Anterhaltungsblatt des Vorwäris

Nr. 68.

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Auferstehung.

Freitag, den 6. April.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Leo Tolstoj . Katjuscha flog ihm strahlend vor Lächeln mit Augen, so schwarz wie feuchte Johannisbeeren, entgegen. Sie liefen zu sammen und faßten sich an der Hand.

Sie haben sich wohl verbrannt?" fagte sie und legte thren in Unordnung geratenen Zopf mit der freien Hand zu recht. Dabei lächelte sie schwer atmend und sah ihn von unten auf gerade an.

Ich wußte nicht, daß da ein Graben ist," sagte er eben­falls lächelnd und ließ ihre Hand nicht fahren.

Sie schmiegte sich an ihn und er näherte ihr, selbst nicht wissend, wie das kam, sein Gesicht; sie wich nicht zurück, cr drückte ihr noch fester die Hand und küßte sie auf die Lippen. O, was thust Du!" sagte sie, riß mit einer schnellen Bewegung ihre Hand los und lief von ihm fort.

Dann lief sie zu einem Syringenbusch, brach von ihm zwei weiße, schon verblühte Syringen und schlug sich damit in das brennende Gesicht. Dabei sah sie sich nach ihm um und ging endlich, die Arme mutwillig schwenkend, zu den Spielenden zurück.

1900.

gingen dahin, Dmitri mit seinem entschiedenen, festen Charakter würde, nachdem er einmal das Mädchen lieb gewonnen, auch' daran denken, sie zu heiraten, ohne sich um ihre Herkunft und ihren Stand zu kümmern. Und diese letzte Befürchtung hatte viel mehr Grundlage.

Wenn Nechljudow damals seiner Liebe zu Katjuscha sich deutlich bewußt geworden wäre, und besonders wenn man versucht hätte, ihn davon zu überzeugen, daß er nie und nimmer sein Schicksal mit dem dieses Mädchens vereinigen könne und dürfe, so hätte sehr leicht der Fall eintreten können, daß er bei seiner geraden, offenen Natur zu dem Schluß gekommen wäre, es gäbe keine Gründe gegen die Heirat eines Mädchens, einerlei, wer sie wäre, wenn er sie nur liebte. Aber die Tanten sprachen nicht mit ihm über ihre Besorgnis, und so reiste er ab, ohne Statjuscha seine Liebe ge­standen zu haben.

Er war überzeugt, daß sein Gefühl für Katjuscha nur eine Erscheinung seines Gefühls der Lebensfreude sei, die damals sein ganzes Wesen erfüllte und die auch von diesem lieben, fröhlichen Mädchen geteilt wurde.

Als er aber abreiste und Katjuscha, die mit den Tanten auf der Treppe stand, ihn mit ihren schwarzen, thränenvollen Augen, die ein wenig schielten, begleitete da fühlte Nechljudow, daß er etwas Schönes, Teures hinter sich ließe, das niemals wiederkehren würde. Und ihm wurde weh

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Von der Zeit an änderte sich das Verhältnis zwischen ums Herz. Nechljudow und Katjuscha, und es stellten sich bei ihnen., Leb wohl, Katjuscha, ich danke Dir für alles", sprach er jene besonderen Beziehungen ein, wie sie zwischen über die Haube Sofja Jwanownas hinweg beim Einsteigen cinem unschuldigen jungen Mann und einem ebenso un- in den Wagen.

schuldigen Mädchen vorkommen, welche Neigung zu einander ,, Leben Sie wohl, Dmitri Jwanowitsch." sagte sie mit verspüren. ihrer freundlichen, lieben Stimme, drängte die hervorbrechen­den Thränen zurück und lief in den Hausflur, wo sie sich ausweinen konnte.

Sobald Katjuscha ins Zimmer trat oder Nechljudow nur von weitem ihre weiße Schürze erblickte, wurde für ihn alles wie mit Sonnenstrahlen übergossen, alles gestaltete sich inter­essanter, lustiger, bedeutungsvoller, und das Leben wurde fröhlicher. Dieselbe Empfindung hatte auch sie. Aber nicht nur die Anwesenheit und Nähe Katjuschas übten diese Wirkung auf Nechljudowv aus; dazu genügte für ihn schon das Bewußtsein, daß es eine Katjuscha gäbe, und für sie, daß ein Nechljudow lebte.

Dreizehntes Rapitel.

Seitdem hatten Nechljudow und Katjuscha sich drei Jahre lang nicht wiedergesehen. Er traf erst dann wieder mit ihr zusammen, als er, gerade zum Offizier befördert, auf dem Weg in den Krieg bei den Tanten einkehrte. Damals war er aber schon ein ganz andrer Mensch geworden; als der war, der vor drei Jahren den Sommer bei ihnen zugebracht.

