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noch war das Kodizill nicht zur Hälfte vernichtet. Hörten" Sagen Sie Herrn Mettmann , ich sei gefaßt. Er solle demir die Legate immer noch nicht auf? Unwillkürlich warf doch so freundlich sein, bald wieder vorzusprechen. Nein, fie einen Blick auf die nächste Belle, und ihre vollen weichen führen Sie ihn ins Balfonzimmer, ich will ihn empfangen." Wangen wurden um einen Schatten blässer. Da stand mit Langsam ordnete Leontine vor dem Spiegel ihren Trauer­Pitersens zitternder Hand geschrieben: anzug. Sie feite ein einfaches schwarzes Häubchen auf und legte ein schivarzes Kaschmirtuch um ihre Schultern; dann noch etwas Puder auf ihre Wangen. An der Thür kehrte sie um und nahm mit verächtlichem Achselzucken ein Taschentuch, das sie rasch zerknitterte, in die Hand. So schritt sie gemessen mit gesenktem Kopfe bis in den reichen hellen Raum, wo der alte Mettmann sie stehend erwartete.

Den armen Musikanten Gruber, den ersten Gatten meiner Frau Leontine, vermache ich eine lebenslängliche Rente von zweitausend Mark. Seinem Knaben, wenn derselbe noch lebt Leontine schauerte zusammen und hatte Luft, das Fenster zu schließen. Wie aus einer Versenkung stieg die Vergangen­heit vor ihr auf. Wie eine kahle Wirtstafel hatte sie ihren Mann und ihr Kind verlassen, um als reiche Frau Pitersen in einem glänzenden Hause zu leben. Und das Abenteuer war nicht ohne Unglücksfälle abgelaufen. Sie hatte einen Ge­liebten gehabt, und der verbrachte jetzt sein Leben dort hinter der grauen Häusermasse in der Heilanstalt auf dem Schöne berger Hügel. Ihren ersten Mann hatte ein stilles, reines Wesen geliebt; das hatte sich im ersten Entfehen den Tod. ge­geben, als die Schreckgestalt Leontinens ihr zum erstenmal in vollem Tageslichte begegnete. Und nun war auch Biterſen tot, und er war der Vater des stillen, reinen Wesens. Drüben, nur durch den öden Hof von ihr getrennt lag die Stube, aus der man den Sarg der Tochter getragen hatte wenn die Blätter fielen, wurden es drei Jahre aus derselben Stube hatte man heute den Sarg des Vaters langsam hinaus gebracht. Damals war nut Leontine thränenlos geblieben, heute hatte niemand geweint.

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So boshaft also konnte Bitersen sein, daß er sie zwang, ihrem verlassenen Gatten eine Rente auszuzahlen. Und ihrem Kinde? Sie zögerte ein Weilchen; dann legte sie das Blatt zweimal, viermal, achtmial übereinander und mit einem scharfen Riß. löfte fie acht fleine Papierfeßen los, die der Wind im Nu über die hohe Linde hinwegführte. Und ruhig fuhr sie in dem Werke fort und atmete erst auf, als der Tezte Rest des Blattes wie ein verlorener Schmetterling im Hofe untherwirbelte und endlich müde in einer Wafferlache unterging,

Nun lehnte sie sich in ihren Stuhl zurück und baute wieder einmal in Gedanken an der Zukunft ihres Lebens. Sie schloß die Augen und lächelte wie in glücklichen Träumen. Noc niemals hatte sie sich so frei und reich und schön gefühlt wie heute, noch niemals so die Herrin ihres fommenden Schicksals.

,, Meine arnie Freundin," rief er und faßte ihre beiden Hände, wir haben alle Ihre Halting am Grabe bewundert. Ich habe gar nicht zu glauben gewagt, daß Sie mich empfangen werden."

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Man muß versuchen, die schwersten Stunden so schnell wie möglich durchzumachen," sagte sie feierlich. Mettmann nickte beistimmend.

Sie fuhr fort: bio cibido Meinem guten Mann war die Erlösung von seinen lang­jährigen Qualeu wohl zu gönnten."

Sie hob die Hand mit dem Taschentuch ein wenig nach den Augen, ließ sie aber auf halbem Wege wieder sinken. ,, Sein Tod zwingt mich, ganz gegen meine Neigung, mich um allerlei geschäftliche Dinge zu bekümmern. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich mit Ihrer männlichen Erfahrung unterstützen wollten. Eine allein. stehende Witive- Wieder zuckte die Hand mit dem Taschentuch. ( Fortsetzung folgt.)

Jüdische Kolonien in Palästina.

