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fchlauem Geficht. Genau solche Antworten fand Nechljudow in gelehrten Büchern auf seine eine Grundfrage.
Da stand sehr viel Verständiges, Gelehrtes, Interessantes, aber es gab teine Antwort auf die Hauptfrage: mit welchem Recht bestrafen die einen die andern? Es gab nicht nur keine Antwort darauf, sondern alle Erörterungen liefen darauf hinaus, die Bestrafung überhaupt zu erklären und zu rechtfertigen, deren unbedingte Notwendigkeit als Axiom aufgestellt wurde. Nechljudow las viel, aber mit Unterbrechungen, und schrieb das Fehlen einer Antwort diesem oberflächlichen Studium zu. Er hoffte, diese Antwort später zu finden, und erlaubte sich deshalb noch nicht, an die Richtigkeit der Antwort zu glauben, welche sich ihm in letzter Zeit immer häufiger und häufiger aufdrängte.
Einunddreißigstes Kapitel.
Die Abfertigung des Transportes, mit dem die Maslowa ging, war für den 5. Juli festgesezt. An diesem Tage bereitete Nechljudow sich auch vor, ihr nachzureisen. Am Abend vor seiner Abreise kam Nechljudows Schwester mit ihrem Gemahl in die Stadt, um sich von ihrem Bruder zu verabschieden.( 19)
Rechljudows Schwester, Natalia Jivanowna Ragoshinskaja, war zehn Jahre älter als der Bruder Er war zum Teil unter ihrem Einfluß aufgewachsen. Sie hatte ihn als Knaben fehr lieb gehabt, dann, furz vor ihrer Verheiratung, hatten fie fast wie Altersgenossen miteinander verkehrt; fie als fünfundzwanzigjähriges Mädchen, er ein fünfzehnjähriger Knabe. Sie war damals in seinen verstorbenen Freund Nitolenka Jrtenjem verliebt gewesen. Beide hatten Nikolenka lieb und liebten an ihm und an sich selbst dasjenige, was in ihnen Gutes war und was alle Menschen vereinigt.
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Seitdem waren sie beide sittlich verdorben: jer durch den Militärdienst und durch seinen üblen Lebenswandel; fie -durch die Heirat eines Manns, den sie sinnlich liebte, der selbst aber alles das, was einst für sie und Dmitrie das allerheiligste und teuerste gewesen war, nicht nur nicht liebte, sondern sogar nicht einmal verstand, und der alles Streben nach sittlicher Vervollkommnung und die Bereitwilligkeit, andern zu dienen. wofür sie damals lebte, einem ihm allein berständlichen starken Zug von Selbstliebe zuschrieb, und dem Wunsche, sich vor andern hervorzuthun!
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Inkognito.
( Nachdruck verboten.)
Stizze von Anton Tschechow . Deutsch von J. D. 8iegeler. Der Verhörsrichter Posudin kam per Lohnfuhr auf einem Neben wege, der nach der kleinen Kreisstadt Nikolstoje führte, gefahren. Er hatte am vorhergehenden Tage einen anonymen Brief erhalten, der gewisse Unregelmäßigkeiten im Geschäftsgang einiger Behörden aufeiner kleinen Station den Zug verlassen und fuhr, um sein Inkognito deckte, und da er die Missethäter abzufassen wünschte, hatte er auf zu wahren, auf gemietetem Fuhrwerk weiter.
" Diesmal entwischen sie mir nicht", sagte er zu sich selbst, während er den Rodtragen über die Chren aufklappte,„ die Schlingel glauben natürlich, das heilige Grab sei wohl verwahrt, aber sie fönnten sich doch irren. Und wenn ich nun plötzlich zwischen ihnen auftauche, werden sie einen heillosen Schreck bekommen!"
