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blauer Simmel beschienen hier das Leben. Der helle Tag eines nebligen Tages violett gefärbte Landstraße aus; nur die war ein Sommerbote. Das empfanden alle. Deshalb waren dünnen Bäume richtefen fich wie trodene Gerten in der Landschaft die Leute geschäftigen und helleren Sinnes als in den langen, auf; nichts verriet die Anwesenheit eines Menschen, nirgend ließ sich ein Tier sehen. finsteren Wintertagen. Holthe empfand nichts. Er flammerte sich an einen Ge­

danken.

Es war nicht natürlich, daß ihre Wohlthäter, die durchaus religiöse Menschen waren, es unterlassen hatten, ihm von diesem Kind zu erzählen. Der Hardesvogt war sogar so weit gegangen, ihn zu bitten, er möge sich bedenken und Zeit nehmen, ehe er sie heirate. Sie sei gewiß ein braver Mensch, durchaus gut und brav, aber sie habe viel zu lernen, ehe sie seine Frau werden könne. Sie hatten sogar zu ihr etwas Aehnliches hinter seinem Rücken gesagt; aber sie hatten ihr Kind nicht erwähnt. Wie diese Menschen dachten und handelten, wäre es am natürlichsten gewesen, daß sie ihm von Sem Rinde erzählt oder dafür gesorgt hätten, daß sie es that. Aber sie schwiegen, weil sie nichts wußten.... Daß er dieses Schweigen jemals hatte anders auffassen können! Daß er so blind hatte sein können! Nun sollte es ihm erst klar

werden!

Neben der Frau saß ein Bauer, der sich in die Falten eines Siden Mantels gewidelt hatte. Die Müge mit den Ohrenklappen war tief in die Stirn gezogen, er faute an dem schwarzen Rohr einer kurzen Pfeife, aus der er in regelmäßigen Stößen dicke Rauch­wollen blies, die sogleich in der eisigen Luft verschwanden. ernster, bedächtiger Miene nahm er die Pfeife aus dem Mundwinkel und fragte- seine Stimme flang näselnd und er sprach langsam-: Ist Euch falt, Mutter Martin?"

Mit

und von ihren blaffen Lippen kam es, während ihre zahnlosen Kiefer Die Alte drehte langsam den Kopf, ihren alten, wadligen Kopf, und von ihren blassen Lippen kam es, während ihre zahnlosen Kiefer vor Kälte zusammenschlugen:

Nein, es geht, Antoine; es geht!"

Nur von Zeit zu Zeit erhob sich eine Klage aus der schmalen Brust der Alten, eintönig herzzerreißend: Mein Gott, mein Gott!"

Sie war tief traurig, die Mutter Martin; und doch blickte sie noch immer mit derselben refignierten Miene in die Ferne. über die müde alte Frau dahingezogen. Zuerst hatte sie ihre Eltern In den siebzig Jahren ihres Lebens war viel Unglück und Trauer sterben sehen, dann hatte sie ihre Tochter, ihr einziges Kind, ver­Er blieb stehen und blickte eine Weile vor sich hin. Der foren, als diese einem Knaben das Leben schenkte. Auf dieses Kind, Born stieg in ihm auf, der Zorn, daß er diesen verzweifelten das Alcide genannt wurde, hatte sich die ganze Liebe der Groß­Gedanken nachgegeben hatte... Herr... ihre Wohlthäter mutter übertragen. Dann war die Reihe an ihren Mann gekommen, brauchten ja aus dem einfachen Grunde nichts von dem Kinde der eines Tages unter die Räder eines Wagens gefallen war; die zu wissen, weil es tot war, lange, ehe sich jemand ihrer an Ermüdung hatte ihn bei der Rückkehr von einem langen Wege ein genommen, ehe sie zu der religiösen Danie gekommen. Hanna geschläfert, und die Räder waren ihm über den Leib gegangen.... hatte geschwiegen, weil das Kind tot war. Konnte er wirth, wie genau erinnerte sie sich noch in dieser Minute an den Augenblick, da man ihn auf einer Tragbahre mit eingedrückter lich glauben, daß sie geschwiegen, weil sie ein Verbrechen Brust ins Haus brachte; nur die Augen konnten noch sprechen, und gegen ihr eigenes Kind begangen hatte!...

Er war dem Weinen nahe, daß er so wahnsinnig sein fonntend

Er kam sich so gemein, so verächtlich vor, daß er sich selbst hätte züchtigen mögen. Aber dennoch empfand er jetzt in der Raferei halbklar, daß er mit ihrer Vergangenheit, mit ihrem Kinde nicht fertig war. Und es vermehrte nur seinen Kummer und feine Erbitterung. Er wußte, daß er umher Laufen und feine Ehe durchdenken, nach kleinen Beweisen gegen sie suchen würde, ob er wollte oder nicht.

Hatte er denn länger keine Macht über seinen eigenen Willen? Sollte er nicht aufrecht stehen können? Er war acht Jahre hindurch glücklich mit ihr gewesen. Es war sein Stolz gewesen, daß er über ihre Vergangenheit hatte springen können. Und jetzt benahm er sich so! Onein, darin lag

fein Sinn.

