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panzerter Faust niedergeschlagen werden. Patrioten, Pfui Bilfener" ergellt der Schlachtruf, kein deutscher Mann trinkt einen Tropfen slavischen Viers, und müßten sie allesamt verdurftet auf der Strecke liegen. Erhabener Patriot, wahre deine Würde und bezahle nicht, wär's selbst dein Tod, fünf Pfennig mehr für den halben Liter czechischen Bieres! Es ist grauenhaft und bewunderungswürdig zu­gleich, bei solcher Hize Nationalgefühle zu bewähren.

Aber die Glut vermag auch Wunder zu erzeugen, sie heizt den menschlichen Erfindungsgeist, daß er die genialsten Erfindungen her­vorbringt. Keine größere nud mehr überraschende Entdeckung ist bisher der Menschheit gelungen als die, von der man in den letzten Zeiten überall in den Blättern liest: Im Hochsommer des Jahrs 1900 ist es endlich nach mehrtausendjähriger Arbeit gelungen den Begriff der europäischen Kultur zu ent­decken.

uns

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Kleines Feuilleton.

g. Im Staube. Breit und sonnig zog sich die Chaussee in das Land hinein. Rechts und links wogende Kornfelder, goldgelb ge= brannt, hin und wieder ein Baum, aber nur fümmerlich, verkrüppelt, als fömite er nicht recht fortkommen in all' dem Staub und Sand. Erst ganz in der Ferne tauchte der Wald auf, dunkel, frisch und grün. Ein bläulicher Dunst lagerte über ihm, er stieg aus dem Strom empor, der zu seinen Füßen hinfloß. Ein frischer Hauch ging von diesem Dunft aus, ein Hauch, der die schattenlose Dürre der Land­straße noch dürrer und öder erscheinen ließ.

Da wo die Chaussee eine Biegung machte, arbeiteten die Straßen arbeiter. Es waren ihrer acht Mann. Die einen rissen das Erdreich auf, die andern füllten es mit Steinen, einige hatten schwere Ramment und stampften damit das neue Pflaster feft. Ein Alter stand seitwärts am Es ist also ausgemachte Sache: die Völker Europas gehen Chauffeegraben und warf große Schaufeln Sand durch ein schrägs mit Schießgewehren und Kanonen nach China , um die gestelltes, fiebartiges Drahtney. Der Sand flog hindurch, wobei die europäische Kultur" zu verbreiten. Sie sagen es alle, und am Steine vor dem Netz hernieder kollerten. Jedesmal, wenn ein neuer schönsten sagt es der Herr Dagobert von Gerhardt- Amyntor, der Wurf gegen das Drahtnet flog, stieg eine große Staubwolte auf. sich schon als Flottenphilosoph bewährte, und jetzt also schreibt: Es staubte überhaupt auf der Chauffee. Das geringste Lüftchen " Die Aufgaben der Kultur berechtigen und zwingen genügte, um den feinen Sand in ganzen Wassen emporzutreiben. jedes zurüdgebliebene Bolt unter das Die spärlichen Gräser, die am Wegrand wuchsen, hatten überhaupt Gesez unserer Ethik( Ethik ist gut; Herr D. v. G.-A. feine grüne Farbe mehr; wie eine dicke, weiße Mehlschicht lag es scheint mit Fremdworten Schwierigkeiten zu haben. Joc.) zu darüber. Die acht Männer arbeiteten schweigend. Sie hatten die beugen. Soll Ruhe und Frieden, Gesitting und Entwidelung Stöcke ausgezogen, die Aermel der dünnen, viel geflickten Hemden herrschen, so haben die Völker, die an der Spitze der Bildung waren hoch gekrempelt, der Schlik stand offen und ließ die bloße marschieren, bas unbestreitbare und unveräußerliche Recht, Brust sehen. Trotzdem rann ihnen der Schweiß in hellen Tropfen widerstrebende Elemente zum Gehorsam zu zwingen und, wenn über die verwetterten, rungligen Gefichter. Ab und zu hielt einer nötig, mit der Schärfe des Schwerts ihnen die Anerkennung inne und fuhr auffeufzend mit der Hand über die Stirn; dann einer überlegenen Bildung beizubringen. Deshalb ist die Kultur- sah auch ein andrer auf:" Ne dolle Hive!" welt gezwungen und berechtigt, die geschlossenen Küsten des sittlich" Ja,' ne dolle Hize." Dann arbeiteten sie wieder weiter, als erstarrten Chinas gewaltsam zu öffnen und dort ein Recht zu tofte es ihnen Anstrengung, auch nur ein Wort zu sagen. pflanzen, das den feefahrenden civilisierten Nationen Schuß und Am Nachmittag belebte fich die Chaussee. Von der Stadt her Sicherheit gewährt." tamen Ausflügler, fie tamen in ganzen Scharen, zu Fuß, zu Noß und zu Wagen, die zu Roß und zu Wagen über: vogen jedoch, es waren vornehme Ausflugsorte, die dort im fernen Walde lagen, der ganze Westen" gab sich da ein Stelldichein.

