243

-

-

-

-

Am selben Abend nahm die Vermittlerin einen Wagen und führte sie in das berühmte Haus der Karoline Albertowna Kitajeta.

Von der Zeit an begann für Maslowa das Leben chro­nischer Vergehen gegen menschliche und göttliche Gebote, das Tausende und Abertausende von Frauen, nicht nur mit Er laubnis, sondern unter dem Schutz der Regierung führen, und das bei neun Zehuteln mit schmerzhaften Krankheiten, früh zeitigem Hinwelten und dem Tode endigt.

"

Sträflingsleben in den Vorderzimmern herab, das die blassen, fins Land nnd fanden ihr Publikum. Eine Zeit mannigfacher An­dünnarmigen Wäscherinnen führten, von denen einige, regung, meinetivegen auch mannigfacher Thorheit, aber vor allem infolge des Waschens und Plättens im Seifendunst, bei eine Zeit eifriger Arbeit brach an, und in dieser Zeit war es, daß dreißig Grad, mit winters und sommers offenen Fenstern, auch Tolstoj in Deutschland ein größeres Bublifum fand und zu wirken began. schon schwindsüchtig waren und erschrat bei dem Gedanken, Sein neuester Roman Auferstehung" giebt ein um daß auch sie in diese Strafanstalt eintreten sollte. Um diese fassendes Bild der modernen russischen Gesellschaft. Man freut sich Beit wurde sie von einer Frau besucht, die öffentliche Häuser über Zeichnung und Farbe des Buchs. Es ist eine interessante, ge mit Mädchen versorgte. mußreiche und wertvolle Lektüre. Der Roman gehört nicht zu denen, Maslowa rauchte schon lange, aber in letzter Zeit hatte die uns tief in die Abgründe des menschlichen Seelenlebens blicken fie auch immer besser und besser das Trinken gelernt. Der lassen. Er gehört nicht zu der psychologischen Schule, der der oben­Branntwein zog sie nicht nur deshalb an, weil er ihr wohl erwähnte Roman Dostojewskis beizuzählen ist. Vom Innenleben schmeckend schien, sondern ganz besonders, weil er ihr des Helden erfahren wir im Verhältnis zu dem Umfang des Buchs die Möglichkeit verschaffte, all' ihre schweren Erlebnisse eigentlich wenig. Der große Umfang des Werkes zeigt übrigens, worauf es Tolstoj angekommen ist. Das Menschliche der Dichtung, zu vergessen. Außerdem gab er ihr ungezwungenheit und das im eigentlichsten Sinn Vorwurf der Kunst ist, hätte sich auf Selbstbewußtsein, das ihr sonst abging. Ohne Wein war fie geringerem Raum erledigen laffen. Tolstoj wollte aber das moderne stets verdrießlich und schämte sich. Maslowa hatte zu wählen: Stußland zeigen und war daher gezwungen, seinen Roman breit und entweder die erniedrigende Stellung einer Dienstmagd, in groß anzulegen. Er läßt in der That sehr vieles an unserm geistigen welcher ihrer sicher Verfolgungen von seiten der Männer Auge vorüberziehen. Das Elend des Kriminalgefängnisses, das warteten, oder ein sorgloses, ruhiges, gesetzlich zulässiges Leben luguriöse Leben der Gardeoffiziere, gefchäftsmäßig und kalt geführte in einem öffentlichen Hause. Durch dieses letztere gedachte sie Gerichtsverhandlungen, Ministerpaläste und Bauernhütten- all das lernen wir in breiten Bildern tennen. Aber nicht fich an ihrem Verführer und dem Commis und an allen diese Bilder an fich bilden das eigentlich Interessante Leuten, die ihr Böses gethan, zu rächen. Außerdem des Buchs. Der eigentümliche Gesichtswinkel, unter dem fie ge und das gab bei ihr den Ausschlag war es ber- fehen sind, ist es, der der Dichtung ihren besonderen Reiz verleiht. lockend, daß sie sich in dem Hause so viele Kleider machen Tolstoj hat die Bilder, die er giebt, nicht als Künstler gesehen oder lassen konnte, wie sie mir wollte von Sammet und wenigstens nicht nur als Künstler. Sein Schauen war nicht nur Seide und Ballkleider mit bloßen Schultern und Armen.