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auch Bianca die Thür wieder ins Schloß, denn in dem flüchtigen Augenblick war ihr zweierlei flar geworden: daß die junge Frau wirklich ihre Freundin war, und auch, daß sie sehr elend und ärmlich aussah. Und so eilte sie den auf beiden Seiten von einer hohen Hecke eingefaßten Gartenweg entlang, in den Elise von der Seitenthür kommen mußte. In wenigen Augenblicken standen sie einander gegenüber.
,, Elise, Elise, kennst Du mich denn nicht wieder? Bin ich denn so alt geworden? Erkennst Du wirklich Deine kleine Bianca nicht wieder?"
Es lag soviel warme ursprüngliche Herzlichkeit in den Worten, soviel bezwingende Anmut im Ausdruck, daß die Angeredete es nicht über sich gewann, in ihrer strengen Starrheit zu beharren. Sie wollte kühl und unnahbar bleiben, aber gegen diese treuen blauen Augen, die sie mit fast kindlicher Zärtlichkeit ansahen, war sie nicht gewaffnet.
"
Du erinnerst Dich meiner noch?" antwortete sie mit Teifer, fast feierlicher Stimme.
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" Freilich! Ich habe so oft an Dich gedacht. Als Du damals nach Piemont zurückgingst war ich daran schuld oder Du? ich weiß es wirklich nicht, wer zuerst zu schreiben aufhörte. Mich hat's immer getränkt...
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Du warst schuld, wenn unser Briefwechsel einschlief. Nachdem Du mir Deine Verheiratung angezeigt hattest, blieb mein Glückwunschschreiben und noch ein anderer Brief unbeantwortet."
"
So? wirklich? Nun, zu verwundern ist es nicht; Du weißt ja, wenn man jung verheiratet ist, wie es geht. und noch dazu, ein Mensch wie ich, immer auf dem Lande gewesen, an das einförmige Leben gewöhnt und dann so plötzlich in diesen Strudel gerissen... ich war immer wie
im Traum."
,, und deshalb schriebst Du nie?..."
frohen Seele und den jungen geschmeidigen Gliedern früh in das harte Joch der Arbeit und der täglichen Pflichten gespannt. Das öfterbottnische heiße Blut brannte in ihren Adern, empor mußte Zuerst war sie Hühnermädchen, sie schwang sich aber schnell empor. fie. Sie lernte mancherlei, obwohl das, was sie lernte, nicht in Büchern stand- Buchgelehrsamkeit war nur für die Probsttinder. Sonderlich hochgeachtet wurden ihre Kenntnisse nicht, auch bekam fie nicht viel Lohn für ihre Einsicht. Aber sie wurde allmählich unentbehrlich im Probsthof. Wenn sie einmal eine Woche Urlaub bes fam, war es ganz merkwürdig, wie ihre Arbeit versäumt wurde. Der Probst ging umher und war mit allem drinnen und die kränkliche Probstin erlag der Last draußen unzufrieden,
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des Haushalts, und die Jugend fand alles fehlerhaft. Aber kaum war Marie zurückgekehrt, so verschwand alles Unbehagen, wie der Nebel in einem Augenblick zerreißt, wenn der frische Morgenwind daherbläst. Alles ging wieder von selbst. Niemand dachte daran, woher das kam, denn alles war, wie es sein sollte.
Unter all dieser Arbeit war das anfängliche Hühnermädchen, das klein, dünn und blaß von dem Hunger des Notjahres gewesen war, herangewachsen, groß und schlank, kräftig und rotwangig geworden mit leuchtendem, geträufeltem, blondem( Haar trotz des Kämmens mit Wasser, und trotz aller Proteste der Frommgesinnten in der Gemeinde, die„ Probstens Marie" als ein„ Satanswerk" bezeichneten, erschaffen, die Augen der Männer zu verlocken.
