-

202

-

Sie bekommen zwei Wochen Arrest, dann werden sie nach allen Seiten unruhig um, ihre Augen suchten die Manka wieder expediert."

,, Das ist schauderhaft," flüsterte das Mädchen. Glauben Sie etwa, daß der Dieb sich dadurch bessert?" fagte der Herr Rat. Keine Spur! Kaum wendet sich der Wächter ab, ist er wieder durchgebrannt."

Und wenn man ihn wieder fängt?"

,, So wandert er auf zwei Monat in den Kerker und dann geht er wieder in die Verbannung."

Und so bis in Unendliche? Das ist aber drollig!" Tachte die Bezaubernde. Das Mädchen blickte den Rat ent­fekt an.

Und so fort, bis ins Unendliche?" fragte sie.

" Ach nein!" erwiderte munter der Herr Rat. Einen folchen Vogel..."

Er kam nicht zu Ende, denn der Hausherr stand auf und erhob den vollen Becher:

Auf das Wohl und Gedeihen der Damen!" rief er mit lauter Stimme.

Die Bezaubernde lächelte, der Herr Rat erhob sich, eine allgemeine Bewegung entstand und die Unterhaltung wurde unterbrochen.

-

Czerkas. Aber diese schritt weit voran und man konnte nur ihr ausgelassenes Lachen bernehmen. Alle marschierten hurtigen Schrittes, die einen trieb die Kälte, die andern be­schwingten die Töne der unermüdlich musicierenden Kapelle. Sie waren schon nicht weit von der Gemeindekanzlei, als sie mit einer Gruppe von Bäuerinnen zusammentrafen, die unter luftigen Reden, Lachen und Singen vom Wirtshaus tamen. ,, Gelobt sei Jesus Christus!" grüßte die erste. Die Nachbarin zupfte sie am Aermel.

27

Aber, das sind ja Diebe, Gevatterin!"

Wenn schon, immerhin keine Juden..

Der Wächter wandte sich an die Bäuerinnen.

"

Wo fikt der Schulze?"

,, Wo der Schulze fit?" antwortete eine aus der Gruppe munter. Natürlich im Wirtshaus."

"

Und der Gemeindewächter?"

Auch im Wirtshaus. Die ganze Kanzlei sitt heut' im

Wirtshaus."

Die Weiber lachten. Der Wächter schüttelte mißmutig den Kopf. Thu doch mal einen Sprung nach dem Wirtshaus und sag' dem Schulzen, er möchte gleich herkommen," rief eine Bäuerin zu ihrem Knaben, der sich an ihre Schürze klammerte und den Wächter anglotte, indem sie ihm einen derben Stoß

Unterdessen schritt die Schar der Arrestanten rasch ihren Weg, denn es herrschte eine strenge Kälte und der Wind pfiff über das Feld, kleine trockne Schneepflocken aufwirbelnd. Hanka und Manka Czerkas gingen zusammen. Beide zitterten und in den Nacken versetzte. waren blau vor Kälte; die Kleider der beiden zusammen hätten kaum hingereicht, die eine vor der Kälte zu schüßen.

Hanka, Schwesterchen," flüsterte Manta, ich halt's nicht aus. Bei Gott, ich halt's nicht länger aus. Ich mach' mich aus dem Staube... Willst Du mit?"

" Ich will nicht mit," antwortete Hanka finster. " Hast Du denn gar keine Scham, daß Du wieder in dieses Sodom zurückwillſt?"

Manka wurde rot und zuckte die mageren Schultern. Was für ein Sodom? Wohin will ich zurück? So wahr ich lebe, ich hab gar nicht die Bamblowa gemeint. Was ist mir die Bamblowa? Eine Mutter, oder was?"

Sie gingen eine Weile schweigend neben einander her. Manta hob wieder an zu flüstern.

Siehst Du, am Rathaus hab' ich nämlich Eine kennen gelernt, die mehr als ein halbes Jahr ohne Meldung ganz unbehelligt blieb...."

Hankas Augen blitzten auf. Wo wohnte die denn?"

Bei einer Frau, die heißt Pajenczakowa, wohnt auf der Bakorczymskagasse, gerade gegenüber der Kaserne. Scheint eine Witwe zu sein, was weiß ich, aber eine sehr ordentliche Frau. Treibt Handel, hat einen Laden und eine Stube voll fremder Kinder, denn eigne hat sie nämlich nicht."

,, Und bei der wohnte sie?"

" Jawohl. Mehr als ein halbes Jahr wohnte sie bei ihr. Dort war gar kein Sodom... nur schickte sie die Alte auf Arbeit..."

( Fortsetzung folgt.)

Paul Hense.

slibno

den" nur das noblesse oblige( Adel verpflichtet) aus seiner Ab­Im Grunde der Seele bin ich doch immer der alte Aristokrat, geschlossenheit herauszuloden vermag. Ein Band der Neigung fesselt mich an wenige, und ob nicht auch das zerreißt, wenn es wirklich dahin kommen sollte, daß ich mein Belt abbreche und meinen Stab weiterseze?" So schildert der Held des Heyseschen Romans Kinder der Welt" sein Verhältnis zu den Bürgern der fleinen Stadt, in der er nach mancherlei Schicksalen einen Wirkungskreis gefunden hat. Die Worte passen in eminentem Maße auf den Dichter selber.