Nitter Dagobert, der zivar einst das Schlachtschwert mit der Feder vertauschte, aber immer noch die Schriftstellerei nach den Instruktionen der Kaserne betrieb, Ritter Dagobert giebt uns mit diesen Sägen ein dreifaches Problem auf. Treierlei bleibt uns an der so gestellten Aufgabe, mit dem Säbel in China europäische Kultur einzuhauen, unergründlich: Erstlich, daß das Schwert ein geeignetes Mittel sei, Kultur zu verbreiten; zweitens, daß der Zweck des chinesischen Krieges wirklich sei, die erstarrten Chinesen edel­mütig mit Kultur zu beglücken; drittens und das ist das Un­ergründlichste, daß es so etwas wie eine europäische Stultur giebt.

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Taufend, zehntausend Millionen, eine Milliarde Taels dem jenigen, der mir sagt, was das für ein Ding sei, die europäische Kultur, von welcher Entdeckung doch alle Zeitungen reden. Ist es die kojakische Kultur, in der ein Tolstoj nur die Macht der Finsternis sicht? Ist es diese Kultur, die fast das ganze Volf in tiefster it­wissenheit in China kann jeder lesen und schreiben, in Rußland nur ein paar Auserwählte und leiblichem Elend erhält, wo die Massen erstarrt find in abergläubisch fraßenhaften Vor­ftellungen, die die das edlere religiöse Bewußtsein überwuchern, wo ein autokratischer Herrscher mit Hilfe eines feilen, verdorbenen, bestochenen Beamtentums die für unmündig erklärten Unterthanen regiert; wo die besten und redlichsten Menschen, die sich gegen das Unrecht auflehnen, zu Tode gemartert werden, wo es noch Rechtens ist, ohne geordnetes Rechtsverfahren Urteile zu fällen?

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Ist es die galizische Kultur oder die der Balkanländer? Ist es die deutsche Kultur, die die Peters, Leist und Arenberg in Afrika verbreiteten, ist es diese Kultur der Ausnahmegejeze gegen Volks­genossen, der gewaltsamen Unterdrückung von Meinungen und Etrebungen, ist es die Kultur von Konitz oder Kanossa , die Kultur der oftelbischen Schnitterhäuser, des schlesischeit Weberelends, des Kafernenhofs? Ist die französische Kultur der Nationalisten, Jesuiten und Generalstäbler oder die der Dreyfusards gemeint? Ist es die englische Kultur des Boerenkriegs, des Londoner Ostends, der Frennot? Ist es die spanische Kultur, die politisch Verdächtige mit ungeheuerlichen Foltern straft? Ist es die italienische Kultur der Maffia , der Bellagra und der Carusi in den fizilianischen Schwefelgruben?

Wo fasse ich den Einheitsbegriff der europäischen Kultur, welcher Art ist diese gegen China vereinigte Civilisation? Wer sagt es mir?..