Er trieb sich ziellos umher, ohne das Leben zu sehen oder zu hören. Er wurde ruhiger; aber er entpfand die dumpfe Angst, daß er mit diesem Kinde noch nicht fertig war. In der Nähe rief ein Fischer einen saftigen Witz in die Menge hinein. Die Dienstmädchen lachten laut, und Holthe drehte sich einen Augenblick um und sah auf diese geschäftigen Menschen, die durch Kaufen und Verkaufen und Bagatellen so erfüllt waren.... Erst gestern zu dieser Tageszeit- war er auch ein gleichmäßiger, glücklicher Mensch gewesen. Konnte es nicht möglich sein, daß er selbst Schuld an diesen Leiden trug? Es konnte frankhaft sein, eine fire Idee.. Nein!

Er machte Kehrt und ging müde auf und ab. Er war durch die gewaltigen Gemütsbewegungen zu ermattet, um noch mehr grübeln zu können. Er war traurig und bereute, was er wiederum gethan hatte, seine Stimmung war weich. Er wollte zu ihr hinaufgehen, um wieder froh zu werden. Sie würde ihn ruhig und mild ansehen, und dann schwanden alle häßlichen Grübeleien.

Hanna war zu Hjelms hinaufgefahren. ( Fortsegung folgt.)

( Nachdruck verboten.)

Armer Kleiner.

Von Henri de Weindel. Deutsch von Wilhelm Thal Bis Monplonne, in dem engen Kessel des betaldeten Thales, hatte sich der scharfe Wind nur wenig fühlbar gemacht; war man aber an dem Dorfe vorüber und hatte die Anhöhe passiert, so wehte der Nordwind, und es prickelte wie von einem Regen spizer Nadeln auf der Haut.

In einem Winkel des wackligen Wagens zusammengetauert jaß die alte Frau; sie war in einen alten ausgeblaßten Shawl getvidelt, mit wirren Blicken und vom Weinen geröteten Augen sah sie traurig auf die Landschaft, die durch die Schneefruste noch düsterer und trauriger erschien.

Kalt und einförmig dehnte sich die gerade, von dem fahlen Licht

ste redeten eine so schmerzliche Sprache..

Ach, wie lange hatte sie darüber geweint! Einen Augenblick glaubte sie, auch sie müsse unterliegen und ihrem guten Maine   ins Grab nachfolgen. Aber der Tod hatte nichts von ihr wissen wollen.

Allmählich linderte sich ihr Schmerz, blieb ihr doch noch ihr Kleiner", ihr Entel, den sie erziehen mußte, da sein Vater, ein roher Trunkenbold, ihn fortwährend schlug; sie hatte ihn zu fich genommen, um ihn der schlechten Behandlung zu entziehen... Ach, wie fern Tag das alles!

Nun hatte die Mutter Martin alle ihre Liebe auf Alcide über­tragen; er war ihr ein Ersatz für die alle, der Tod ihr geraubt. Diesen wenigstens wollte sie dem furchtbaren Sensenmann streitig machen! Sie wollte so lange und so eifrig über ihn wachen, daß der graufame Würger ihn nicht in seine Arme nehmen konnte; so schwach auch ihre Hände waren, es sollte ihm doch nicht möglich sein, ihn ihr zu entreißent.

Aber die Zeit ging vorüber, und es kam der Tag, da die un­glückliche Alte gezwungen wurde, ihren Jungen zum letztenmal zu umarment. Man forderte ihn auf vier Jahre zum Militär­dienst ein. Wieder flossen die Thränen in heißen Strömen; vielleicht waren es sogar die bittersten, die sie je vergoffen. Glück­licherweise schickte man ihn nicht allzu weit fort; Alcide kam nach Bar- le- Duc   zu den berittenen Chasseurs.

Ein Jahr verging.

II.

Zuerst verlief alles nach Wunsch, und die Mutter Martin, die

überglücklich war, wenn sie ihren Enkel umarmen durfte, begann die Einsamkeit in Geduld zu ertragen. Da erhielt sie plötzlich die trockene und unbarmherzige Nachricht, es stände mit dem Alcide Martin, Matrikelnummer 375, infolge eines Hufschlages, den ihm ein Pferd mitten in die Brust versetzt, sehr schlimm.

Auf der Stelle hatte sie zu ihm reisen wollen, doch das allzu schlechte Wetter hinderte sie daran; erst am nächsten Morgen konnte fie der Vater Antoine, ein gefälliger Nachbar, hinfahren.

Von Minute zu Minute wurde sie trauriger. Wennt der Kleine mun nicht mit dem Leben davonfam?... Ja, ja, so ähnlich stand es in dem Brief... Ein Hufschlag... mit Alcide stand es sehr schlimm... Aber nein, das war ja nicht möglich. Er würde sich schon wieder aufrappeln. sonst mußte man ja an allem ver zweifeln... Alcide sterben? Er war ja noch so jung, und so kräftig. Trotzdem wurde der dunkle Nand um ihre Augen immer größer, und eine tiefe Falte grub sich in das pergamentartige Gee ficht des siebzigjährigen Weibes.

...

Der Wagen war weiter gefahren, an dem Gehölz von Bar war man vorübergekommen; schon näherte man sich den Gärten der Stadt.

Dem Ziele nahe, richtete sich die Mutter Martin, wie von einer Feder geschnellt, auf, sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte den alten Bauern in ziemlich festem Tone: Sind wir bald da?"

"

" Ja, Mutter."

Wieder sant sie nach diesen wenigen Worten in fich zu sammen.

Als der Wagen an der Kaserne angelangt war, ließ der Vater Antoine die Pferde halten. Sogleich stieg er ab und half der Alten, deren steife Beine den Dienst versagteit.