330

-

Gleben Siebenunddreißigstes Kapitel. staaten, um solche traurigen Verkehrsverhältnisse zu finden, wie in Maslowa fonnte in dieser Nacht lange nicht einschlafen, Frankreich   oder gar in Paris  . Die Verfechter des Privatbetriebs sondern lag mit offenen Augen da, schaute auf die Thür und von Straßenbahnen. Gaswerken, Elektricitätscentralen und dergleichen müßten verurteilt werden, ein paar Jahre lang die Segnungen der­die bald vorwärts, bald rückwärts wandernde Küfterstochter artiger Einrichtungen in Paris   am eignen Leibe zu verspüren. Die und dachte nach. Trambahn- und Omnibusverhältnisse der französischen   Hauptstadt sind einfach eine Schande; im Interesse einer Kapitalistentlique wird das Publikum in der unerhörtesten Weise ausgeplündert und gemißhandelt. Da bei diesem Raubsystem die Dividenden so fett sind, daß die glücklichen Aktionäre in eignem Gefährt auf Gummirädern oder im Automobil durch die Straßen tutschieren önnen, so scheren sie sich den Teufel um die Flüche und die Ver­weiflung der Menge, die ihnen auf Gnade und Ungnade aus­geliefert ist. Den Herrschaften von der er Großen Berliner   Straßen­bahu muß sich das Herz vor Neid im Leibe herumdrehen, wenn sie sehen, mit welcher Ünverschämtheit und Gewissenlosigkeit ihre Kollegen jenseits des Rheins erst auftreten können! Am schlimmsten leiden unter diesen Umständen natürlich, wie immer, die Arbeiter und schlecht bezahlten Angestellten; es ist ganz gewöhnlich, daß Leute mit einem Tagesverdienst von fünf Frant fechzig bis fünfund fierten und autorisierten Straßenräubern in den unerfättlichen siebzig Centimes, das ist den achten bis sechsten Teil, den organi Rachen werfen müssen. Und so lammsgeduldig ist das hiesige Bublikum, so nachfichtig oder so gut geschmiert!- ist die hiesige Presse, daß es schon als eine kleine That erscheint, wenn unsre Parteiblätter die Konzeffionierung der kapitalistischen   Kliquen über das Jahr 1910 hinaus bekämpfen! Wenn die Weltausstellung mit dem zu erwartenden Massenandrange auswärtigen Publikums, der die Stalamitäten auf die Spike treiben muß, zu einem gründlichen fie in der That ein Segen für diefe sonst so herrliche Stadt. Wandel in diesen Zuständen den ersten Anstoß abgäbe, dann wäre

Sie überlegte, daß sie um keinen Preis einen Sträfling auf Sachalin   heiraten, sondern sich irgendwie anders ein richten würde mit irgend eineni Beamten, einem Schreiber, meinetwegen mit einem Aufseher oder Gehilfen. Sie waren ja alle versessen darauf. ,, Aber nur nicht mager werden; sonst gehst du zu Grunde." Und sie erinnerte sich, wie der Verteidiger sie angesehen hatte und wie der Vorsitzende und die ihr begegnenden und absichtlich vorübergehenden Männer im Gericht nach ihr hingeblickt. Sie erinnerte sich, wie die Bertha, die sie im Gefängnis besucht ihr erzählt, daß der Student, den sie bei der Sitajewa geliebt hatte, zu ihnen gekommen sei, nach ihr gefragt hätte und sie sehr bedauerte. Sie dachte auch an den Streit mit der Fuchsroten und fühlte Mitleid mit ihr; dachte an den Bäcker, der ihr extra Semmel ge­schickt. Sie dachte an vieles, aber nur nicht an Nechljudow. An ihre Kindheit und Jugend, namentlich aber an ihre Liebe zu Rechliudow dachte sie niemals. Das war zu schmerzlich. Diese Erinnerungen ruhten unangerührt irgend wo tief in ihrer Seele. Selbst im Traum sah sie Nechljudow niemals. Heute, im Gericht, hatte sie ihn weniger deswegen nicht erkannt, weil er, als sie ihn zum letztenmal gesehen, Militär ohne Vollbart, mit kleinem Schnurrbart und zwar kurzem, aber dichtem Lockenhaar gewesen war, während er jetzt schon nicht mehr jung aussah und einen Vollbart trug, als vielmehr deshalb, weil sie niemals an ihn dachte. Sie hatte alle Erinnerungen an ihre Vergangenheit in jener schrecklichen Nacht begraben, wo er von der Armee gekommen und nicht bei seinen Tanten vorgefahren war. ( Fortsetzung folgt.)

