Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Geist no maling mi
Nr. 78.
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Auferstehung.
Sonntag, den 22: April.
( Nachdrud verboten.)
Als Kornei mit dem Geschirr fortgegangen war, wollte Rechljudow zum Samovar treten, um Thee zu trinken, aber als er Agrafena Petrownas Schritte hörte, ging er schnell, um sie nicht zu sehen, ins Gaftzimmer und schloß die Thür hinter sich.
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blicke, die er mit ihr verlebt, in seiner Vorstellung zu erscheinen. Er erinnerte sich des letzten Zusammentreffens mit ihr, der Leidenschaft, die ihn damals gefangen hielt, und der Enttäuschung, die er dann erfuhr. Er dachte an ihr weißes Kleid mit blauem Band, dachte an den Frühgottesdienst. Ich hab' sie doch geliebt, aufrichtig geliebt, mit guter, reiner Liebe in jener Nacht; hab' sie auch früher schon geliebt; und wie hab' ich sie geliebt, als ich zum erstenmal bei den Tanten wohnte und mein Werk schrieb!" Und er stellte sich in der Erinnerung so vor, wie er damals gewesen war. Ihn wehte jene frische Jugend und Fülle des Lebens von damals wieder an, und ihm wurde quälend traurig zu Mute.
Dieses Zimmer, das Gastzimmer, war dasselbe, in welchem vor drei Monaten seine Mutter gestorben war. Als er jekt das Zimmer betrat, das durch zwei Lampen mit Reflektoren erhellt war die eine vor dem Porträt Der Unterschied zwischen demjenigen,' der er damals ge seines Vaters, die andre vor dem der Mutter- erinnerte er wesen war, und dem, der er jetzt war, war ungeheuer, waz sich seiner legten Beziehungen zur Mutter, und diese Be- ebenso groß, wenn nicht noch größer, als der Unterschied ziehungen erschienen ihm unnatürlich und widerwärtig. Auch zwischen Katjuscha in der Kirche und dem Mädchen, welches das war schändlich und häßlich. Es fiel ihm ein, wie er in sie heute morgen verurteilt hatten. Damals war er ein der lezten Zeit ihrer Krankheit geradezu ihren Tod gewünscht mutiger, freier Mensch gewesen, dem sich unendliche Möglichhatte. Er sagte sich, daß er ihn deshalb gewünscht hätte, feiten eröffneten; jest fühlte er sich auf allen Seiten im Garn dantit sie von ihrem Leiden erlöst würde, aber in Wirklichkeit eines dumtiten, leeren, ziellosen, nichtigen Lebens verstrickt, aus hatte er es gethan, damit er selbst vom Anblick ihres Leidens dessen Fäden er keinen Ausweg sah und in der Hauptsache auch befreit würde. keinen finden wollte. Er erinnerte sich, wie er einst auf seine Im Wunsche, eine angenehme Erinnerung an sie in Aufrichtigkeit stolz gewesen war, wie er sich einst zum Grundsich) wachzurufen, schaute er ihr Porträt an, das für fünf fat gemacht, immer die Wahrheit zu sagen und wirklich tausend Rubel von einem bedentenden Maler gemalt war. wahrhaftig gewesen war, und wie er jetzt ganz in der Lüge Sie war in schwarzem Sammetkleide, mit entblößtem Busen drin stat in der allerschrecklichsten Lüge, in der Lüge, die dargestellt. Der Künstler hatte augenscheinlich mit besonderer von allen Leuten seiner Umgebung als Wahrheit anerkannt Sorgfalt den Busen, den Zwischenraum zwischen beiden wurde. Und aus dieser Lüge gab es keinen Ausweg- Brüsten, die Schultern und den Hals mit blendender Schönheit wenigstens sah er keinen. Er hatte sich mit ihr beschmutzt, gemalt. Das war nun vollends schändlich und häßlich. Ab- sich an sie gewöhnt, sich mit ihr verzärtelt. scheulicher Hohn lag in dieser Darstellung der Mutter. Wie fonnte er fein Verhältnis zu Maria Wassiljewna, als halbentblößte Schönheit, und der Hohn war zu ihrem Manne so lösen, daß er sich nicht schämten mußte,
