihm, dem Geliebten?... Konnten sie frech, einladend gewesen sein? Hatte sie ihren Verführer geliebt? Vielleicht... Aber dann? Er beugte sich schnell zum Fenster. Ging da Nur der Hofjunge!
Er erhob sich plötzlich und ging ans Fenster. Dann irrte er durch das Zimmer und setzte sich wieder in die Sofaecke. Sah sie aus Kummer über die Vergangenheit so aus? Wenn diese Frau sie nur nicht immer daran erinnerte, was sie gewesen war! Sie predigte natürlich immer. Und wie der Vogt und die Frau sich gegen sie benahmen, wenn er anwesend war! Sie trieben es so lächerlich weit, sie ihm nicht vorstellen zu wollen. Sie war natürlich von der Frau verwarnt worden, sich mit ihm einzulassen, mit dem fremden Herrn, der vielleicht ein schrecklicher Mann war! Sie fühlte wohl immerzu die Augen der Frau auf sich. Sie nicht jemand? lebte unter einem steten Druck; aber sie hielt dieses Leben aus, weil sie nicht wie früher leben wollte. Daß sie nicht fortlief, daß sie nicht schlecht wurde, wenn man sie so peinigte, das war vielleicht der beste Beweis, wie ehrlich ihr Streben war. Er sah sie wieder bleich, blauäugig, mager. Die Schultern etwas spitz unter dem Kleide, und im Nacken sammelten sich eine Menge blonder Haare, fast zu viel für sie, die so klein und schmächtig war.
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Er sah sie selten, außer bei Tische im Speisezimmer. Sie ging hinein und heraus mit Essen und Tischzeug, still, als bäte sie darum, nicht bemerkt zu werden, und sie gab sich die größtmögliche Mühe. Sie ging schneller zum Zimmer hinaus, als herein. Es erleichterte sie sicher, herauszutommen.
Er lief im Zimmer auf und ab.
Ein ganzes Jahr, ein ganzes Jahr ging sie hier so herum!
Er wurde blutrot im Gesicht und lachte leise und schmerzlich. Er hob eine geballte Hand, als wollte er nach jemand schlagen; aber gleichzeitig bemerkte er die Bewegung und steckte die Hand in die Tasche. Wieder frug er sich: Kümmert sie dich wirklich so sehr?"
Er ging hinaus. Die Hochsommernacht war hell und der Wind schwach, nur ein Saufen in den Bäumen, ein langes Saufen, das nicht stieg und nicht sank. Als er furze Zeit umhergeirrt war, blieb er stehen; er wollte nicht an ihrem Fenster vorübergehen, es war lächerlich... er war sentiZuweilen empörte es ihn, sie jeden Tag so zu sehen. Es mental. Er wußte ja, sie saß am Fenster und las, und sie war zu thöricht, daß es nicht anders werden konnte. Konnten hatte ihn des Abends zuvor vorbeigehen sehen. ihr der Vogt oder die Frau nicht wieder Selbstvertrauen Er machte einen Spaziergang; aber auf dem Rückwege geben, Stolz, Mut, den Leuten in die Augen zu sehen!... ging er dennoch an ihrem Fenster vorbei. Sie war nicht da. Er empfand wie jemand, der einen anderen von einem Es war spät geworden. Er zog die Uhr heraus und blickte Unglück befreien will; aber er kann sich nicht von der Stelle darauf: halb eins. rühren. Er muß zusehen, daß das Unglück geschieht.
An einem Hochsommer- Abend hatte er einen Spaziergang gemacht. Als er zurückkehrte, ging er über einen Fußpfad, der von der Landstraße durch das Birkenwäldchen zum Vogthofe führte. Es war zwischen zehn und elf Uhr.