-

Von der Weltausstellung.

8. Pariser   Stimmungen und Verstimmungen. adiveDas deutsche Haus.

Paris  , 26. April 1900.

-

So gehen vielfach in diesem Lande große politische Freiheiten, von denen man bei uns noch tamm zu träumen wagt, Hand in Hand mit einer jämmerlichen Administration: naive Leute, die in ciner Bourgeoisrepublik das Ideal erbliden! Ueberall schreit die Anarchie des heutigen gesellschaftlichen Lebens nach einer fundamentalen und organischen Umgestaltung, überall drängt sich dem Lebenden die Gewißheit auf, daß es so nicht mehr lange weiter gehen kann: Reformation an Haupt und Gliedern ist notwendig und unabweisbar. Und mag das französische   Volt auch noch so lustig und leichtlebig sein, diese Notwendigkeit drängt sich doch auch ihm immer deutlicher auf, die Socialisierung der Massen, die Verbreitung socialistischer Gedanken und Ideale macht sichtbare Fortschritte. Dabei die Persönlichkeiten ausländischer Potentaten bewahrt. Man kann haben sich sehr viele Franzosen eine gewisse tomische Neugierde für teine fünf Minuten vor dem, übrigens trog der viel auch noch In einem furzen und kategorisch gehaltenen Erlaß hat die Aus- gerühmten deutschen militärischen Bünktlichkeit" stellung allen denen, die es angeht, nunmehr zu wissen gegeben, nicht vollendeten, deutschen Repräsentationsgebäude in der Aus­daß bis zum 28. d. M., das ist bis zum Sonnabend, alle stellung stehen, ohne von irgend jemandem in ein Gespräch über Arbeiten beendet sein müssen; nach diesem Termin soll kein Arbeiter Wilhelm II.   verwickelt zu werden. Seine Gewohnheiten, feine Ansichten, mehr auf dem Ausstellungsfelde zugelassen werden, wer nicht fertig Sie bewundern den Herrscher, der trotz der vielen Repräsentations feine Thaten und Reden interessteren die Pariser   im höchsten Grade. wird bis dahin, hat es sich dann selbst zuzuschreiben. Skeptische Leute glauben nicht recht an den vollen Ernst dieser Worte und pflichten, die ihm seine Stellung auferlegen muß, noch immer Zeit meinen, es werde sich wohl im gegebenen Augenblick noch irgendwo finden, andauernd Reisen zu machen, zu dichten, zu komponieren, ein Hinterthürchen im wahren Sinne des Worts finden lassen, durch das 8 malen, zu zeichnen, Pläne zu Gebäuden, Schiffen und Denkmälern die Arbeiter eingeschmuggelt werden können; aber es wäre im Inter- au entwerfen, militärische Uebungen abzuhalten, zu jagen u. f. w. u. f. wv. esse der Sache zu wünschen, daß mit der Drohung Ernst gemacht wird, der deutsche Kaiser wohl zur Ausstellung kommen wird? Diese weil heute auch die Pünktlichen unter der Unpünktlichkeit ihrer Nach Frage darf natürlich bei den Parisern nicht fehlen, die es kaum be­barn zu leiden haben. Eine Reihe von Ausstellern, die mit Auf- greifen können, wenn unsereiner gelaffen zugestehen muß, daß ein bietung allen Fleißes ihre Erzeugnisse schon vor dem offiziellen Er- deutscher Socialdemokrat kaum hinreichend über höfische Pläne unter­öffnungstermin ausgelegt hatten, mußten sie fast die ganze Zeit richtet zu sein pflegt, um darauf eine Antwort geben zu können. 