Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 139.
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Auferstehung.
Freitag, den 20. Juli.
( Nachdrud verboten.)
Der General war nicht wohl und empfing nicht. Nechljudow bat trotzdem den Lakaien, feine Karte zu übergeben, und der Lakai kehrte mit der günstigen Antwort zurück:
Ich soll bitten."
Der Flur, der Lakai, eine Ordonnanz, die Treppe, der Saal mit glänzend gebohntem Parkett alles das war ähnlich wie in Petersburg , nur etwas schmußiger und impofanter. Nechljudow wurde in das Arbeitszimmer geführt.
Der General, ein aufgedunsener, vollblütiger Mensch mit einer Kartosselnase und vorstehenden Knoten, kahlem Schädel und Säckchen unter den Augen, saß im tartarischen seidnen Schlafrock da und trank mit einer Cigarette in der Hand Thee aus einem Glase in silbernem Einsatz.
,, Guten Tag, mein Freund. Entschuldigen Sie, daß ich Sie im Schlafrock empfange, immer besser als gar nicht," sagte er und schlug den Schlafrock um seinen dicken, hinten faltig gerunzelten Hals zusammen. Ich bin nicht ganz wohl und gehe nicht aus. Was führt Sie denn in unsre weltferne Gegend?"
„ Ich habe eine Sträflingsabteilung begleitet, in der eine mir nahestehende Perfon ist," sagte Nechljudow, und bin nun gekommen, Euer Excellenz teils wegen dieser Person und dann noch in einer andern Angelegenheit zu bitten."
Der General zog fich zufammen, schlürfte Thee, löschte die Zigarette an einem Malachitaschbecher aus und hörte ernst zu, ohne die schmalen, schwvinimenden, glänzenden Augen von Nech Ijudow abzuwenden. Er unterbrach ihn muur, um zu fragen, ob er nicht rauchen wolle.
Der General gehörte zu jenem Schlage gelehrter Militärs, die eine friedliche Vereinigung von liberalem und humanem Wesen mit ihrem Beruf für möglich halten. Aber als Mensch, der von Natur gut und verständig war, fühlte er sehr bald die Unmöglichkeit solcher friedlichen Vereinigung, und um nicht den inneren Widerspruch zu sehen, in dent er sich beständig befand, ergab er sich immer mehr und mehr der so stark verbreiteten Gewohnheit. viel Wein zu trinken. Er war ganz von Wein durchtränkt. Er brauchte mur irgend eine Flüssigkeit zu trinken, um einen Rausch zu empfinden. Weintrinken war aber für ihn ein solches Bedürfnis, daß er ohne dasselbe nicht leben konnte. Nur morgens, gerade zu der Zeit, wo Nechljudow ihn traf, war er cincin vernünftigen Menschen ähnlich und konnte verstehen. was man zu ihm fagte, und mehr oder weniger glücklich durch die That ein Sprichwort bewahrheiten, das er gern gebrauchte: Betrunken und doch verständig, trägt zwei Seelen invendig." Die höchsten Behörden kannten sein Lafter, aber er war trotzdem gebildeter als andre obgleich er in seiner Bildung auf dem Fleck stehen blieb, wo ihn seine Trunkenheit erwischte war fühit, geschickt und repräsentierte und verstand auch im trunkenen Zustande sich taktvoll zu benehmen. Deswegen war er ernannt worden und wurde auch auf dem Posten gehalten, den er bekleidete.
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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Nechljudow erzählte dem General, daß die Person, die ihn interessierte, ein Weib sei, daß sie unschuldig verurteilt wäre und daß ihretivegen eine Bittschrift allerhöchsten Orts eingereicht worden sei.
So- o? Nun und?" sagte der General.
Man hat mir in Petersburg versprochen, ich sollte Nach richt über das Schicksal dieser Frau nicht später als diesen Monat und hierher erhalten..."
Ohne die Augen von Nechljudow abzuwenden, streckte der General die Hand mit den turzen Fingern nach dem Tisch aus, flingelte und fuhr fort, schweigend zuzuhören, indem er mit der Cigarette qualmte und besonders laut hustete.
So möchte ich wohl bitten, wenn es möglich ist, dieses Weib so lange hier zu behalten, bis die Antwort auf das eingereichte Gnadengesuch eintrifft.."
Ein Diener, ein Bursche in Uniform, trat ein.