Nachdem er im voraus seinen Triumph genossen, dachte er, daß es ganz spaßig sein könnte, sich ein wenig mit dem Kutscher zu unterhalten, und da er sich über seine eigene Bopularität zu unter richten wünschte, lenkte er das Gespräch auf sich selbst.
der
einen
,, Sag mal! fenust Du Posudin?" fragte er in leichtem Tone. Bon Ansehen nicht, aber sonst kenne ich ihn wohl!" antwortete Kutscher und lachte in den Bart.
Worüber lachst Du?"
Mann tenne, der zum Nichter über uns alle gefegt ist. leber Ihre Frage. Sie können doch wohl denken, daß ich Das ist ja, wenn ich so sagen darf, meine verdammite Pflicht und Schuldigkeit." radauss
" Run ja schon recht, aber... wie ist er eigentlich? Ist er tüchtig?"
Oja, tüchtig genug ist er", antwortete der Kutscher gähnend, und er kennt sein Geschäft. Er ist erst zwei Jahre hier, aber in dieser Zeit hat er gar nicht so wenig ausgerichtet."
Wie meinst Du das: ausgerichtet?"
" Ja, fürs erste hat er uns eine Eisenbahn verschafft, und darüber find wir froh. Sehen Sie, sein Vorgänger im Amt war ein wahrer Schlingel und ein Betrüger, aber als Posudin kam, da pfiff ein andrer Wind. Nein, Bosudin läßt sich nicht bestechen, von der Sorte ist er nicht. Sie können ihm hundert, ja tausend Rubel bieten, er nimmt fie nicht, nein, das thut er nicht."
" Gott sei Dank, daß man mich doch in dieser Beziehung richtig tagiert," dachte Posudin triumphierend, fo etwas hört man gern. Kutscher fort, er ist nicht im geringsten hochmäßig. Kommt einer lud er ist auch ein feiner und angenehmer Mann," fuhr der von uns und bellagt fich über etwas, giebt er uns die Hand und sagt:„ Sekt Ench, lieber Freund," und dann geht er rasch ans Werk. Sobald ihm eine Sache gemeldet ist, setzt er sich in den Wagen und jagt darauf los, was das Zeug halten will. Ja, er ist wirklich besser als sein Vorgänger. Nun, der andre hat ja auch seine guten Seiten. Er war ein sehr ansehnlicher Herr, und er hatte eine Stimme, die man eine Meile im Umkreis hören konnte. Der, den wir jetzt haben, ist ihm dagegen an Berstand weit über, ja, Pofudist ist wirklich tüchtig, aber er hat den Fehler, daß er trinft." Gott sei Dank, das thut er," dachte Posudin.„ Aber woher weißt Du, daß er trinkt?"
"
Ragoshinski war ein Mann ohne Namten und Vermögen, aber ein sehr geschickter, diensteifriger Beamter, der, behende zwischen liberalen und konservativen Anschauungen hindurchlavierend, stets diejenige Richtung benutte, welche im gegebenen Moment und im gegebenen Fall die besten Resultate für sein Leben lieferte, und der namentlich durch etwas Apartes, wodurch er Frauenzimmern gefiel, eine relativ glänzende juristische Karriere machte. Als schon nicht mehr ganz junger Mann hatte er im Auslande die Bekanntschaft Nechljudows gemacht, Natalia, das ebenfalls nicht mehr ganz junge Mädchen für sich entflammt und sie fast gegen den Wunsch der Mutter geheiratet, die in dieser Ehe eine Mesalliance erblicte. Nechljudow aber wenn er das auch vor sich selbst berheimlichte und gegen dieses Gefühl ankämpfte haßte feinen Schwager. Er war ihm antipathisch durch seine Gefichtsroheit, seine beschränkte Selbstüberzogenheit und alle sehen, aber wenn dieser trinkt, schließt er sich ein. Und damit hauptsächlich wegen der Schwester, die diese armselige Natur so leidenschaftlich, egoistisch, sinnlich lieben und in ihrem Kultus alles das Gute ersticken konnte, was in ihr wohnte. Es war für Rechljudow immer' ein quälend schmerzlicher Gedanke, daß Natalia die Frau dieses behaarten, selbstüberzogenen Menschen mit blanker Platte sei. Er konnte sogar feine Abneigung gegen die Kinder nicht bezwingen. Und jedesmal, wenn er erfuhr, daß sie sich anschickte, Mutter zu werden, empfand er ein Gefühl, ähnlich dem Bedauern darüber, daß sie von diesem fremden Mann wieder einmal mit etwas Schlechten angestedt worden sei.
