Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 87.
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Auferstehung.
Sonntag, den 6. Mai.
( Nachdrud verboten.)
Um diese Zeit begannen die Besucher hinauszugehen. Der Juspektor trat zu Nechljudow und sagte, die Be suchszeit sei zu Ende. Die Maslowa stand auf und wartete crgeben, bis man sie fortlassen würde.
Leben Sie wohl, ich muß Ihnen noch vieles fagen, aber wie Sie sehen, fann ich es jetzt nicht," sagte Nechljudow und reichte ihr seine Hand. Ich komme wieder."
Ich denke, Sie haben alles gesagt... Sie gab ihm die Hand, aber drückte seine nicht. ,, Nein, ich will mich bemühen. Sie wieder zu sehen, wo möglich mit Ihnen zu sprechen, und dann werde ich Ihnen das sehr wichtige sagen, was ich Ihnen sagen muß," sprach Nechljudow.
Nun, tommen Sie nur," sagte sie leise und lächelte mit dem Lächeln, mit welchem sie Männern zulächelte, denen sie gefallen wollte.
„ Sie stehen mir näher als eine Schivester," sagte Nech
Ljudow.
"
Wunderbar!" wiederholte sie und ging topfschüttelnd hinter das Gitter.
alle
Zweiundvierzigstes Rapitel. Nechljudow hatte erwartet, daß Katjuscha schon beim ersten Wiedersehen, nachdem sie ihn erkannt und seine Absicht, ihr zu dienen und Buße zu thun, erfahren, sich freuen und verföhnen und wieder Katjuscha werden würde; aber zu seinem Schrecken bemerkte er, daß keine Kutjuscha vorhanden war, sondern nur eine Maslowa. Das nahm ihn wunder und erschreckte ihn.
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Hauptsächlich wunderte ihn, daß die Maslowa fich ihrer Lage nicht nur nicht schämte nicht ihrer Lage als Gefangene( deren schämte sie sich), sondern ihrer Lage als Prostituierte sondern gleichsam mit ihr zufrieden, fast stolz auf sie war. Dabei konnte das gar nicht anders sein. Jeder Mensch muß, um thätig zu sein, seine Thätigkeit unbedingt für wichtig und gut halten, Deswegen bildet sich jeder Mensch, welches auch immer seine Stellung sein mag, sicherlich stets eine derartige Ansicht vom Leben der Menschen überhaupt, daß seine Thätigkeit ihm als wichtig und gut er scheint.
Man glaubt gewöhnlich. Diebe oder Mörder, die ihren Beruf als schlechten erkannt, müßten sich wegen desselben schämen. Gerade das Umgekehrte ist der Fall. Diese vom Schicksal und durch ihre Sünden und Fehler in eine bestimmte Lage versetzten Menschen bilden sich, wie anormal diefe Lage auch immer sein mag, stets eine Anschauung vom Leben überhaupt, bei der ihre Lage ihnen als gut und beachtenswert erscheint. Zur Aufrechterhaltung einer solchen Anschauung aber bleiben die Leute stets in dem Streise, in dem die Begriffe gelten, die sie sich vom Leben und ihrer Stellung in ihm gebildet haben. Uns wundert das, wenn es sich um Diebe handelt, die sich ihrer Geschicklichkeit rühmen, oder um Mörder, die mit ihrer Grausamkeit prahlen. Aber es wundert uns nur deshalb, weil der Kreis dieser Leute beschränkt ist, und hauptsächlich, weil wir uns außerhalb des Kreises befinden. Können wir indessen nicht dieselbe Erscheinung an Reichen beobachten, die mit ihrem Reichtum, das heißt ihrem Raube prahlen; an Feldherren, die sich ihrer Siege, das heißt ihrer Mordthaten rühmen; an Herrschern, die mit ihrer Macht, das heißt ihrer Gewaltthätigkeit prahlen? Bei diesen Menschen sehen wir die Verkehrtheit ihrer Lebensanschauung mir deswegen nicht ein, weil der von ihnen gebildete Kreis ein größerer ist und wir uns selbst innerhalb desselben bewegen.
Ats die Maslova fühlte, daß Necljudow sie in eine andre Welt versezen wollte, leistete sie ihm Widerstand, in der Voraussicht, daß sie in jener Welt, in welche er sie hineinzog, ihre Stellung im Leben verlieren würde, die ihr Zuversicht und Selbstachtung verlich. Aus diesem Grunde hatte sie auch die Erinnerung an ihre erste Jugend
1900
und ihr erstes Verhältnis zu Nechljudow aus ihren Gedanken vertrieben. Diese Erinnerung paßte nicht zu ihrer jezigen Weltanschauung und war deshalb völlig in ihrem Gedächtnis ausgestrichen, oder besser: irgendwo unangerührt aufbewahrt und dabei so eingeschlossen und verklebt, wie Bienen, damit fein Zugang zu denselben übrig bleibt, die Nester der Maden verkleben, die die ganze Arbeit der Bienen verderben können. Und deswegen war der jetzige Nechljudow für sie nicht derjenige Mensch, den sie einst mit reiner Liebe geliebt hatte, sondern nur ein reicher Herr, den man ausnuten konnte und musste, und zu dem man nur Beziehungen unterhalten konnte, wie zu allen Männern.
