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Bitte, gnädige Frau!" rief die Janowa und küßte der Apothekerin unter unaufhörlichen Verbeugungen die Hand. " Ich empfehle Ihnen eine neue Köchin."
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Die Frau Apothekerin, eine sehr hohe, sehr gelbe und sehr magere Person, war turzsichtig. Sie blinzelte mit den Augen und streckte den Hals vor. Das Verhör begann. Woher ist die denn?... Wo hat sie bisher gedient?" Die Janowa trat näher an sie heran, reckte sich auf den Zehen zu ihrem Ohr hinauf und fing an, mit jener für die fleinstädtischen Verhältnisse so bezeichnenden Vertraulichkeit ihr etwas zuzuflüstern.
Aber die Dame sprang zurück, indem sie ihre mageren Hände wie zum Schuße vor sich ausstreckte.
" Ich will nicht! Ich will nicht! Ich will nicht!" stieß sie schnell hervor, mit den Händen fuchtelnd, und zog sich zur Thür zurück.
sogar für ein nationales Unglück, daß die Influenza nicht noch reichlicher dafür sorgt, uns vor der Regiererei gnädig zu behüten.
In ihrer Mischung von Unsinn, Komik und schmerzhafter Lebensgefahr ist die Influenza eigentlich die menschlichste Krankheit. Wenn einen großen Influenzafall halten: eine epidemische Mischung von man pessimistisch denkt, kann man die ganze Menschengeschichte für Unsinn, Komit und schmerzhafter Lebensgefahr. Wie die Menschen im Banne von Vorurteilen finnlos taumeln, wie sie sich in Unfreiheit und Brutalitäten um die üppigen Gaben des Lebens betrügen, wie ein blöder Aberglaube plöglich die Welt überfällt, die nun nicht mehr von ihm loskommen fann, wie die beglückend schöpferische Vernunft gewürgt wird, bis sie schließlich wider sich selbst wütet- das alles scheint zugleich voll quälender, verwüstender Dämonengewalt ist. Warum? wie die Fieberzuckungen einer Seuche, die unsinnig, komisch und doch Wozu? Wird sich die Seuche niemals bändigen lassen? Werden die Aerzte der Menschheit niemals das Heilmittel finden?
Und eines Tages steigt doch die Frühlingssonne empor, und vor ihrem lachenden Leuchten verdorrt das Nebelschlinggewächs der grinsend mörderischen Seuche... Wir werden gefunden!
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Aber die Janowa gab sich so schnell nicht verloren. Gnädige Frau haben aber gestern gesagt... ,, Gesagt hab' ich schon, das stimmt. Aber damals wußte Das sind jetzt die segnenden Tage des Vorfrühlings. Berlin ist fch noch nichts. Aber da ist inzwischen eine schöne Geschichte teine Schneelandschaft mehr. Die Straßenreinigung hat unter gütiger diese Nacht bei Kassierers geschehen... Was, weiß denn die Mitwirkung der Sonne diese großstädtische Schneelandschaft be= Janowa nicht, daß diese Kubisiakowna die ganze Wäsche ge- feitigt, die mit den einfachsten Mitteln hergestellt war: eine in stohlen hat und durchgebrannt ist? Hat die Janowa noch brauner Schleimjuppe schimmernde Asphaltfläche, auf der sich in geraden Reihen in regelmäßigen Abständen grabnichts davon gehört? Die ganze Stadt ist ja in Aufruhr!" ähnliche Hügel erheben; man fönnte diese Hügel schwarz nennen, ( Fortsetzung folgt.) wenn Schwarz den Grad raffinierten Schmuzes angemessen wiedergeben würde, der in diesen dunklen Grabhügeln angehäuft ist. So müßte ein übersecessionistischer Maler die weltstädtische Schneelandfchaft malen: eine feucht glänzende Asphaltstraße, an den Rändern die schlammigen Kothaufen, und neben einem von ihnen ein finnender Jüngling, der mit einem Stöcklein tief in den Haufen gestoßen und mun glüdjelig an der Spitze des Stöckleins ein weißes Flöckchen gewahrt.
Sonntagsplauderei.
