551
Mittagessen," sagte der General , als er Nechlindow entließ, ,, um fünf Uhr. Sie sprechen englisch ?"
C
" Jawohl."
Nun, das ist schön. Sehen Sie, da ist ein Engländer angekommen, ein Reisender. Er studiert die Deportation und die Gefängnisse in Sibirien . Also der wird bei uns zu Mittag essen, und Sie kommen auch. Wir essen um fünf, und meine Frau verlangt Pünktlichkeit. Ich werde Ihnen dann auch Antwort geben, wie man mit dem Weibe verfährt und ebenso bezüglich des Kranken. Vielleicht ist es möglich, jemand bei ihm zu lassen."
Nachdem Nechljudow sich von dem General verabschiedet, fuhr er in besonders erregter, unternehmender Stimmung zur Post.
Das Postamt war ein niedriges Zimmer mit einem Gewölbe; hinter einem Pult saßen die Beamten und gaben den sich drängenden Leuten die Postfachen heraus. Ein Beamter, der den Kopf auf die Seite geneigt hatte, stampfte mit einem Stempel unaufhörlich auf geschickt herangeschobene Couverts. Nechljudow ließ man nicht lange warten, nachdem man seinen Namen erfahren; er erhielt sofort eine ziemlich große Korrespondenz. Nach Empfang seiner Briefe trat Rechljudow zu einer hölzernen Bank, auf der ein Soldat, der auf etwas wartete, mit einem Buche saß, und setzte sich neben ihn, indem er die erhaltenen Briefe durchsah. Unter ihnen war ein eingeschriebener Brief ein schönes Couvert mit sorgfam geprägtem Siegel aus hellrotem Siegellack. Er erbrach das Couvert, und als er einen Brief von Seljonin mit irgend einem amtlichen Papier erblickte, fühlte er, daß ihm das Blut ins Gesicht strömte und sich sein Herz zusammenzog. Das war die Entscheidung in Katjuschas Angelegenheit. Wie war diese Ent scheidung? Wirklich eine Ablehnung? Nechljudow durchflog eiligst das mit feinen, schwer entzifferbaren, festen, gezackten Zügen Geschriebene und atmete froh auf. Die Entscheidung war günstig.
-
Revolution und Reaktion in
Niemals war eine Lage flarer und entschiedener als die von 1660. Niemals war dem Gutgesinnten sein Verhalten deutlicher vorgezeichnet.
England war Cromwell los. Unter der Republik waren viele Unregelmäßigkeiten vorgekommen. Man hatte das englische Uebers gewicht geschaffen; man hatte mit Hilfe des dreißigjährigen Krieges Deutschland gemeistert, mit Hilfe der Fronde Frankreich gedemütigt, mit Hilfe des Herzogs von Braganz Spanien verkleinert. Man hatte das Festland erzittern gemacht, den Frieden vorges schrieben, den Krieg beschlossen, die englische Fahne auf allen Höhen aufgepflanzt; ein einziges Regiment Cromwells, die„ Eisenschienen", hatte für den Schrecken Europas die Wucht einer Armee; Cromwell sagte:" Ich will, daß man vor der englischen Republik Ehrfurcht habe, wie vor der römischen"; es gab nichts Unantastbares mehr; das Wort war frei, die Presse war frei; man sagte auf offener Straße was man wollte; das Gleichgewicht der Throne war zerstört; die ganze monarchische Ordnung Europas , zu welcher die Stuarts gehört hatten, war umgestürzt worden. Endlich hatte man diese gehässige Regierung vom Halfe, und England erhielt Berzeihung. Der nachsichtige Karl II. hatte die Erklärung von Breda er faffen. Er hatte England huldreich bewilligt, eine Epoche zu vergessen, wo der Sohn eines Brauers von Huntingdon Ludwig dem Sechzehnten den Fuß auf den Nacken sezte. England war renig und atmete auf. Der Jubel war, wie gesagt, vollständig, und der Galgen der Königsmörder vermehrte noch die allgemeine Frende. Eine Nes ftauration ist ein Lächeln; aber ein wenig Hochgericht steht ihm gut, und das öffentliche Gewissen muß befriedigt werden. Der Geist der Unbotmäßigkeit war gewichen; das Königtum begründete sich aufs neue. Ein guter Unterthan sein, war von mun ab der einzige Ehre geiz. Man war von den Thorheiten der Politik zurückgekommen, man verunglimpfte die Revolution, man spottete über die Republik und über jene sonderbaren Reiten, in denen man stets hochtönende Wörter wie Recht, Freiheit, Fortschritt im Munde führte, man lachte über solchen Schwulst. Die Rückfehr zur Verniuftigkeit war wunders bar; England hatte geträumt. Welches Glück, daß man diese Ver irrungen hinter sich hatte. Gab es etwas Unsinnigeres? Was sollte daraus werden, wenn der erste beste recht hatte? Stann man sich's denken, daß alle Leute herrschen sollen? Daß ein Stadtivesen von den Bürgern geleitet werden soll? Die Bürger find ein Gespann, und ein Gespann ist der Rutscher nicht. Abstimmen heißt in den Wind reden. Sollen die Staaten in der Luft schweben wie die Wolken? Mit der Unordnung errichtet man die Ordnung nicht. Wenn Chaos Baumeister ist, wird das Gebäude ein Vabel verden. Und was ist übrigens diese sogenannte Freiheit für ein Tyrann! Ich will mich amüsieren und nicht re= gieren. Abstimmen ist mir langweilig; tanzen will ich. Gewiß, es ist großmütig von diesem