Ragoshinskis tamen allein, ohne Kinder
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sie hatten
und
" Ja, selbst habe ich es nicht bemerkt, und zwar deshalb nicht, weil ich ihn nie gesehen habe; aber alle wissen, daß er trintt. Sehen Sie, wenn er in Gesellschaft oder auf einem Ball ist, dann trinkt er nie Spiritus, aber zu Hause, da rächt er sich. Des Morgens, ehe er sich den Schlaf aus den Augen gerieben hat, verlangt er Branntwein, und wenn sein Diener ihm das erste Glas bringt, jagt er ihn schon nach dem zweiten. Und so geht es den ganzen Tag. Aber wie gesagt, außer dem Hauſe thut er es nie. Er weiß sein Ansehen zu wahren. Wenn der vorige trant, ließ er es die Leute nicht merken, daß er seinen Gaumen nezt, hat er sich eine Art Behälter mit einem Schlauch daran in seinem Schreibtisch machen laffen. Den füllt er mit Branntwein, und dann saugt er am Schlauch, bis er betrunken ist. Und in seinem Wagen hat er eine ähnliche Einrichtung." Großer Gott, woher mag er dies doch alles wissen?" dachte Bofudin entsetzt, sogar die Geschichte mit dem Behälter ist schon bekannt. Das ist ja schrecklich."
andre
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" Na, und den Frauenzimmerit fann er auch nicht widerstehen," meinte der Kutscher und wandte sich schmunzelnd halb zu seinem Fahrgast zuriid. Er hat zwei bei sich in Hause. Die eine- fie heißt Anastasia Swanowna gilt für seine Haushälterin und die wie heißt sie doch noch-ja richtig, Ludmilla,-die arbeitet auf seinem Bureau. Aber Anastasia führt das Kommando, sie hat ihn gehörig zwei Kinder einen Knaben und ein Mädchen- in der Tasche, und er muß unbedingt gehorchen. Und deshalb stiegen im besten Zimmer des besten Gasthauses ab. Natalia fürchtet man sie mehr als ihn, ja, die Frauenzimmer verstehen zu wanowna fuhr sofort nach der alten mütterlichen Wohnung. regieren. Und dann hat er noch eine dritte, die wohnt in der Als sie dort aber ihren Bruder nicht fand und von Agrafena Karrelstraße in dem roten Eckhaus." Petrowna erfuhr, daß er ein möbliertes Zimmer bezogen. Mein Gott, er fennt sogar ihre Namen und weiß, wo sie habe, fuhr sie dorthin. Ein schmußiger Aufwärter, der ihr in wohnen", dachte Posudin beschämt. Aber woher mag er das wiffen? Sag mal, woher dem dunkeln, von beengendem Dunst erfüllten, am Tage durch Es ist ja abscheulich, geradezu niederträchtig. eine Lampe erhellten Korridor begegnete, erklärte ihr, der weißt Du das eigentlich alles?" fragte er in gereiztem Ton. Ach, das ist so allgemein bekannt. Seine eignen Leute gehen Fürst sei nicht zu Hause. herum und sprechen darüber, und selbst Anastasia läuft umher in allen Straßen und Gassen und rühmt sich ihres Glücks. Na, und dann hat er die Manier, die Leute überrumpeln zu wollen, wenn
( Fortsetzung folgt.)
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