Aber solche Winterpoesie ist nun verschwunden. Die Accumula torenwagen haben darum an ihrer Vielseitigkeit eingebüßt. Zwar verstehen sie immer noch, die Menschen mit allem Comfort zu überfahren, sie elektrisieren, entwickeln Dämpfe, fochen, brennen und entgleifen indeffen sie haben es verlernt, in imponierendem Aufgebot hinter einander stehen zu bleiben und in der Straßenmitte eine doppelte Häuferreihe zu improvisieren.
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Auf sehr billige und schnelle Weise kann man in diesen Tagen eine Reise durch sämtliche Zonen der Welt muternehmen. nichts nötig wie sich eines fleinen Influenza- Anfalls zu bedienen, der gegenwärtig ohne Mühe und Kosten zu beziehen ist. Dann vermag man sich vollkommen durch die Klimate Ser Erdkugel hindurch zu fühlen. Der Kopf glüht in tropischer Hize, erscheint geradezut am Aequator angebunden. Und das siedende Hirn treibt sputhajte Gewächse, wie sie die südafrika nische Centralsomme ausbrütet: Disteln mit Blüten, groß wie das Der Vorfrühling strahlt. Wie ein Wunder ist er wieder über Höchstbesteuerte Warenhausfenster, mit Bajonettdornen gespickt; und uns gekommen, jung, blühend und voll Fröhlichkeit. hat man man bildet sich ein, man müsse eine von diesen Acquatordisteln je zuvor schon gewußt, wie groß die Echönheit der Welt sei, lebendig, ungehadt und ungekocht, aus Berschen hermitergefchluckt wenn aus blaßblauem Himmel die Fülle reinen Lichtes haben: das scheuert mun intendig ein wenig.
die in Schimmerschleiern tanzende Luft übergießt! Das ist das ewige Verwandlungswunder der Natur, das immer wieder wie eine unbegreifliche Seligkeit jäh ersteht. Die Frühlingsblumen, die an der Straße feil geboten werden, scheinen unmittelbar aus dem Füllhorn herabgegossen, mit denen die kindliche Phantasie mild spendende Götter begabt.
Darf man so mit dem bratenden Kopf die Erde in der angeschwollenen Mitte durchfliegen, so atmet die Brust in den Eisgefilden der abgeplatteten Pole. Die Haut ist nur das Futteral für einen unermeßlich frostigen Eisberg, und statt des warm rinnenden Herzbluts fühlt man jcht in der Brust den Eisberg leise Tropfen auf Tropfen tauen, und das eisige Tauwaffer durchsidert Warum verlassen diese thörichten Menschen nicht die dumpfen den ganzen Störper, erzeugt eine dichtbesäete Plantage Arbeitsstätten, die düsteren, falten Clausen, warum wandern sie nicht unsichtbarer prickelnder Frostbenlen, bis der weife Mensch die Be- hinaus, in hellen Gewändern, und freuen sich in fröhlicher Gemeinschaft schwerden des schüttelnden Polarflimas dadurch zu beheben sucht, der jungen Sonne? Gebietet doch die Natur selbst heute allen fühlenden daß er schlimme Alkoholika anwärmt und in das innere Gistvasser Seelen Feiertag und Fröhlichkeit! Alle hören sie den lockenden Ruf, gießt. Das soll manch einen helfen, sofern er ausreichend Geld für und niemand folgt ihm. Nur in eiliger Mittagspause atmen sie hastig den umfänglichen Mindestbedarf hat. ein wenig von der Sonnenluft. Dann frohnden sie weiter auf der Galeere der zum Skavendienst entweihten Arbeit. Der große Feiertag des Vorfrühlings vergeht, nubejubelt.