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so verabscheuungswürdiger, als in diesem selben ihm und seinen Kindern in die Augen zu sehen? Wie sein Zimmer vor drei Monaten dieselbe Fran, ausgedörrt Verhältnis zu Missi ohne Lüge lösen? Wie aus dem Wider wie eine Munie, und dabei nicht nur das ganze spruch zwischen der Anerkennung der Unerlaubtheit des GrundZimmer, sondern sogar das ganze Haus mit qualvoll eigentums und den Erbbesit von der Mutter her sich herauswiderlichen, durch nichts zu vertreibendem Geruch erfüllend, winden? Wie seine Sünde gegen Katjuscha wieder gut gelegen hatte. Es kam ihm vor, als wenn er noch jetzt diesen machen? Denn so konnte es nicht bleiben. Ich darf nicht Geruch spürte. Und ihm fiel ein, wie sie am Tag vor ihrem ein Weib verlassen, das ich geliebt habe, und mich damit beTod seine starke weiße Hand mit ihrem knöchernen schwärz gnügen, daß ich dem Advokaten Geld gebe und sie vom Zuchtlichen Händchen ergriffen, ihm in die Augen geschaut und gehaus befreie, das sie gar nicht verdient. Eine Schnld mit sagt hatte:„ Verurteile mich nicht, Mitja, wenn ich das nicht Geld wieder gut machen, ist dasjenige, was ich damals gethan habe." Dann waren in ihre von Leiden trübe that, als ich meine Pflicht zu erfüllen glaubte, indem ich ihr gewordenen Augen Thränen getreten. Diese Abscheulich Geld gab!" feit!" fagte er sich noch einmal mit einem Blick auf, die Und er erinnerte sich lebhaft des Augenblicks, wo er ihr halbentblößte Frau mit herrlichen Marmorschultern und im Sorridor nachgeeilt, ihr das Geld eingesteckt hatte und Marmorhänden und einem siegreichen Lächeln. Die entblößte fortgelaufen war.„ Ach, dieses Geld!" dachte er mit Schreck und Brust auf dem Porträt erinnerte ihn an ein andres junges Abscheu, gerade so wie damals, an jenen Augenblick. Ach, weibliches Weseu, das er neulich ebenso entblößt gesehen diese Schändlichkeit!" sagte er, gerade wie damals, plößlich hatte. Das war Missi gefvesen, die sich einen Vorwand laut. Nur ein abscheulicher Mensch, ein Nichtswürdiger konnte erdacht, um ihn abends zu sich zu bitten, damit sie sich ihm das thun! hid ich, ich bin dieser Abscheuliche und Nichtsin dem Kleid zeigen könnte, in dem sie zu Ball gehen wollte. würdige!" fagte er laut. Ja, bin ich denn wirklich, in Er dachte mit Abscheu an ihre schönen Schultern ind Arme. der That? er hielt im Gehen an bin ich wirklich, in Und dann dieser rohe, sinnliche Vater mit seiner Vergangen der That ein richtiger Nichtswürdiger? Aber was denn sonst?" heit, seiner Grausamkeit, und die schöngeistige Mutter mit autwortete er sich. Und ist es etwa das allein?" fuhr er ihrem zweifelhaften Ruf. Alles das war abstoßend und fort, sich zu überführen. it etwa Dein Verhältnis gleichzeitig schändlich. Schändlich und häßlich; häßlich und zu Maria Wassiljewna und zu ihrem Manne keine Schändschändlich. lichkeit und keine Gemeinheit? Und Dein Verhältnis zum „ Nein, nein," dachte er, ich muß mich frei machen; frei Hab und Gut? Unter dem Vorwande, daß das Geld von machen von all diesen verkehrten Beziehungen zu Stortfchagins, der Mutter herrührt, genießt Du den Reichtum, den Du für zu Maria Wajjiljewna, zur Erbschaft und zu allem übrigen... unerlaubt hältst? Und Dein ganzes müßiges, häßliches Leben? Ja, frei atmen. Ins Ausland fahren, nach Rom , mich mit und als Strone des Ganzen Dein Verfahren mit Katjuscha. meinen Gemälde beschäftigen." Nichtswürdiger, abscheulicher Mensch! Sie, die Leute mögen über mich urteilen, wie sie wollen sie kann ich betrügen, aber mich selbst betrüge ich nicht."
Er gedachte seiner Zweifel an seinem Talent. Ach, das war alles einerlei; nur frei aufatmen. Zuerst nach Konstantinopel , dann nach Rom , nur sich schnell der Obliegen heiten als Geschworner entledigen. Und die Geschichte mit dem Advokaten in Ordnung bringen.
Und plötzlich drang mit ungewöhnlicher Lebendigkeit die Gefangene mit den schwarzen schielenden Augen in feine Ein bildungskraft. Wie hatte sie geweint, als den Angeklagten zulegt das Wort erteilt war! Er zerknüllte schnell die aus gerauchte Cigarre im Aschenbecher, löschte sie aus und zündete eine andre au und begann im Zimmer auf und ab zu schreiten. Und einer nach dem andern begannen alle Augen
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Und er begriff plöglich, daß die Abneigung, die in der legten Zeit gegen die Menschen gefühlt, und besonders heute gegen den Fürsten und gegen Sofja Wassiljevna, und gegen Missi, und gegen Kornei gefühlt- Abneigung gegen sich selbst war. Und wunderbar in diesem Gefühl der Anerkennung seiner Gemeinheit lag etwas Krankhaftes und gleichzeitig Freudiges und Beruhigendes.
Es war schon mehrmals im Leben mit Nechljudow das. jenige vorgegangen, was er eine Seelenreinigung" nannte. Er nannte aber Seelenreinigung den selischen Zustand, in