Sofort, nachdem er den Pfad betreten hatte, sah er furze Strecke Weges vor sich Hanna. Er schritt aus. mußte zum wenigsten dulden, daß er mit ihr sprach. mußte jedenfalls lernen, es zu ertragen.
eine Sie Sie
Sie hörte seinen Schritt nicht, ehe er ganz nahe war. Da wandte sie schnell den Kopf und blieb plötzlich stehen. ,, Guten Abend."
,, Guten Abend."
" Sie gehen nach Hause?" Nein."
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,, Nicht? Sie sind jedenfalls auf dem Heimwege?" Sie antwortete nicht. Stand nur und blickte nach der entgegengesetzten Richtung. Es schien ihm, als läge jezt etwas Troziges in ihr.
Sie wollen nicht in meiner Begleitung auf den Hof kommen?"
Er bereute seine Frage, ehe er sie ganz ausgesprochen hatte. Nach einer kurzen Pause sagte er:
" Ich kann ja wieder hinübergehen... Sagen Sie, glauben Sie eigentlich, daß ich Ihnen etwas Böses zufügen will?"
Sie antwortete nicht. Stand wie zuvor. Er dachte die ganze Zeit daran, daß er ein Unrecht an ihr begehe; aber er wollte, mußte es dennoch sagen.
,, Hanna, ich wünsche innigst, daß Sie wirklich gut über mich denken, ehe ich den Hof verlasse."
Sie blieb einen Augenblick stehen, und es war ganz still. Da machte er völlig Kehrt und ging abwärts. Dort, wo der Pfad sich krümmte, blickte er zurück; aber sie war verschwunden. Es wurde ihm so warm und er atmete tief.
Hatte er eigentlich nicht zu viel gesagt? etwa naiv? Kümmerte sie ihm wirklich so viel?
War er nicht Und bald
Dann ging er hinauf und legte sich schlafen. Holthe machte für den Vogt oft Geschäftsreisen. Das alte Ehepaar wurde zuweilen zu ehrbar und langweilig. Es bildete für ihn eine Zerstreuung, hinaus zu kommen und auszulüften. Aber, wenn er einige Tage fort war, sehnte er sich dennoch nach Hause. Stundenlang konnte er in der Postfutsche siten und nur an die Rückkunft denken. Würde sie jetzt anders mit ihm sein, als früher? Sollte er ihre Verschlossenheit nie überwinden? Sollte er ihr nie näher treten? Die Frau des Vogtes war einfach unerträglich!
An einem sonnenwarmen Julinachmittag fuhr er nach mehrtägiger Reise in den Hof ein.
Sowie er gegessen hatte, ging er in die Gartenlaube, um auszuruhen. Sie lag im Schatten der Häuser. Die Sonne erreichte sie erst spät am Nachmittage. Er dachte nach, wo Hanna sein mochte. Er hatte sie noch nicht gesehen, und er hatte das Mädchen, das ihn bei Tische bediente, nicht fragen wollen.
Er mochte eine Stunde gesessen und etwas geschlummert haben. Da hörte er die Frauen und Hanna in der Nähe. Sie sprachen zusammen, während die Gartenschere klapperte, flapperte, flapperte. Er kannte diese Gartenschere. Hatte fie früher von der Frau brauchen gehört. Einmal ganz unter feinen Fenstern.
Oh, daß sie des schrecklichen Geräusches nicht müde wurde. Nein, es schien sie zu erhitzen, sie raste weiter. Sie mußte ordentlich verliebt in diese Arbeit sein. Er erhob sich und wollte flüchten. Das kann wohl sein. Wir dürfen über niemand schlecht denken, wenn wir keinen Grund haben. Aber wir können zurückhaltend sein, so lange wir keine Garantie haben, wer er ist. Bei einer solchen Verschlossenheit wird man nicht flug aus ihm."
Die Frau blieb stehen, und die Schere flapperte, flapperte, Klapperte. Wenn sie bloß durch das Fenster sehen sollte!... Würde Hanna nicht antworten?... Was that sie eigentlich hier?... Wenn er sie nur jetzt sehen könnte!