„ Nei, die Hauptsache konnte ich ihr nicht sagen," dachte Nechljudow, als er sich mit den Besuchern zum Ausgang wandte. Ich habe ihr nicht gesagt, daß ich sie heirate. Sch hab's nicht gesagt, aber thue es," dachte er.
Die Aufseher, die an der Thür standen, zählten die Be sucher bei ihrem Austritt wieder zweimal, damit kein leberzähliger im Gefängnis bliebe oder hinausginge. Daß man ihn auf den Rücken klatschte, beleidigte Nechljudow jezt nicht mehr; er bemerkte es nicht einmal.rodam tuslik
Dreiundvierzigstes Kapitel.
Nechljudow wünschte sein äußeres Leben zu veränder die große Wohnung aufzugeben, die Dienerschaft zu entlassen und in einen Gasthof zu ziehen. Aber Agrafena Petrowna legte ihm dar, daß es keinen Zweck hätte, vor dem Winter etivas in der Lebensweise zu ändern; im Sommer würde niemand die Wohnung nehmen, und wohnen und Möbel und Sachen haben müßte man doch irgendwo. irgendwo. So führten alle Anstrengungen Nechljudows, sein äußeres Leben zu verändern( er wollte sich einfach, nach Studentenart ein richten), zu garnichts. Nicht genug, daß alles beim Alten blieb im Hause begann sogar eine angenehme Thätigkeit: ein Auslüften, Aufhängen und Ausklopfen aller Woll- und Pelzsachen, wobei der Hausknecht und sein Gehilfe, die Köchin und selbst Kornei halfen. Zuerst wurden verschiedene Uniformen und sonderbare Pelzsachen, die niemals zu irgend etwas gebraucht wurden, hinausgebracht und auf die Leine gehängt; dann fing man an, Teppiche und Möbel hinauszuschleppen, und der Hausknecht mit seinem Beistand krempten die Aermel an den muskulösen Armen auf und klopften im Taft fräftig all diese Gegenstände aus, und durch alle Zimmer verbreitete sich Naphthalingeruch. Wenn Nechljudom über den Hof ging und aus dem Fenster schaute, wunderte er sich darüber, wie schrecklich viel alles das war, und daß alles ohne Zweifel unnüße Dinge waren. Die einzige Verwendung und Bedeutung dieser Sachen, dachte Nechljudow, bestand darin, daß sie Agrafena Petrowna, Stornei, dem Hausknecht, seinem Gehilfen und der Köchin Gelegenheit zu turnerischen Uebungen gaben.
„ Es lohnt sich nicht, die Lebensweise jetzt zu ändern, bevor der Prozeß der Maslowa nicht entschieden ist," dachte Nechljudow. Und dann ist das auch allzu schwer. Es wird sich trotzdem alles von selbst ändern, wenn sie freigesprochen oder verschickt wird, und ich ihr folge."
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An dem vom Advokaten Fang"
festgesetzten Tage fuhr Nechljudow zu ihm. Als er in seine prachtvolle, ihm selbst gehörige Wohnung mit riesigen Gewächsen, wunderbaren Gardinen an den Fenstern und überhaupt jener teuren Einrichtung trat, die von unsinnigen, das heißt ohne Mühe er haltenen Summen spricht, und welche nur bei unerwartet reich gewordenen Leuten angetroffen wird, traf Nechljudow im Empfangszimmer ganze Reihen von Besuchern, die, bedrückt wie beim Arzt, an Tischen mit illustrierten Journalen faßen, die zu ihrer Zerstreuung dienen sollten. Der Bureauvorsteher des Advokaten saß ebenfalls hier, an einem hohen Pult; als er Nechljudow erkannte, trat er auf ihn zu, begrüßte ihn und fagte er würde seinem Chef sofort Meldung machen. Aber der Bureauvorsteher war noch nicht bis zur Thür des Arbeitszimmers gelangt, als diese sich von selbst öffnete und laute, lebhafte Stimmen eines nicht mehr jungen, stämmigen Mannes, mit rotem Gesicht und dichtem Schnurrbart, in funtelnagelneuem Anzug, und Fanarins selbst ertönten. Auf den Gesichtern beider lag derjenige Ausdruck, den man bei Leuten
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