( wie jedes andere anch) durch sein Temperament bedingt, sondern Und als Maslowa sich ausmalte, wie sie im hellgelben Seiden- überdies durch eine bestimmte ethische Anschauung, die seinen Geist Kleid mit schwarzer Sammetgarnitur aussehen würde da gefangen hält. Er sieht die Bilder und richtet sie zugleich nach feinen social- ethischen Principien; er sieht sie als Gesellschafts­fonnte sie nicht mehr widerstehen. fritifer und giebt dann als Dichter wieder, was er gesehen hat. historisch gewordene und historisch zu begreifende Gesellschaft an In der Kritik weichen wir freilich von ihm ab. Er mißt die den abstrakten Lehren des Urchristentums und gelangt so zu einem verdammenden Urteil. In dem negativen Ergebnis stimmen wir mit ihm überein, wenn wir auch weder seine Methode billigen können, noch den Weg, den er gehen will, 11111 zu besseren Zu ständen zu gelangen. Seine evangelischen Zukunftsträume wir ebe: und für Träume, int der halten asketischen Form, die fie bei ihm annehmen, nicht einmal für Trotzdem interessiert uns sein Buch nicht lockende Träume. nur als Dichtung, sondern auch als ein gewichtiger Beitrag zur Gesellschaftskritit. Wie die feudale und kleinbürgerliche Kritik manche Seite der bürgerlichen Gesellschaft in ein besonders helles Licht zu rüden weiß, so sieht auch Tolstoj manche Dinge schärfer, als sie ein Anderer sehen könnte. Er zeigt recht deutlich die grauen­hafte Unvernunft der Verhältnisse, unter denen der russische Bauer lebt, ohne freilich im Positiven über ziemlich harmlose Borschläge hinauszukommen. Besser und schärfer als die Unvernunft der russischen Zustände sieht er die Nichtigkeit und Leere des Treibens in den oberen Gesellschaftsklassen. Hier kommen ihm zivei Umstände zu statten. Einmal hat er das Treiben in der nächsten Nähe kennen gelernt, und zum andern muß grade seinen asketischen Anschauungen das sinnliche Amüsement dieser Kreise besonders Ein moderner Litterarhistoriker meint, daß der europäische Einfluß, verhaßt sein. Hier sieht Tolstoj schärfer und unerbittlicher, der sich in den achtziger Jahren in unserem Schrifttum geltend machte, als ein andrer Kritiker von einem anderen Standpunkt aus seinen Grund in dem Umstand hatte, daß durch die entnervte Gründer es können würde. Hier haben die Bilder, die er entwirft, einen litteratur der Zusammenhang mit den guten Traditionen unsres Neiz, den man bei andern Dichtern vergeblich sucht. Mit erbittertem Volkes abgebrochen war. Falls der Zusammenhang bestanden hätte, Radikalismus schildert er, was er gesehen hat: die schlecht verhehlte wäre die litterarische Jugend am Ende im Lande geblieben und Sinnlichkeit in der Konversation mit dekolletierten Damen, die hätte an Hebbel und andre angeknüpft. Ohne die Schmach Koketterie, die sich in ein ernstes Gespräch nur einläßt, um den Ernft zu unterschätzen, die die kapitalistischen Orgien der Gründer zum Suppler zu machen, den folgenschweren Einfluß, den die jahre über unsre Litteratur gebracht haben, müssen wir Protektion oder der Haß einer schönen Dame haben kann, die dieser Auffassung doch widersprechen. Die Beleguitg der Brutalität der höheren Militärs und die bodenlose Unwissen­Jugend, die damals einsetzte, richtete fich nicht nur heit der Bureaukratie. Man braucht