-

278

-

eingeholt hatte. Er konnte an gar nichts andres denken. I sich hin. Nechljudow sah sie lange unbeweglich an, er wünschte Wenn sie ins Zimmer trat, fühlte er, ohne sie anzusehen, mit zu wissen, was sie wohl thäte, im Glauben von niemand seinem ganzen Wesen ihre Gegenwart und mußte sich Gewalt gefehen zu werden. Zwei Minuten lang saß sie unbeweglich, anthun, um nicht nach ihr hinzublicken. dann erhob sie den Blick, lächelte, schüttelte wie im Selbst­

( Fortsetzung folgt.)

( Arria und Messalina  .)

Es ist im Grunde ein schreckliches Stück. Während der Vorwurf,

Nach dem Mittagessen ging er sofort in sein Zimmer, vorwurf den Kopf, änderte ihre Haltung, legte stürmisch beide schritt in starker Erregung lange in ihm auf und ab, horchte Arme auf den Tisch und richtete den Blick vor sich hin. auf jedes Geräusch in Hause und wartete auf ihre Schritte. Der tierische Mensch, der in ihm lebte, erhob jeht nicht nur das Haupt, sondern trat den geistigen Menschen, der er bei seinem ersten Besuch und sogar noch heute morgen in der Stirche gewesen war, mit Füßen und herrschte ganz allein Die Natürlichkeit auf der Bühne. in ihm. Trotzdem Nechljudow Katjuscha unablässig aufgelauert hatte, war es ihm nicht ein einziges Mal geglückt, sie an diesem Tage allein zu treffen. Wahrscheinlich wich sie ihm aus. Aber den es behandelt, die höchste Kraft erfordert hätte, spricht die pure gegen Abend würde sie in das Zimmer neben dem von ihm Ohnmacht aus jeder Zeile. Die Buhlerin Messalina  , deren Frechheit bewohnten hineingehen. Der Doktor blieb über Nacht hier sich fast zur Größe auswächst, verlangte Simmlichkeit und noch und Katjuscha mußte das Bett für den Gast zurecht machen. einmal Sinnlichkeit und immer wieder Sinnlichkeit. Was ihr Als Nechljudow ihre Schritte hörte, ging er ihr nach, indem der Dichter gab, war war das Temperament eines Gymnasial­er leise auftrat und den Atem anhielt, als wenn er ein Ver- lehrers. Ein Gymnasiallehrer mag sich so das Laster vor­brechen vorhätte. stellen, wenn es ins Riesenhafte wächst, gerade so, so schön agierend und so schön redend. Wenn auf der Bühne wirklich Meffalina wäre, müßte uns ein Schrecken befallen; aber wir erschrecken hier nicht. Wir sehen eben keine Messalina  , wie sie die Natur mitunter hervor bringt. Wir sehen eine gebildete, maßvolle, hübsch hergerichtete Messalina  . Nirgends bricht die Simmlichkeit so heiß und start hervor, daß uns der Athem vergeht. Nirgends wird die Wollust furchtbar, nirgends ahnen wir was wir hier doch müßten ihren Busammenhang mit Gransamkeit und Verbrechen. Eine Familien­meffalina fehen wir, ein Weib, das eine ehrbare Hausfrau gewiß schrecklich lasterhaft finden wird, aber keine wirkliche Messalina  , tein Geschöpf, das bestrickt und vor dem man sich doch entsetzt. Leider kam die Sandrock dem Dichter nicht zur Hilfe. Sie war so äußerlich wie er, mindestens so äußerlich, vielleicht noch mehr. Große Gesten, große Worte und gar keine Wirkungen, das

Sie hatte beide Hände in die reine Kissenbühre gesteckt und hielt mit ihnen das Kissen an den Ecken. Jetzt wandte sie sich nach ihm um und lächelte; aber das war kein heiteres, fröhliches Lächeln mehr, wie früher, sondern ein erschrecktes, tlägliches. Es fagte ihm gleichsam, daß das, was er jetzt thäte, schlecht sei.

Einen Augenblick blieb er stehen. Noch war die Möglich­keit des Kampfes vorhanden. Wenn auch nur schwach, so sprach doch noch die Stimme reiner Liebe in ihm, sprach von ihr, von ihren Gefühlen und ihrem Leben. Eine andre Stimme aber sprach: paß auf, du versäumst dein Glück, deinen Genuß. Und die zweite Stimme übertönte die erste. Er trat entschlossen an sie heran. Und der schreckliche, un- war im allgemeinen die Signatur der Leistung. bezwingliche, tierische Mensch kam vollends über ihn.

Er ließ sie nicht aus seinen Armen, drückte sie aufs Bett nieder und setzte sich neben fie.

Dmitri Iwanowitsch  , liebster, bitte lassen Sie mich!" fagte fie in fläglichem Ton. Matriona Pawlowna fommt!" schrie sie laut auf und riß sich los. Wirklich kam jemand an die Thür.

"

Dann komme ich nachts zu Dir," sagte Nechljudow. Du bist doch allein?"

Was wollen Sie? Niemals! Das darf ich nicht," sagte sie nur mit den Lippen; ihr ganzes Wesen voll Erregung und Bestürzung sagte etwas andres.

Es war wirklich Matrjona Pawlowna, die an die Thür fam. Sie trat mit einer Bettdecke im Arm ins Zimmer, sah Nechljudow vorwurfsvoll an und schalt Katjuscha, weil sie nicht die richtige Decke genommen hätte.

Nechljudow ging schweigend hinaus. Er schämte sich nicht einmal. Er sah an Matrjona Pawlownas Gesichtsausdruck, daß sie ihn tadelte und ein Recht dazu hatte; er wußte, daß das, was er that, schlecht war; aber der tierische Sinn, der aus dem früheren Gefühl reiner Liebe zu ihr entstanden war, nahm ihn jetzt ganz in Beschlag und beherrschte ihn, ohne etwas andres anzuerkennen.