Marie selbst dachte niemals an all die Arbeitsmühe, merkte niemals, wie viel Stunden des Tages im Probsthof für sie sich in Arbeitsstunden verwandelten. Schnell und flint ging ihr alles von der Hand, was sie machte; sie wußte von allem in und außer dem Hause Bescheid. Und Kräfte hatte sie, daß sie eines Knechts Arbeit auf dem Acker und der Wiese während eines langen, heißen Sommertages hätte ausführen können. Das thun übrigens viele Frauen in Oesterbotten.
Gesundheit. Sie war die Lustigste bei allen Festen, die Gefeiertste Marie war so jung, frisch und froh infolge all' ihrer Kraft und bei allen Tänzen und sang am Sonntagabend auf der Schaukel, daß
es im Walde widerhallte.
Daß ein solches Mädchen Freier hatte, versteht sich von selbst. Elise gestand nicht ein, daß sie damals und auch später Man sagt, daß mehr als ein Hofbefizerssohn zu Marie etwas ganz anderes geargwöhnt hatte. Hatten sich nicht einige auf Freiersfüßen fam; aber es heißt auch, daß alle gingen, wie sie von denen, die sie zu ihren besten Freunden gerechnet tamen. Dann plöglich verlobte sich dieses hübsche, flotte Mädchen hatte, von ihr abgewendet, seit sie Dejehannis geheiratet hatte? mit einem fleinen, häßlichen, unbedeutenden Kerl!" Wie und wo " Deshalb", fagte Bianta einfach, aber gefragt habe ich sie sich kennen gelernt hatten, wußte niemand. Er war nicht aus immer nach Dir, und so hörte ich auch von Deiner Ver- der Gemeinde gebürtig, sondern von irgendwo weit her, aber niemand wußte, wann und woher er gekommen. Man meinte, Heiratung", fügte sie lebhafter hinzu, eine so poetische Heirat, es müsie mit ihm eine besondere Bewandtnis haben, denn ein wahrer Roman!" dem gesunden Bauernverstand ist alles Fremde verdächtig. einen ſay, faſt jungenhaft aus, hatte Er sah stillen Blick und langsame, ungeschickte Bewegungen, außer wenn er in Zorn ge riet. Hatte er ein oder zwei Gläser getrunken, war er wie toll und griff gleich nach dem Messer. Dieses scharfgeschliffene PuukkoMesser" führte er mit unvergleichlicher Geschicklichkeit, ob es galt zu stechen oder Holz zu schnitzen denn von Beruf war er Holzschneider. Solche Holzschneide- und Schnitzarbeiten, wie die feinigen, hatte man im Dorfe noch nie gesehen. Der Schrein, den er Marie als Verlobungsgabe verehrte, war unübertrefflich.
,, Ach ja! das ist sehr, sehr lange her", sagte die andere trocken.
( Fortsetzung folgt.)
Glück.
( Nachdruck verboten).
Von Helene Westermard. Deutsch von Ernst Brausewetter . Niemand konnte es glauben, weil man es nicht sah. Aber oft find die verborgensten Kräfte die stärksten.
Es verhielt sich nämlich mit Marie so, daß sie die treibende Kraft im Probsthause war, einer dieser starken, wenn auch unsichtbaren Räder, die niemals stehen bleiben dürfen, weil dann die ganze Maschinerie im selben Augenblid stehen bleiben würde.
Der Probst selbst war alt und hatte sich übrigens niemals um Hofwirtschaft gekümmert, die Probstin war fränklich und stets mit ihrer Krankheit beschäftigt, und ihre Kinder waren alle aus dem Nest geflogen, entweder verheiratet und hatten ihr eigenes Heim gegründet oder sie studierten, Söhne wie Töchter." Die Familie gehörte noch zu den alten gelehrten Pfarrer- und Professorenfamilien, die die Bücher über das Geld stellten," pflegte der Probst mit Stolz zu fagen, wenn auch den Worten ein kleiner Seufzer folgte, so oft er auf dem Postamt all die rekommandierten Briefe an seine männlichen und weiblichen Studenten in Helsingfors cinlieferte.
