Dieser Bescheid kam der Frau überraschend.

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,, und wen gedenkst Du als Schafferin zu nehmen?" Wen? Vielleicht die alte Mzakota. Die wird wohl froh fein, für sich und ihre vier Kinder ein Unterkommen zu finden."

,, Und Du würdest das im Ernst thun?"

Die Frau faltete ihre Hände. Sie mußte in diesem Augenblick an sich selbst denken. Im Angesichte dieses Leich­nams hatte sie die Vorstellung, daß sie es selbst sei, die ab­geheßt und von der Arbeit erschöpft, verlassen in Truchlin dahinſterbe. Wie die Kinder um sie herum knien und herz­brechend weinen und flagen: ,, Muttert, liebes Mutterl, wach auf und komme zum Vater, dort wirst Du genesen!" Sie erbebte bei dieser Vorstellung. Dann erinnerte sie sich, daß ihre Kinder zu Hause schliefen und daß sie selbst mit Strouhal Strouhal sagte alles ruhig und mit Entschiedenheit. hergekommen und mit ihm wieder von hier fort gehen Dann verstummte er und begann nachdenklich in der Stube würde, nicht nach Truchlin, sondern in ihr liebes hin und her zu gehen. Seine Frau fragte nichts mehr. Sie Stübchen. Sie trocknete ihre Thränen, segnete die Tote, und faß auf der Bank und grübelte. Nach einer geraumen Weile sie mit dem Zeichentuch wieder zudeckend, stand sie auf. hob sie den Kopf und sagte:

" Ja, was bleibt mir sonst übrig, nachdem ich das An­wesen gepachtet habe. Der Doktor ist soeben schon zum Notar gegangen."

Höre Strouhal! Dir wird es wohl gleich sein, ob es die Mrakota ist oder eine andere?"

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,, Natürlich, ganz gleich". " Dann könntest Du mich als Schafferin einstellen!" Wenn Du mit dem zufrieden bist, was ich einer andern geben kann, warum nicht?"

Ich bin es!"

Dann blickte sie zu ihrem Manne auf und bemerkte, daß er die ganze Zeit von ihr kein Auge gewendet hatte. Sie senkte den Kopf. Gewiß waren es dieselben Gedanken, die auch ihn beschäftigt hatten.

"

Wann ist das Begräbnis?" fragte Strouhal. Uebermorgen. Gleichzeitig mit Styblit".

"

,, Ach ja, der arme Styblik", erinnerte sich der Oberheizer seufzend. Den hätte ich jetzt beinahe vergessen. Es war etwas zu viel, was alles heute quf mich eingestürmt fam.- Braucht Ihr Geld, Hladick?" fragte Strouhal nach einer Weile, als wollte er dem Gespräch und seinen Gedanken eine andere Richtung geben.

Mit diesem Gespräch, das sich genau in dem Tone be­wegte, der zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeit nehmer üblich sein mag, wenn sie einen Arbeitsvertrag vereinbaren, wurde der Zwist zwischen den beiden Eheleuten endgültig beendet. Beide Gatten feierten einen Sieg. Eine" Ich danke, Strouhal! Umsonst hat sich die Selige nicht Niederlage hätte feines von beiden vertragen. Sie setzten geplagt. Die Begräbniskosten hat sie sich selbst zusammen­sich nun zusammen und die Kinder um sie herum. Sie hatten gespart. Aber bei Styblik thut Hilfe not. Dort haben sie sich nun viel zu erzählen und erzählten lange. Die Kinder keinen Kreuzer. Das Weib beschimpft den Toten noch jetzt waren dem Einschlafen nahe. nach seinem schrecklichen Ende, und die Kinder weinen vor Die Mutter entkleidete sie und legte sie in Vaters Bett. Hunger. Dort könnt Ihr helfen. Wenn ich nachher in die Gewiß waren es schöne Träume, die ihnen den Schlummer Fabrik gehe, will ich auch etwas mitnehmen." versüßten, daß sie so glückselig lächelten!... Was? Ihr geht in die Fabrik? Heute?"

Jetzt werde

Daraufhin setzte sich die Frau wieder zu ihrem Gatten, Ja, gewiß. Was soll. ich auch hier. Die Selige kann und beide wußten faum, wie es so gekommen, daß sie sich ich doch nicht mehr zuni Leben zurückrufen, und wenn sie mit einem Male fest umschlungen hielten. Nach so langer, sprechen könnte, würde sie mich selbst schicken langer Zeit wurde es auch bei ihnen licht und sonnig, und ich immer allein gehen müssen!" bemerkte er nach einer geirost durften sie hoffen, daß die düstere Wolfe, die so lange Weile betrübt. ihre Häuslichkeit verdunkelt hatte, für immer verzogen war. Ohne eine Trübung sollte jedoch der schöne Tag nicht enden. Als sie so neben einander im traulichen Gespräch faßen, stürzte die Nachbarin plöglich zu ihnen in die Stube herein und berichtete ganz verstört, daß die alte Hladik, die Frau des Heizers, kaum daß sie nach Hause gekommen, von einem Blutsturz betroffen sei und nun in den letzten Zügen liege.