Strebt der Kopf zum Aequator, die Brust zum Pol, so wandern die Hände im gemäßigten lima: es ist ein hübsches Wetter, wo sich Rebelgeriesel auf der einen und Schneefall auf der andern Seite zu einem durchdringenden Regen versöhnt und vereint, und in diesem Flutwind spazieren die triefenden Hände und fluchen mit verzerrten Fingern über den verwünschten Einfall, mit Hilfe der Influenza eine Weltreise zu fimulieren
Vielleicht lebt in dem Karnevalstreiben, Ivie es im Süden und Westen volkstümlich in diesen Tagen auf die laue und lante Straße drängt, ein wenig von dem Gefühl des Vorfrühlings. Die bunte Narrheit verbrüdert die Menschen, und der er= barmungslofe Kampf ums Dasein mildert und verspottet sich zugleich in dem unerschöpflichen Spiel erfindungsluftiger Neckerei. Man schlägt sich mit flatschenden Schweinsblafen, anstatt sich wie sonst mit Klauen und Zähnen zu zerfleischen. Bei uns im Norden aber giebt es nichts dergleichen. Bei uns giebt es mir eingesperrte Maslenbälle und eine angestrichene Fröhlichkeit für Leute, die sich wie Cigarren und Weine so auch das Lachen laufen. Wir haben nur den schnellen Sonnenblick, den wir genießen dürfen, wenn uns die Arbeit für Minuten frei läßt.
Es giebt Leute, die dieser Senche allerlei Vorzüge nachrithmen. Sie ist in der That ein zureichender Entschuldigungszettel für die meisten Unterlassungen. Da jeder Gelegenheit hat, einen echten Fall von Influenza in allen Einzelheiteit zu studieren, so wird es einer gefchickten Perfon nicht schiver fallen, fich die Krankheit fufigerecht anzuempfinden und bei Gelegenheit von dieser Kunstfertigkeit einen zweckdienlichen Gebrauch zu machen. Wenn man zu irgend etwas nicht Lust hat, so entwickelt man die nötigen Symptome, schimpft und jammert, hustet, verschwendet Taschentücher, fäuft und umflammert Man empfindet an folchen Lichttagen des Naturerivacheus und verzweifelnd mit der rechten Hand die fiebernde Stiru. Dann ist der sich leise ankündigenden unermeßlichen Fruchtbarkeit schärfer denn man gefeit gegen alle Zimmtungen und Ansprüche dieser Welt. sonst all das Wahnsinnige, das sich die Menschen selbst in das Dasein Fehlt nur noch eine gesetzliche Festlegung, daß die Influenza eine geschleppt haben. Unter dem milden lanteren Farbenglanz des Vorforce majeure darstelle, die es, wenn sie nachweislich ist, zur frühlings begreift man es nicht, warum sich diese Thoren unabläffig Pflicht macht, uns derart zu schonen, daß wir dann gegenseitig zerstören, warum sie an Stetten sich zerren, die sie selbst geweder Steuern, noch Mieten, nech Wechsel bezahlen dürfen. Schmiedet, warum fic, statt gemeinsam in Freudigkeit zu schaffen, in Uebrigens will man bemerkt haben, daß besonders die Staatsmänner, elvigem Kriege wüten, mit Pulver und Blei, mit Hunger und Not. Und die Minister und Souveräne von der Grippe bevorzugt werden. während man zum erstenmal die Amsel singen hört, gedentt man Ist dies richtig, so könnte man in der Seuche eine List der Natur schaudernd der menschlichen Raubtiere, die auf Mord ausgehen, der erblicken, die uns beweisen will, daß die Dinge fich entwickeln, ohne Wölfer, die einander verwüsten, und der Professoren, die uns die daß man sie regiert. Hat jemand in der letzten Woche den Herrn Notwendigkeit von alledem beweisen. von Bülow vermißt? Es ist nichts zusammengestürzt, fein Staat zu Als Kind verspürte ich wohl, wenn die Frühlingssonne wieder Grunde gegangen, und doch lag der tiefste Kenner der welt- emporstieg, die mibezähmbare Lust, hinter die Schule zu gehen. politischen Fabrikgeheimnisse trübselig danieder. Gemerkt hat man Heute wünschte ich, einmal hinter die Zeit, an die wir geschmiedet, mur, daß einzelne Staatsmänner feuchenfrei geblieben waren gehen zu können, und zu schauen, wie in erlöster Zukunft die Völker wer Herrn Rheinbabens Starte Mann- Neden gelesen hat, der hält es den ersten Strahl der sich erneuernden Natur feiern. Joc.
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