König, daß er sich unsertwegeit solche Mühe giebt. Und dann ist er darin aufgewachsen; er tennt's. Es ist seine Sache. Was geht Krieg, Frieden, Gesetzgebung, Finanzen Der Inhalt des Papiers selbst war folgender: Kanzlei die Böller an? Ohne Zweifel muß das Bolt bezahlen, ohne Zweifel muß es dienen; aber daran muß es sich genügen laffen. Es hat Seiner Kaiserlichen Majestät zur Annahme von Gnadengefuchen auch seinen Anteil an der Politit; aus ihm gehen die beiden Mächte an den Allerhöchsten Namen. Die und die Prozeßverhandlung des Staats hervor, das Heer und das Budget. Steuerpflichtig sein Die und die Abteilung, das und das Datum, Jahr. Auf und Soldat sein, ist das noch nicht genug? Was braucht es mehr; Geheiß des Chefs der Kanzlei Seiner Kaiserlichen Majestät es ist der militärische Arm, es ist der finanzielle Arm. Eine prächtige zur Annahme von Gnadengesuchen an den Allerhöchsten Namen Rolle. Man regiert anstatt feiner; dieje Dienstleistung muß es doch wird hiermit der Kleinbürgerin Jekaterina Maslowa fund belohnen. Steuern und Civilliste sind ein Gehalt, das die Völker Das Volk giebt sein Blut und gethan, daß Seine Kaiserliche Majestät nach Höchstihr gehal- zahlen und die Fürsten verdienen. tenem Allerunterthänigstem Vortrage in gnädigem Willfahren ein wunderlicher Gedanke; ein Führer thut ihm Not. Da das Volk fein Geld, wofür man es leitet. Sich selbst leiten wollen, was für der Bifte der Maslowa Allerhöchst zu befehlen geruht wissend ist, so ist es blind. Hat der Blinde nicht einen Hund? haben, ihre Zwangsarbeit in Ansiedelung in einem nicht sehr nur ist das für das Wolf ein Löwe, der König, welcher der Hund entfernten Teil Sibiriens umzuändern." zit fein geruht. Welche Güte! Aber warum ist das Volk umvissend? weil es unwissend sein muß. Die Unwissenheit ist die Wächterin der Tugend. Wo keine Aussichten sind, da ist kein Ehrgeiz. wiffende lebt in einer niglichen Nacht, die, weil sie den Blick unterliest, denkt, wer denkt, räfonniert. Nicht räjonnieren ist Pflicht. Es drückt, auch die Begierden unterdrückt. Daher die Unschuld. ist auch ein Glück. Diese Wahrheiten sind unumstößlich. Auf ihnen beruht die Gesellschaft.
Sieber Freund!" schrieb Seljonin. Uusre legte Uuter haltung hat in mir einen starken Eindruck hinterlassen. Du hattest recht in Bezug auf die Maslowa. Ich habe den Prozeß aufmerksam durchgesehen und gefunden, daß eine empörende ungerechtigkeit an ihr verübt ist. Gutmachen konnte man das nur in der Kommission für Gnadengefuche, an die Du Dich auch gewandt hast. Es glückte mir, die Ent scheidung der Sache dort zu erwirken, und hier schicke ich Dir eine Abschrift der Begnadigung an die Adresse, die mir die Gräfin Jekaterina Iwanowna gegeben hat. Das Originial ist an den Ort geschickt, wo sie während der Gerichtsverhand- Ein Fürst, der alle Arbeit übernimmt, ist eine Vorsehung. lung inhaftiert war und wird wahrscheinlich sofort an die Sibirische Hauptverwaltung gesandt. Ich drücke Dir freund schaftlich die Hand. Dein Seljonin."
dilla
Wer
Diese Nachricht war eine freudige und wichtige: es war alles eingetroffen, was Nechljudow für Katjuscha und für sich selbst wünschen konnte. Allerdings stellte diese Aenderung ihrer Lage eine neue Komplikation in dem Verhältnis zu ihr dar. So lange sie Zwangsarbeiterin blieb, war die Ehe, die er ihr anbot, eine fiftive und hatte nur insofern Bedeutung, als sie ihre Lage erleichterte. Jekt stand aber ihrem Zufammenleben an einem Ort nichts mehr im Wege. Und darauf war Nechljudownicht vorbereitet. Außerdem So waren denn die gesunden gesellschaftlichen Grundsätze in ihr Verhältnis zu Simonson? Was bedeuteten ihre gestrigen England wiederhergestellt. So war die Nation wieder zu Ehren geWorte? Und wenn sie nun einwilligte, sich mit Simonson zu Zu derfelben Zeit fehrte man zur schönen Litteratur bereinigen, war das gut oder schlecht? Er konnte auf feine Weise mit diesen Gedanken zurechtkommen und begann jetzt nicht weiter darüber nachzudenken. Alles das wird sich später entscheiden", dachte er, jetzt ist es nötig, sie so schnell wie *) Aus dem Noman, Der Sohn des Rebellen", der möglich zu sehen, ihr die frohe Neuigkeit mitzuteilen und sie in Freiheit zu setzen." Er glaubte, die Kopie, die er in lachende Man") mit den Illustrationen der franzöfifchen Original zur Zeit( in neuer Bearbeitung des Victor Hugoschen Romans„ Der Händen hätte, wäre hierfür genügend. Und er trat aus dem ausgabe in der vom Verlag der Buchhandlung Vorwärts Bostamt heraus und hieß den Kutscher nach dem Gefängnis herausgegebenen Nomanbibliothek In freien Stunden" fehren. ( Fortsegung folgt.) Terscheint.
"
tonimen.
auriid. England erhob sich von der Schmach und der Ausschweifung der Bergangenheit. Es ist ein großes Glück für die Nationen, von der
"