"

Strouhal schaute seine Frau mit einem wehmütigen Blick an, der ihr zu sagen schien: Siehst Du?" Die Frau verstand den Blick und senkte den Kopf. Er strich ihr mit seiner Hand über den Scheitel und sagte weich:

,, Komm, wir wollen hingehen!"

Beide standen auf und gingen. Vorher baten sie noch die Nachbarin, daß sie auf die Kinder sehen möchte. Das war jedoch kaum nötig, denn sie schliefen alle wie die Murmel fiere und dachten einstweilen noch gar nicht daran, aufzu­wachen.

Nach all den mächtigen Eindrücken des Tages fand der Oberheizer in diesem Augenblick kein Wort des Vorwurfes für den Mann. Er blickte ihn nur mitleidsvoll an und drückte ihm mit aufrichtiger Teilnahme schweigend die Hand. Dann wandte er sich zu seiner Frau und beide verließen die Stube.

Hast Du gesehen?" fragte sie unterwegs. Sie schaute zu ihm empor und ihre Blicke waren des Dankes und der Dankbarkeit voll.

Wochen und Monate sind vergangen. Strouhals Frau steht im Hofe der gepachteten Wirtschaft und streut aus der vollen Schürze das Futter den Hühnern, die sie mit frischer Stimme zusammenruft. Tonik und Betuschka stehen neben ihr, während nicht weit von ihnen das kleine Mariechen herum­hüpft. Auf der Schwelle vor der Hausthür sitzt Bartscha und hält einen munteren, strampelnden kleinen Buben, auf dem Schoß. Es ist ein friedlicher Sommerabend. Da Hladits Häuschen war ant anderen Ende des Dorfes. Knarrt mit einem Male die Thür am Hofzaun und Stronhal Als sie hin kamen, war die arme Frau nicht mehr am Leben. tritt ein. Er kommt aus der Fabrif. Fröhlich blickt er Ihre Leiche lag auf der Erde und war mit einem Leintuch zu seiner Frau hin und ruft: Glück auf, Schafferin!" Dann zugedeckt. Hladik selbst saß am Tisch und stützte den Kopf wendet er sich dem jauchzenden und strampelnden Bürchschen in seine Hände. Er hatte die Tote selbst entkleidet, zu, das alle Anstrengungen macht, um sich der schützenden gewaschen und hingebettet. Die Tochter und beide Söhne Hand des Schwesterchens zu entwinden. Der Oberheizer faßt waren in der Fabrik. Vielleicht wußten sie es noch nicht, ihn behutsam unter die kleinen Aermchen und hebt ihn hoch daß diejenige, die sie geboren, nicht mehr am Leben sei, über sich und sagt im Tone eines heiteren, glücklichen bielleicht dachten sie nicht einmal daran, daß sie überhaupt Menschen: frank war. Der Vater hatte ihnen keine Nachricht zukommen lassen.

Komm zum Vater, Du mein kleines, füßes Schafferchen!"-

Sonntagsplauderei.

Als die Eheleute Strouhal eintraten, nickte er nur mit dem Kopfe und sagte: Nun hat die Arme ihre Ruhe, nach der fie verlangte!" Dann fügte er bei: Das ist hübsch von Euch, daß Ihr gekommen seid, sie nochmals zu sehen." Daraufhin stüßte Die Berliner   Stadtverordneten- Versammlung hat soeben einen er wieder den Kopf in die Hände und fämpfte mit dem ihn über- focialdemokratischen Angriff auf Kultur, Kunst und Menschenwürde wältigenden Schlummer. Hatte er doch die ganze Nacht ge- ruhmreich zurückgeschlagen. Die kommunale Rotte der Roten forderte arbeitet, und abends mußte er wieder in die Fabrik. nichts weniger als eine Schon zeit für Kinder. Die Absicht dieser Forderungen war flar: man wollte verhindern, daß die Kinder sich frühzeitig an harte Arbeit gewöhnen und es auf die Weise in der Welt zu etwas Stattlichem und Glänzendem bringen könnten; die es ist kein Zweifel, daß Kinder, Jahren bereits Zeitungen austragen, wenn sie nicht gleich mit drei nach Abraham Lincolns Muster Präsidenten der Vereinigten Staaten werden, so doch zum mindesten, wie Frizz Gold­schmidt zum Brauereidirektor und höherer militärischer Charge

Strouhals Frau kniete neben der Leiche nieder und hob das Leintuch von dem Gesicht der Toten. Jetzt erst fonnte man es deutlich wahrnehmen, wie elend die Tote aussah. Die Nase und das Kinn spiz, Lie Augen tief eingefallen. De Mund stand offen, und auf den Zähnen und Lippen sah man noch Spuren des nun getrockneten Blutes. Die Hände lagen Kreuzweise über der Brust.

denn