1900
" Frag, ob Anna Wassiljer na aufgestanden ist," sagte der General zu dem Burschen ,, und bring' noch Thee. Sonst noch etwas?" wandte sich der General an Nechljudow.
Meine zweite Bitte," fuhr Nechljudow fort,„ betrifft einen politischen Gefangenen, der in derselben Abteilung marschiert." So, so!" sagte der General, bedeutungsvoll mit dem Stopf nickend.
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..Er ist schwer frank ein Sterbender. Und man wird ihn wahrscheinlich hier im Krankenhaus zurücklassen. Da möchte eine von den weiblichen politischen Gefangenen bei ihm bleiben."
Ist sie ihm fremd?" 090
" Ja, aber sie ist bereit, ihn zu heiraten, wenn nur das ihr die Möglichkeit verschafft, bei ihm zu bleiben."
Der General schaute mit seinen glänzenden Augen unverwandt geradeaus und schwieg, offenbar im Wunsche, seinen Nachbar durch den Blick in Verwirrung zu bringen; dabei rauchte er fortwährend.
Als Nechljudow geendet hatte, nahm der General ein Buch vont Tisch und fand bald, indem er geschwind die Finger beleckte, mit denen er die Seiten umblätterte, den Artikel über die Ehe und las ihn durch.
In dat
,, Wozu ist sie verurteilt?" fragte er, die Augen von dem Buch erhebend.
Sie zu Zwangsarbeit."
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Nun, so kann die Lage des Verurteilten infolge seiner Ehe feine Besserung erfahren."
„ Ja, aber
"
,, Erlauben Sie. Selbst wenn ein Freier sie heiratete, müßte sie trotz alledem genau so ihre Strafe abbüßen. Hier ist die Frage: wer erträgt die schiverere Strafe- er oder sie?" Sie sind beide zu Zwangsarbeit verurteilt."
"
"
,, Nun, dann sind sie quitt", sagte der General lachend. Was ihm geschicht, geschieht auch ihr. Ihn kann man wegen feiner Krankheit hier lassen," fuhr er fort; und natürlich wird alles gethan, was zur Erleichterung seines Loses möglich iſt; aber sie fann, auch wenn sie ihn heiraten würde, nicht hier bleiben..
" Frau Generalin trinken Staffee," meldete der Diener. Der General nickte mit dem Kopf und fuhr fort: Uebrigens denke ich noch nach. Wie sind ihre Namen? Schreiben Sie sie hier auf."
Nechljudow schrieb die Namen auf.
„ Auch das kann ich nicht," sagte der General zu Nechljudow, auf seine Bitte, den Kranken sehen zu dürfen. Ich habe natürlich keinen Argwohn gegen Sie," sagte er, aber Sie interessieren sich für diese und andre, und Sie besigen Geld. Hier bei uns ist aber alles käuflich. Wie kann ich einen Menschen fünftausend Werft weit beaufsichtigen? Er ist da Selbstherrscher. Gerade so wie ich hier," und er lachte. Sie haben sogar mit politischen Gefangenen gesprochen, haben Geld gegeben, und dann hat man Sie eingelassen?" fragte er lächelnd. Ist es so?"
" Ja, das ist wahr."
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" Ich verstehe, daß Sie so handeln mußten. Sie wünschten einen politischen Gefangenen zu sehen. Er thut Ihnen leid. Der Aufseher aber oder Eskortesoldat nimmt Geld, weil er acht Groschen Sold erhält und Familie hat da fann er gar nicht anders als nehnien. Ich an seiner und an Ihrer Stelle würde genau so handeln, wie Sie und er. Auf meiner Stelle aber erlaube ich mir nicht, auch nur ein wenig vom Buchstaben des Gesetzes abzuweichen, gerade. weil ich ein Mensch bin und mich von Mitleid hinreißen lassen kanu. Ich bin aber ein Vollstrecker; man hat mir unter bestimmten Bedingungen Vertrauen geschenkt, und ich muß dieses Vertrauen rechtfertigen. Nun, also diese Frage wäre erledigt. Jekt, mein Herr, erzählen Sie mir, was man bei Ihnen in der Residenz macht?"
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Und der General begann zu fragen und zu erzählen, offenbar in dem ziviefachen Wunsch, Neuigkeiten zu erfahren und feine ganze Bedeutendheit und seine Humanität zu zeigen.
Dreiundzwanzigstes Rapitel.
Nun, also die Sache ist so: bei went wohnen Sie? Bei Düthoff? Nim, da ist's auch häßlich. Kommen Sie zur