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Peter Klopfte an die Scheiben:, Ihr! Wat es denn hei passiert?"

"

Die Schneiderfch öffnete das Fenster ein Rißchen und steckte ihre spike Nase heraus. Dat Bäbb," sagte sie lakonisch und wollte eilends wieder zuschlagen, als fürchte sie, ein Atom Wärme möge von drinnen entweichen.

Haalt!" Bittchen klemmte die Faust zwischen das Fenster. Et schreit doch e su! Gieft dann de Weis- Fra von Ober- Kail net geruf?"

"

Saogt doch liewer gleich dän Hähr Doktor!" Die Alte wackelte ärgerlich mit dem graufträhnigen Kopf. Ihr haot wohl dat gruße Los gezillt( gezogen)? Mir sein arme Beit, mir haon neist öwrig. Laoß se schpektaklen, se werd shuns rohig gänn!"

Und vom Bett her schalt die zornige Stimme des Alten: Wat es dat for en manier?! Dat Fenster zugemaach, Sapperloot!" Er hüstelte und schimpfte; rasch schlug die Schneidersch zu.

macher",

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( Fortsetzung folgt.)

( Nachdrud verbotell

Der Vagabund.

Nach dem Französischen von Wilhelm Thal. Wie in den alten Zeiten hatte Etienne, genannt der Stell­ein Bursch von 25 Jahren, ein kleiner, sanfter und schwacher Mensch, der diesen Beinamen führte, weil er zu den ge­schidtesten seiner Zunft zählte, Frankreich   durchwandern wollen; die Werkstatt war ihm zu eng geworden.

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Eines schönen Tages war er, das Ränzel auf dem Rüden, mit leerem Beutel und vollem Herzen fortgezogen; er war der Land­straße nach Paris   gefolgt, und hatte sich dabei schlecht und recht sein Brot und seinen Schoppen Wein von Dorf zu Dorf verdient. Nirgends hatte er Wurzel gefaßt, er hatte sich nicht in den Netzen einer Häuslichkeit fangen laffen, er hatte einen ganzen schönen Monat frei, frei und stolz auf seinen Beruf gelebt.

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gefolgt, als wenn er dem Glück folgte, rein instinktiv, nur um in ihrer Atmosphäre zu atmen.

Doch als er sie gestikulieren fah, als er sie lachen und Tant sprechen hörte, während ihm der Hunger im Magen wühlte und die und glücklichen Menschen würden ihm gern ein paar Sous, vielleicht Furcht ihn an der Kehle packte, kam ihm ein Gedanke: diese reichen fogar ein Silberſtück geben, wenn er sie demütig ansprach und ihnen sein Elend erzählte... dann könnte er efsen, schlafen, warten und mit einem bißchen Kraft für den nächsten Tag die verlorene Hoffnung wiederfinden..

Dennoch ließ ihn ein Gefühl der Scham, wenn er daran dachte, langsamer gehen; er batte Hunger, er fror, er wußte jedoch nicht, wie ein Arbeiter um Almosen bittet, und gar zu gern hätte er an einer aber er besaß den Mut nicht, sich jetzt noch von ihm zu entfernen. Straßenecke den Versucher, der ihn anlockte, aus den Augen verloren, Ah bah!" sagte er sich mit lauter Stimme, um sich anzufeuern und Mut zu machen, das Geld drückt ihn nicht! Er hat es im Spiel ges wonnen! Er kann also auch dem Arbeiter, der morgen, um ein paar Frant zu verdienen, schwer arbeiten muß, soviel geben, daß er essen und schlafen kann!"

Und von dem verzweifelten Mut, der wohl bisweilen die Schüchternheit fortreißt, angestachelt, redete er plötzlich den reichen Mann an:

"

Geben Sie mir ein paar Sous, mein Herr; ich habe nicht ge­geffen, nicht geschlafen; ich bin ein arbeitsloser Arbeiter!"

Die beiden Männer blieben erschreckt stehen und suchten zitternd in ihren Taschen nach einer Waffe, ohne etwas zu finden. Indessen faßte sich der glückliche Gewinner vor der jämmerlichen Miene des Hungerleiders, nahm eine ruhige Miene an und wollte ihn mit einer Handbewegung verscheuchen; dann zog er, völlig beruhigt, als wenn er aus Dankbarkeit gut werden wollte, eine Handvoll Gold­und Silberſtücke aus der Tasche, wühlte mit dem Finger darin her­um und betrachtete aufmerksam die geöffnete Hand; dann aber fagte er mit bedauernder Geste: o

Mein armer Freund, ich habe kein kleines Geld

"

Damit stedte er das ganze Geld wieder in die Tasche, und dem Mann nach, der sich mitleidslos am Arm seines Freundes ent drehte dem Unglücklichen den Rücken. Dieser sah einen Augenblick

fernte.

Doch plötzlich, von der Erinnerung an das Gold, das er gesehen, geblendet, von dem Klappern, das ihm noch immer in den Ohren lang, erregt, redete Etienne ihn von neuem an; er versuchte ihn 3 rühren; er flehte, er demütigte sich und machte sich klein, um ein Stückchen Brot zu erlangen.

Als aber Paris   nahe war und die Fabriken die Arbeiter der Landstraße, die Unabhängigen, nicht mehr aufnahmen, war er schüchtern geworden; ja, er schämte sich beinahe... und so zog er wie ein Bagabund in einer Winternacht über Montrouge   in die Stadt. der Träume und Legenden ein,

Schon bei der Ankunft fühlte er sich verloren, allein und auf ewig verlassen.