braucht nur nur die die folgende darauf, wieder wirkliche Kunst ins Leben zu rufen. Wirkliche Kunst Stelle zu lesen, in der er einen Durchschnittsaristokraten hätte sie freilich bei Hebbel, Ludwig und andern auch finden können schildert und man wird erkennen, daß Tolstojs Kritit hier scharf und und hätte sie trotz Lindau und Blumenthal auch gefunden, da die schneidend ist. Graf Jwan Michajlowitek so erzählt der Dichter­nachmärzliche Litteratur zwar aus dem Bewußtsein des Publikums, war ein Minister außer Diensten und ein Mann von sehr festen nicht aber aus ihrem Bewußtsein geschwunden war. Sie wollten Ueberzeugungen. Die Ueberzeugungen des Grafen Jwan Michaj indessen mehr als bloße Kunft. Sie wollten eine Kunst, die mit moderner lowitek bestanden von Jugend auf darin, daß, wie es dem Vogel Technik das stürmisch pulsierende Leben der Gegenwart bewältigte, eigen ist, sich von Würmern zu ernähren, mit Federn und Dannen und da konnten ihnen auch die besten Traditionen der eignen bekleidet zu sein und in der Luft zu fliegen, so sei es ihm eigentüm­Litteratur nichts nügen. Im Deutschen Reich hatte eben die neue lich, sich von teuren Gerichten zu ernähren, die von teuren Köchen Zeit feine neue Dichtung gebracht, ausgenommen jene berufene, bereitet werden, mit den bequemsten und teuersten Kleidern bekleidet deren geistvoller Vertreter Paul Lindau war. Im Ausland dagegen zu sein, mit den ruhigsten und schnellsten Pferden zu fahren, und war eine Litteratur entstanden, die zugleich groß und modern war. daß deswegen alles für ihn bereit sein müsse. Außerdem glaubte Es ist nicht nur verzeihlich, es ist einfach ein Verdienst der das Graf Jwan Michajlowitek, daß je mehr verschiedenartige Einkünfte maligen Jugend, daß fie ins Ausland ging und dort er von der Krone zu beziehen habe und je mehr Orden er besitze, holte, ivas zu Hause einmal nicht 31 finden und je öfter er hochgestellte Personen beiderlei Geschlechts sehen und war. Norieger, Franzosen und Russen begannen bei uns fprechen könne, um so besser werde es für ihn sein. Alles übrige. heimisch zu werden. Ibsens Dramen wurden gelesen, be aber hielt Graf Jwan Michajlowitet im Vergleich zu diesen Grund­wundert, kritisiert und schließlich sogar auf die Bühne gebracht. dogmen für nichtig und uninteressant. Alles übrige mochte so oder Dostojewskis Verbrecherroman Raskolnikow" hinterließ einen furcht- vollkommen umgekehrt sein. Diesem Glauben( entsprechend lebte baren Eindruck in den jungen Gemütern und war zugleich ein ge- und wirkte Graf Jwan Michajlowitek in Petersburg 40 Jahre lang, waltiges Wert der psychologischen Methode. Bolas Romane cr- und nach Ablauf dieser 40 Jahre gelangte er zu einem Ministera regten Sensation durch ihre rücksichtslose Wahrheitsliebe und wedten posten. in Deutschland begabte Schüler. Garborg, Kjelland, Lie und die Die feine und schneidende Fronie, die diese fleine Charakteristit unendlich feine und tiefe Stimmungskunst des Dänen Jakobsen zogen I auszeichnet, bligt immer wieder hervor, wo Tolstoj das Leben der

Sieben Jahre führte die Maslowa dieses Leben. Während dieser Zeit wechselte sie zweimal das Haus und war einmal im Krankenhause. Jin achten, als sie sechsundzwanzig Jahre alt war, geschah mit ihr dasjenige, weshalb man sie ins Zuchthaus gesteckt hatte und jetzt vor Gericht brachte, nach sechsmonatlichen Aufenthalt im Gefängnis zwischen Mörderinnen und Diebinnen.

( Fortsetzung folgt.)

Tolffojs Auferstehung"