Heute Nacht, als ich schlaflos lag, und um mich ein Streich­terzett von zwei Mücken, die im Schwirren feine hohe Geigentöne er­tlingen ließen, und eine Fliege, die das Cello strich, die endlosen Phantasien heißen Dunkels in Musik setten- selbst das mit Nelkenöl getränkte Taschentuch über meinem Kopf scheuchte die Fiedler nicht- Die ganze Nacht habe ich mich vergeblich gequält, was diese Zeitungen unter europäischer Kultur verſtünden. Denn die eine Erscheinung, die, mehr eine Hoffnung als bereits eine Thatsache, in Wahrheit als europäische Kultur bezeichnet werden könnte, der Socialismus, den meinen sie doch wohl nicht!

In unabsehbarer Reihenfolge rollten die eleganten Equipagen herbei, unter ihren Rädern flog der Staub noch dichter empor, besonders an der Stelle, wo die Arbeiter schafften und wo der Boden aufgewühlt war.

Die Insassen der Wagen stöhnten über den Staub. Die Damen faben seufzend auf ihre zarten Sommertoiletten, die Herren musterten ihre eleganten Promenadenanzüge. In allen Wagen brach man die Unterhaltung ab und beschäftigte sich nur noch mit dem Staub. Er legt sich einem förmlich auf die Lungen!"

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" Ja, wahrhaftig, man fann kaum atmen in dieser Luft." Mein Kleid sieht aus, als wäre es mit Kalt bestreut. Das bekommt die 3ofe überhaupt nicht wieder rein." " Nimmt diese gräßliche Chaussee denn noch kein Ende?" Ach und da wird ja auch noch gebuddelt um Gottes Willen wenn wir nur da erst vorbei wären." Schauerlich ist diese Fahrt das sage ich ja immer, man be­kommt Stopfschmerzen in dem Sonnenbrand." Da hilft auch gar kein Schirm und kein Hut." Na wir sind ja nun bald im Walde."

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Gott sei dant, daß wir da sind, unter den Bäumen wird man wieder Mensch."

Wir wollen uns mur ja recht an das Wasser setzen, da ist es so schön luftig und kühl."

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Ach ja und die Kühle wird gut thun, hier kann man wahrhaftig blödsinnig werden, mir klebt die Zunge am Gaumen." Warum hier überhaupt nicht gesprengt wird! Frechheit, einem Menschen zuzumuten, daß er all diesen Unrat ein­atmen foll!" " Ja, das ist es auch wirklich, eine tolle Frechheit!" Gott , mun beruhige Dich doch, Arthur, wir trinken draußen eine Flasche Rheimvein, dann werden wir wieder frisch." So ging das Gespräch in den Wagen.

Aber die Wagen rollten vorüber. Je weiter der Nachmittag vor­rückte, desto stiller wurde es wieder. Die Ausflügler waren alle draußen. Sie gingen durch die schattigen Wälder, sie faßen am fühlen Strom und erquickten sich am Wein.

Einsam und leer lag die Chaussee wieder da. Schattenlos und öde zog sie fich zwischen den Feldern hin, nur die Straßenarbeiter arbeiteten noch immer. Mit müden lässigen Bewegungen, schweigend, als toste es ihnen selbst Anstrengung ein Wort hervorzubringen, arbeiteten sie im Staube.

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Litterarisches.

Auch der

Kurt Aram : Gedichte. Piersons Verlag. Wir haben fürzlich den Auanian" des Autors besprochen. vorliegende Band stammt zweifellos von einem Dichter. Ob aber auch von einem Lyriker? Ich möchte die Frage nicht entscheiden, bevor weitere Leistungen vorliegen. Im allgemeinen gehen drama­Ich werde an Schlaflosigkeit zu Grunde gehen, wenn mir nichttische und lyrische Begabung nicht zusammen und ich glaube daher bald ein kluger Mann verrät, was diese einige europäische Kultur sei. auch nicht, daß der Dichter der satirischen Komödie Agrar= tommission" seine Lorbeeren auf lyrischem Gebet pflücken wird. Aber wie gesagt: entscheiden möchte ich noch nichts. Vor allem darum nicht, weil in dem Buch allerdings Gedichte sind, die starke Talentproben find. Es ist sogar ein

Eine Billion Taels dem Retter!

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Joc.