"

Paul Heyse , am 15. März 1830 in Berlin als Sohn des Sprachforschers R. 2. W. Heyse geboren, ist schon seit 1853 in München ansässig. Er, der alle Eindrücke des Berliner geistigen Lebens der vierziger Jahre, frühreif wie er war, in sich aufgenommen hatte, wurde 1853 auf Geibels Veranlassung vom König Maximilian II. nach München berufen. Wie die meisten andern Vertreter des Münchner Dichterkreises, den der Wille eines Königs versammelte, war er ein Fremder in München , wie Geibel, der für das Haupt des Kreises galt, wie Bodenstedt, wie Grosse, wie der Graf Schad. Keiner von ihnen war mit dem Wolfsleben der bayrischen Hauptstadt verwachsen, so wohl ihnen das läßliche Leben an der far gefallen mochte. Was sie an München fesselte, war nicht der Einklang mit dem Münchener Leben und Treiben; fie fanden eben hier einen Boden, auf dem fie, im Schuße fürstlicher Gunst, am leichtesten ein Leben in ihrem Sinne führen konnten. In Heyses Künstlerroman Sm Paradiese" tommt ein junger Norddeutscher nach München , um, nachdem er mit alten Verhältnissen gebrochen hat, nichts zu sein, als was ihm das höchste ist: ein freier Mensch, und nichts zu werden, als was auch seine heimliche Sehn­sucht gewesen ist: ein se in st ler. Ein freier Mensch, d. h. ein Aristokrat, der, in günstigsten ökonomischen Verhältnissen lebend, selbst leicht geworden, die Freiheit sich zu erwerben, die er fich wünschte; sie fiel ihm sozusagen in den Schoß. Er hatte keine schweren Stämpfe durchzumachen, um sich eine gesicherte Gristenz zu erwerben. Seine geistige Entwicklung wurde nicht durch nismäßig wenig in seinen Novellen und Romanen die Rede von den ökonomische Misere gehindert. Es ist dementsprechend auch verhält drückenden Einfluß armseliger Verhältnisse. Wie leicht wird es doch, dem Privatdocenten in dem Berliner Roman Kinder der Welt", fich unter schwierigsten Verhältnissen durchzusetzen; es ist, als ob die Armut seine Entwicklung kaum beeinflußte. Ebenso in dem Münchener Roman Jm Paradiese". Von den Künstlern, die dort vorgeführt Aber mag der geniale Bildhauer genötigt sein, um seinen Lebens­werden, ist, mit einer einzigen Ausnahme, keiner ein Krösus. unterhalt zu verdienen, Heilige zu fabrizieren: er nimmt keinen Schaden an seiner Seele, und es macht nicht den Eindruck, als ob ihn die Heiligenfabrikation übermäßig schwer bedrückt. Die Heyseschen Helden haben es alle, wie der Dichter selber, leicht, frei zu werden, wenn ökonomische Verhältnisse sie überhaupt hindern.

Es dämmerte. Der Wächter trieb zur Eile, sie hatten noch eine halbe Meile Wegs bis zu dem Dorfe, in dessen Ge­meindekanzlei ein andrer die Führung der Partie übernehmen sollte. Daher hatte es der Wächter eilig. Das Schneegestöber war borüber, der Wind hatte sich gelegt, einige Sternchen blißten am sein Leben gestalten kann, wie er es will. Es ist Heyse Himmel hervor. Von den Bauernhöfen ließ sich Hundegebell ver­nehmen, in der Ferne ertönte Paufenschall und das Piepsen einer Dorfgeige. Beim Schulzen war gestern Taufmahl gewesen, und heute fand im Wirtshaus die Nachfeier statt. Einige von den Arrestanten fingen an, Liedchen vor sich hinzupfeifen und alle beschleunigten ihre Schritte.

,, Sing, fing," brummte einer. Morgen wirst Du ge­mütlich im Kerfer brummen."

,, Was für ein Kerker? Warum hab' ich in den Kerker zu tommen? Was fällt Dir nur ein?"

,, Na, Du vielleicht nicht. Du bist ein Neuling. Aber die andern, die Steppenpferde, die Durchbrenner, die man schon zum zweitenmale treibt, diese spazieren zunächst ins Loch."

Natürlich," bemerkte ein andrer." Zum Beispiel Joseph Werda, Sobiecha, oder die Hanka Blacharown..." Hanka blieb stehen, als hätte sie jemand am Arm gezerrt. Ins Loch? Sie ins Loch? Dorthin, wo?... Marsch!" schrie sie der Wächter an.

Sie sind alle mehr oder weniger geborene Aristokraten, selbst wenn sie aus dem niederen Volte stammen, und sie bewegen sich mit Sie senkte den Kopf und fing an rasch zu gehen. unglaublicher Freiheit in ihrer Welt. Darum hat es mit dem Bald erreichten sie die ersten Hütten des Dorfes, aus den für Geistesfreiheit, für Gedanken- und Lehrfreiheit eingetreten, und Freiheitsprediger Heyse eine eigentümliche Bewandtnis. Er ist stets Gehöften kamen die Hunde mit wütendem Gebell herbei wenn er jegt Ehrenpräsident eines Goethebundes geworden gestürzt, die Paute ertönte immer lauter. Hanka sah sich list, den Künstler und Schriftsteller gebildet Schriftsteller gebildet haben, um