Marie war im Probsthof aufgewachsen. Während des Notjahrs"*) tam sie oben von Oesterbotten mit den bleichen, verfommenen Scharen, die südwärts zogen, um Brot zu suchen. Ausgehungert, bebend vor Krankheit und Kälte, waren ihre Eltern hingestürzt, als sie die Schwelle des Probsthofes überschritten hatten, um niemals mehr aufzustehen. Aber Marie wurde am Leben er halten und blieb auf dem Probsthof. Wo sollte sie auch hin, da sie nirgend heim gehörte?
Anfangs wurde sie halb als Kind gehalten, mußte aber gleich die Arbeit eines Erwachsenen ausfüllen, während Probstens Kinder, die in gleichem Alter waren, gar nichts thaten, wenn sie in den Ferien daheim weilten. Aber Kind durfte Marie niemals sein. Wollte sie einmal der eingesperrten Lebensfreude Luft machen und anfangen mit den andern Kindern zu spielen und zu springen, da ließ die strenge Burechtweisung der Probstin niemals lange auf sich warten: So ein großes Mädchen hat wohl was anderes zu thun, als mit den Kindern zu laufen." So wurde das Mädchen mit der
1867-68.
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Aber er blieb ein Bummler und Taugenichts, träge, ohne Arbeitslust und schwerfällig, so daß er sich weder Arbeit zu beschaffen wußte, noch die Bestellungen nach Wunsch auszuführen.
Niemand konnte begreifen, daß Marie an einem solchen Bräutigam Gefallen finden konnte. Sie bekam auch genug spöttische Reden zu hören. Selbst der Probst fand sich veranlaßt, Marie einige warnende Worte über menschliche Kurzsichtigkeit und die Schwierigkeit der menschlichen Verhältnisse zu sagen.
Marie schwieg auf all diese Reden, und niemand wußte, was sie dachte. Aber sie ging mit irgend einem stillen Gedanken umher, das merkte man, denn ihre Wangen wurden immer blasser, ihr Lachen weniger froh, ihre Lieder weniger lustig. Und es konnte fo gar vorkommen, daß sie ihre fleißigen Hände in einander faltete, als wollte sie sich für einen Augenblick Ruhe schaffen, ihre wirren Gedanken zu ordnen.
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Und dann stand sie eines Tages plötzlich im Arbeitszimmer des Probstes und sagte, sie müßte den Dienst bei ihm verlassen. Sie wollte nach Amerika und Janne auch. Sie wollten drüben erst Dienste annehmen, dann aber, wenn sie sich ein wenig an das fremde Land gewöhnt hätten, sich verheiraten und drüben ein eigenes Heim gründen.
Sie sagte das alles in einem Atemzug, als fürchtete sie, etwas zu vergessen oder stecken zu bleiben, wenn sie es nicht auf einmal sagte. Als sie aber mit dem eigenen Heim" schloß, bekamen die Worte einen seltsamen tiefen und schönen Klang.
Es war durchaus keine leichte Sache, mit dem Probst zu reden. Die meisten seiner Gemeindemitglieder gingen zu ihm voll Angst und Beben, denn wenn er anderer Meinung war, als der, mit dem er sprach, stellte er sich ganz unwissend, that, als wenn er nicht begriff, verdrehte und verkehrte die Worte, fragte und forschte aus, bis er etwas ganz anderes herausbekam, als der Redner hatte sagen wollen. Wenn er die Sache so verdreht in seiner Hand hatte, begann er sie tlarzulegen" und dann gewöhnlich seine eigene Ansicht durchzusetzen, überzeugt, daß dieses die einzig richtige wäre, die einzige, die Trost und Hilfe gewähren könnte. Der Probst war nicht so leicht durch Ueberraschung aus der Fassung zu bringen; aber die Mitteilung