2130 Das deutsche Repräsentationsgebäude erregt andauernd die Auf­seither durch Decken, Bretter und dergleichen verdeckt halten, weil es irgend einem guten Mann in der Nähe gefiel, geradezu unwahr- merkjamkeit aller Ausstellungsbesucher; nichts Verwunderliches bei scheinliche Mengen von Staub aufzuwirbeln. Das Publikum wird dem nicht ganz ungemischten Interesse, das die Durchschnittsfranzosen froh sein, wenn es erst einmal von der abscheulichen und bis zum nach den Plänen des Bauinspektors Johannes Radke   von der be allem von jenseits des Rheins Stanmenden entgegenbringen. Es ist Ueberdruß gehörten ominösen Phrase: plus tard d. h. später" erlöst ist, mit der man jetzt an allen Eden über das Unfertige tannten Frankfurter   Bauunternehmungsfirma Philipp Holzmann u. Co. hinweggetäuscht werden foll; froh werden auch die Berichterstatter am Quais d'Orsay aufgeführt worden. Mit Mitteln ist anscheinend sein, deren Thätigkeit sich bis jetzt so zu sagen in der Novellen- nicht gespart worden und der maffige Bau mit dem über 60 Meter dichterei erschöpfte. Wo nichts ist, da hat nicht nur der Kaiser, hohen Turm macht einen ziemlich guten Eindruck. In welchem Stil sondern auch der grimmige Redacteur sein Recht verloren, der in Deutschland   wohl glüdlicherweise bereits geschlagen hat. Schöne es gehalten ist? In jenem wunderlichen Altdeutsch", dessen Stunde vom Berichterstatter dringend Neuigkeiten heischt. Unfre Absicht ist, unfre Leser so gut es in derartigen Ausstellungsbriefen geht, über Motive, die alten deutschen Bauten entnommen sind, können den Stand des gewerblichen Lebens in den verschiedenen Läubern ben gefünftelten Eindruck des Ganzen nicht verwischen. zu unterrichten; aber dazu muß man Vergleiche ziehen können, und breiten Giebelflächen hat man mit Malereien aus der Nibelungen­sage bedeckt, Malereien, deren etwas schreiende Farben von der das ist heute noch fast unmöglich. Die Schuld an der allgemeinen Unfertigkeit und Verspätung die Westfaçade zeigt eine beachtenswerte Holzarchitektur, die keinen freundwilligen Pariser Sonne wohl noch etwas gebleicht werden; trifft nur zum geringsten Teil die einzelnen Aussteller, in deren üblen Eindruck macht. Mit altdeutschen, foll heißen: fchwer zu eigenstem Intereffe es vielmehr liegt, möglichst frühzeitig und voll- enträtselnden Buchstaben hat man auf jeder Seite ein Spruchband ständig ihre Erzeugnisse dem Publikum zugänglich zu machen. Eher bedeckt, nicht ohne die Gelegenheit zu benutzen, ein flein wenig- schon tönnte man der Ausstellungsleitung, im besondern den Bau­Flottenpropaganda dabei zu treiben: denn während vorn Arbeit firmen die Verantwortlichkeit zumessen; aber nach dem, was man und" Friede" gleichsam als offizielles Programm auf die Beschauer allgemein hört, tragen die schlechten französischen   Verkehrsverhält­nisse die meiste Schuld. Noch vor wenigen Tagen standen vor den herabprangen, lautet der Spruch auf der rechten Giebelseite: Pariser   Güterbahnhöfen Tausende von Waggons mit Ausstellungs­,, Auf die Flut der Stern des Schicksals weist, gütern, die wegen mangelhafter Einrichtungen und schlechter Dispositionen Lichte kühn die Anker, Menschengeist!" nicht entladen werden konnten. Zum wer weiß wie vielten Male Aber vorher bewillige noch rasch die Flottenvorlage! haben die Kapitalistengesellschaften, denen der französische   Eisenbahn- In erster Linie dient das deutsche Haus den Zwecken der verkehr ausgeantwortet worden ist, den Beweis ihrer kompletten offiziellen Repräsentation; wenn es erst aber einmal ganz fertig ist, Unfähigkeit geliefert. Man muß schon nach Ländern mit ganz foll es dem Besucher charakteristische Zweige des deutschen   Kultur­torrumpierter Verwaltung gehen, nach Italien   oder den Ballan- lebens vor Augen führen. Da wir ja min einmal in dem Geruch

Die