Seit dem Morgen hatte er nichts gegeffen. Es war drei Uhr nachts, die Straßen erschienen kalt, leer und endlos lang, und seit dem Abend regnete es. Etienne bekam Furcht, es war ihm, als täme er in ein Land der Verzweiflung, in eine verlaffene Gegend, er glaubte, er würde bis zum Tagesanbruch durch die Ruinen einer einst berühmten Stadt irren, und selbst mit dem Tage würde er fie nicht erwachen sehen, denn sie erschien ihm tot!

Die Stadt der Träume und Legenden!... Alle Kameraden, die er in den Werkstätten, auf dem Wege getroffen, die Stell macher, die von der großen Reise zurückgekehrt waren, hatten von Paris   gesprochen und dabei hatten sie mit den Fingern geknackt, und die Neulinge, die Lehrjungen dachten ans Fortziehen, um diese Feerie zu sehen, an die sich die Alten ihr ganzes Leben lang er innerten!... Etienne fühlte sich in Feindesland. Die Häuser saben wie mißtrauisch aus, sie waren vom Keller bis zum Giebel verbarritadiert; die Straßen waren krumm und schlecht; die Einsam­

keit drückte schwer.

Von Hunger gefchwächt, vor Ermüdung fast zusammenbrechend und ganz den Schrednissen und der Angst anheimgegeben, blieb Etienne auf dem Pont des Saints- Pères stehen und betrachtete das Wasser.

Diese Nacht war die schwärzeste feines Lebens! Der Anblick der Seine, die schwerfällig und düster dahinfloß, lähmte ihn. Er glaubte, fie bliebe unter der Brüde stehen, sie würde zu ihm heraufdringen, ihn bei der Kehle packen und fortschleppen! Notre- Dame   zeigte in dem niedrigen und schweren Himmel ihre maffige Architektur, und er fah fie wie ein Ge Spenst in der Nacht über den Fluß gleiten und immer größer werden, und herniedersteigen, um ihn zu erdrücken! fonnte nicht fliehen; der Hunger und die Abspannung bannten ihn an die Stelle; Etienne dachte nicht einmal daran, sich dem Alp zu entreißen, der ihn peinigte.

Blöblich beruhigte ihn ein Geräusch von Schritten; Stimmen erhoben sich klar und heiter in dem tiefen Schweigen.

" Zwei Bourgeois," sagte sich Etienne, gleichsam zum Leben zurückgerufen, und aus der Ferne den nächtlichen Wandrern zu lächelnd, die in warme Pelze gehüllt daherkamen.

Sie achteten nicht auf den Vagabunden; einer von ihnen machte beim Vorübergehen eine befriedigte Handbewegung und sagte: Man darf das Glück nicht mißbrauchen! Ich habe heute nacht zweihundert, Louisdors gewonnen und lasse den Nest dem

Klub!"

Etienne war ohne bestimmten Gedanken den beiden Wandrern

Da er jegt wußte, daß er von diesem Hungerleider nichts zit fürchten hatte, pflanzte sich der andere vor ihm auf, stieß ihn zurück und versetzte ihm mit seinem Regenschirm einen Schlag in die

Beine.

Etienne machte keine Betvegung; der Schlag hatte ihm nicht wehe gethan, aber er war im tiefsten Herzen verwundet. Wit herab= hängenden Armen blieb er auf dem Trottoir stehen, und mit dumpfem Schmerze fah er den Mann sich entfernen. Dan padte ihn ein Schauder. Er war allein, aber er glaubte, zwei wuchtige Hände stießen ihn an den Schultern vorwärts, und er folgte dem ersten Mann, der seinen Arm gegen ihn erhoben hatte.

Die Nacht erregte ihn, die Einsamkeit machte ihn fühner, furze Worte liefen über seine Lippen, seine zusammengeframpften Fäuste fuhren in die Luft, und seine Nägel drangen tief ins Fleisch.

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Er war beleidigt, er war beschimpft, der Arbeiter, der ehrliche Mann, dessen Tagewerk kein Meister nach seinem wahren Werte bes entfernte fich ruhig und lachend, während seine Finger in den im zahlt hatte; und fein Beleidiger jedenfalls ein Müßiggänger­Spiel gewonnenen Goldstücken wühlten! zuschreien, als er fah, wie der Mann sich unter einer Gasflamme Er wollte. ihm aus der Ferne seinen Haß und seine Verachtung von seinem Freunde trennte und allein in eine dunkle Gaffe einbog; berfolgte er ihn vie ein Wahnsinniger, ihn im Augenblid, da er sich in ein Haus flüchten wollte, deiſen Thür sich nicht öffnete, und griff ihn mit geschlossenen Fäusten, Henlend, brüllend, schäuniend und trunten vor Wut an.

erreichte

Der andre 30g, ohne auch nur an eine Verteidigung zu denken, Stellmachers gespielt hatte, und reichte es ihm mit zitternden Händen das Vermögen aus der Tasche, mit dem er eben vor den Augen des indem er ausrief:" Da! Nehmen Sie! Nehmen! Aber thun Sie mir nichts zu leide

Etienne fah, plöglich beruhigt, in seinen Händen so viel Geld, daß er, wenn er wollte, sich in seinem Dorfe als Stellmachermeister hätte niederlassen können; Etienne sah das alles, doch er schloß die Augen.

Diese Goldstücke, die er nicht verdient, die man ihm nicht aus Seelengüte gab, sondern aus Furcht, diese Goldstücke, die er ge stohlen zu haben glaubte, waren zu schwer, und seine Hände, die doch an die harten Werkzeuge seines Berufs gewöhnt waren, zu schwach, sie zu halten, sie brannten auf seiner rauhen Haut.

Mit einer Bewegung des Efels warf er sie zur Erde und rief, als er feinen Beleidiger, vom Schreck gelähmt, an die Mauer ge drückt sah:" Feigling!" Dann zudte er verächtlich mit den Achseln und wanderte in die Nacht hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen. 1912 20