Den ganzen Abend war er seiner selbst nicht mächtig; ging bald zu den Tanten, bald verließ er sie; ging in sein Zimmer und an die Treppe und dachte nur das eine, wie er sie sehen könnte. Aber sie wich ihm aus, und Matrjona Pawlowna bemühte sich, sie nicht aus den Augen zu lassen.

Siebzehntes Rapitel.

-

wuchtig fie als Maria war, so kalt und ohnmächtig und theaterhaft war sie als Messalina  , als Maria konnte sie einfach Schiller spielen, wurde vom Strom seiner Leidenschaft hingerissen und war echt. Die falte Pracht Wilbrandts hat sie nicht beleben können. Vielleicht ver­fagt fie immer, wenn sie nicht unter dem Bann eines echten Dichters steht. Es steckt viel Pose in ihrer Kunst, viel Freude an theatralischen Geberden und theatralischer Majestät. Ein Dichter, der sie hinreißt, läßt sie die Bühne vergessen und erlöst ihre starke Natur. Bleibt sie falt und wer bliebe das bei Wilbrandt nicht? ersetzt sie den inneren Mangel durch laute Aeußerlichkeit und verliert so völlig den Zusammenhang mit der Kunst.

Merkwürdig, wie gern man seinen Fehlern nachgiebt! Diese Schauspielerin, die sich vor theatralischer Unnatur hüten sollte wie vor der Best, schleppt uns Mosenthals entsetzliche Debohra" nach Berlin  , eins der Stücke, deren letzten Akt niemand kennt, weil jeder schon vorher mit Grausen flieht.

Kennt sie Shakespeare   nicht? Oder Hebbel? Und warum bringt sie die nicht nach Berlin  ? Vor allem für Hebbel  , der hier schmählich behandelt wird, wären wir ihr aufrichtig dankbar. Warum also nicht? Auch sie selbst würde bei Hebbel   besser fahren, als bei Mosenthal und Wilbrandt.

-

So verging der ganze Abend, und die Nacht brach an. Der Doktor ging schlafen. Die Tanten legten sich ebenfalls hin. Nechljudow wußte, daß Matrjona Pawlowna jezt im Schlafzimmer bei den Tanten sei, und Katjuscha im Mädchen­zimmer allein wäre. Er trat wieder auf die Treppe. Draußen war es dunkel, feucht und warm; der weiße Nebel, der im Frühling den letzten Schnee vertreibt, oder sich von dem schmelzenden letzten Schnee verbreitet, erfüllte die ganze Luft. Vom Fluß, der hundert Schritte entfernt am Abhang vor dem Hause vorbeifloß, hörte man feltsame die Temperamentlosigkeit. Zone: es war Eisgang.

An und für sich habe ich gegen die großen Gesten der Sandrock gar nichts. Nur daß sie leer sind, bedauere ich. Wir haben- in Berlin   wenigstens die großen Gesten ja fast vergessen, aber ich fürchte sehr, daß wir sie wieder lernen müssen. Es hat sich ein Natürlichkeitsbegriff herausgebildet, mit dem wir nicht weiter fommen, weder dramatisch noch schauspielerisch. Selbst wenn er richtig wäre, müßten wir ihn über Bord werfen, weil er seine Mission erfüllt hat. Es geht in diefer Richtung einfach nicht weiter, oder wenigstens: es geht nicht höher. Der Begriff ist indessen ganz und gar nicht richtig. Die Natürlichkeit der Bühne besteht feineswegs in einer äußerlichen Annäherung an die Wirklichkeit. Wenn es damit seine Richtigkeit hätte, wären gerade die größten Dramatifer von einer grauenvollen Umatur, was wir doch lieber nicht behaupten wollen. Es hat seinen guten Sinn, wenn ein Dichter oder Schauspieler sich dem Alltag so weit wie möglich nähert. Er muß sprechen, wie ihm der Schnabel gewachsen ist und hat ein Recht auf den Stil, der mm einmal ihm eigentümlich ist. Nur soll er sich nicht einbilden, daß er die Natürlichkeit gepachtet hat, weil er große Gesten vermeidet, decent spielt und sein Organ schont. Temperamentlose Menschen haben immer dazu geneigt, diesen Stil als den allein natürlichen" auszurufen; aber die temperamentvollen Naturen haben es ihnen nie geglaubt. Das Tem perament aber hat der Kunst noch immer mehr Segen gebracht als Die Wahrheit ist, daß man in jedem Stil natürlich sein fanu, Nechljudow stieg die Treppe hinab, schritt auf ge- im pathetischen so gut wie im realistischen. Die großen Gesten der schmolzenem und zu Eis gewordenem Schnee über Pfützen Sandrock tönnen durchaus natürlich sein und in Maria Stuart   bei und trat an das Fenster des Mädchenzimmers. Sein Herz spielsweise sind sie es. Die Natürlichkeit besteht in der Rongruenz zwischen Ton und Empfinden, zwischen hänimerte derartig in der Brust, daß er es hörte; fein Atem Geste und Ausdruck, zwischen Wort und Inhalt. Eine setzte bald aus, bald raug er sich in einem schweren Seufzer pathetische Rede, durch die wirklich ein starkes Bathos flutet, ist hervor. Im Mädchenzimmer brannte eine fleine Lampe; genau jo natürlich", wie eine Unterhaltung zwischen zwei Ecken Katjuscha faß allein am Tisch und schaute nachdenklich vorstehern. Wir kommen nie zu dem wuchtigen Stil, den alle jüngeren