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Ob Nechljudow einen unangenehmen Brief von seiner Mutter erhielt, oder ihm seine Arbeit nicht gelang, oder er die grundlose Traurigkeit eines jungen Mannes empfand- Dieser war ein ehrenhafter, aufopferungsfähiger Jüngling er brauchte nur daran zu denken, daß Katjuscha da wäre gewesen, stets dazu bereit, sich jeder guten Sache hinzugeben; und er sie sehen würde- und sofort war alles berjet war er ein durch und durch verkommener, raffinierter schwunden. Egoist, der nur den Genuß liebte. Damals war ihm die Welt Statjuscha hatte im Hause viel zu thun, aber sie beschickte als ein Geheimnis erschienen, das er fröhlich und begistert zu alles, und in ihrer freien Zeit las sie Bücher. Nechljudow gab enträtseln suchte; jekt war in diesem Leben alles deutlich und ihr Dostojewski und Turgenjew , die er selbst eben erst gelesen flar, und maßgebend waren nur die Lebensbedingungen, mit hatte. Am besten gefiel ihr das Stillleben" von Zurgenjew. denen man zu thun hatte. Damals war für ihn nötig und Gespräche zwischen ihnen fanden nur selten bei Begegnungen wichtig die Gemeinschaft mit der Natur und mit denjenigen auf dem Korridor, dem Balkon, im Freien und ab und an Menfchen( Philosophen, Dichtern), die vor ihm gelebt, gedacht im Zimmer der alten Magd bei den Tanten, Matrjona und gefühlt hatten; jezt waren ihm nötig und wichtig Paulowna, statt, mit der Katjuscha zusammen wohnte. menschliche Einrichtungen und der Verkehr mit den Kameraden. Nechljudow tam bisweilen in deren Stübchen, um Thee zu Damals war ihm das Weib als etwas Geheimnisvolles, trinken und den Zucker dazu zu beißen. Und diese Gespräche Reizendes eben durch das Geheimnisvolle in seinem in Gegenwart Matrjona Paulownas waren die aller- Wesen erschienen; jezt war die Bedeutung des Weibes, angenehmsten. Wenn sie allein waren, ging die Unter- jedes Weibes außer den zur Familie gehörenden und den haltung weniger gut. Da fingen alsbald die Augen an zu Frauen der Freunde ganz einfach folgende: das Weib war sprechen und sagten etwas ganz andres, weit Wichtigeres eins der besten, schon häufig erprobten Genußmittel. Damals als der Mund, und die Lippen schlossen sich, und den jungen brauchte er fein Geld und konnte kaum den dritten Teil dessen Leuten wurde weh und bang, und sic gingen schnell von- verzehren, was die Mutter ihm gab; auf die vom Vater er­erbte Besißung aber fonnte er fogar verzichten und das Land Dieses Verhältnis zwischen Nechljudow und Katjuscha den Bauern geben; jetzt reichten die fünfzehnhundert Rubel dauerte während seines ganzen ersten Aufenthalts bei den monatlich, die er von der Mutter bekam, nicht aus, und es Tanten. Die Tanten merkten die Beziehungen, erschraten und waren schon unangenehme Auseinandersegungen wegen des schrieben darüber sogar der Fürstin Helena Iwanowna, Necht Geldes vorgefallen. Damals hielt er für sein wirkliches Ich" judowos Mutter, ins Ausland. Tante Marja Iwanowna sein geistiges Wesen; jest ging er auf in seinem gefunden fürchtete, Dmitri fönnte in näheren Umgang mit Katjuscha frischen tierischen Sch". treten. Aber diese Befürchtung war unnük; Nechljudow Und diese ganze, schreckliche Veränderung ivar mit liebte Katjuscha, ohne es zu wissen, wie unschuldige Leute ihm vorgegangen nur deshalb, weil er aufgehört hatte, lieben, und seine Liebe bewahrte ihn und sie am besten an sich zu glauben, und angefangen hatte, an andre zu vor einem Fall. Er hatte nicht nur gar keinen Wunsch, glauben. Er hatte aber aufgehört, an sich zu glauben, und fie körperlich zu besitzen, sondern schon der Gedanke an die angefangen, an andre zu glauben, weil solch ein Leben, wo Möglichkeit solcher Beziehungen zu ihr war ihm schrecklich. man an sich glaubte, zu schwer war; denn dann mußte man Die Befürchtungen der poetisch veranlagten Sofja Iwanownal alle Fragen nicht zu Gunsten seines törperlichen, leichte

einander.

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