Der Regen hatte längst aufgehört, die Abendsonne gliterte röflich in den fallenden Tropfen der Lindenblätter und Leontine saß noch immer einsam in ihrem Lehnstuhl, während ihre Vorstellungen von Sieg zu Sieg flogen und Weinbau- Stolonie angesiedelt. Angesichts der wachsenden Notlage vor ihrer Schönheit und ihrem Reichtum die Flügelthüren aller Luftschlösser aufsprangen. Vor ihr und vor ihm, dem Jüngling, den sie endlich gefunden hatte und der durch fie, für sie einerlei, der mit ihr hohen Zielen zustreben durfte, den sie im Parlament aufregende Reden halten hörte, während fie beneidet auf der Tribüne sah, der mit ihr in einen Ministerpalast cinzog und den es frente, wenn Berlin sich vor der schönen Frau Ministerin neigie, oder der als berühmter Komponist in allen Residenzen Europas wie ein Stönig ge­feiert wurde.

Leontine blätterte unter den Karten und Briefen, die angekommen waren. In Gedanken ordnete sie die Leute. Mit diesen wollte sie sofort brechen, mit andern langsam den Verkehr aufgeben. Die Gesellschaft des Kommerzienrats Bitersen sollte nicht auch die ihre bleiben. Sie wollte höher hinauf.

Und den Vorzug unter den neuen, vornehmen Freunden sollten diejenigen erhalten, welche ihn, den Jüngling, fördern fonnten.

Auch Graf Trienit hatte seine Karte geschickt. Leontine wußte, daß der franke Graf auf jeden eifersüchtig war, der seine Blauderstunde in ihrem Boudoir auch nur um die Stelle eines Stuhles störte. Aber er sollte dennoch gezwungen werden, ihr und ihrem Erwählten zu dienen.

Leontine bedauerte nur, daß ihr Spiel mit diesen Menschen nicht sofort beginnen konnte. Und doch

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Ihr Mädchen schlich so leise herein, wie es sich für ein Trauerhaus schickte.

Herr Verleger Mettmann sei da und frage nach dem Be­finden der gnädigen Frau.

Leontinens Augen leuchteten auf. Der Besuch schmeichelte ihrem Aberglauben; jedenfalls war er ein gutes Vorzeichen für ihre Träumereien.

Der Kölnischen Zeitung " wird geschrieben: Als Ende der siebziger Jahre die Verfolgung der Juden in Rußland einen immer größeren Umfang annahm, wurden zahllose Ifraeliten zur Auswanderung aus Rußland getrieben. Die Mehr­zahl wandte sich nach Amerila, nur ein kleinerer Teil siedelte sich int Palästina an, und ihnen schloß sich eine Anzahl Juden, die aus gleichen Gründen aus Rumänien auswanderten, an. Die ersten Jahre ihres Aufenthalts in Palästina waren, keine glücklichen. Sie wehrten fich zwar tapfer auf ihren von den einheimischen Bauern verlassenen und von ihnen täuflich erworbenen Besigungen zu Mulebbes und chudieh bei Jaffa und zu Samarin und Jaune in Galiläa gegen die Angriffe der einheimischen Bauern und Beduinen; aber sie ver­standen nichts vom Ackerbau; ihr Betriebskapital reichte nicht aus, und die ruffisch- jüdischen Studenten, die sie anfänglich aus Be geisterung für die Sache begleiteten und bei ihnen Tagelöhnerdienste verrichteten, erfalteten bald in ihrem Eifer und wurden schließlich 1884 selbständig in Chadra in der Schfela zur Gründung einer brachten zunächst einige reiche Glaubensgenossen ihnen beträchtliche Geldopfer, bis dann schließlich Baron Edmund v. Rothschild in Paris Interesie an dem Kolonisationswerke gewain imd dafür große Geldbeträge zur Verfügung stellte. Man spricht davon, daß er im Laufe der letzten etwa 17 Jahre nach und nach eine Summe von zwischen 35-45 Millionen Franken für dieses Werk flüssig gemacht hat. Aber trotz der Aufwendung dieser großen Summen kann noch heute nicht gesagt werden, daß die unterstützten jüdischen Stolonien auf eigenen Füßen stehen; vielmehr ist die Mehrzahl von ihnen noch heute in hohem Grade zuschußbedürftig. Die beste Kolonie ist wohl die 1882 gegründete Rischon le Zion, die fich durch einen guten Weinbau hervorthut. Die Kolonie, welche etwa 520 Seelen zählt, verfügt über sehr schöne Bauten ( Verwaltungsgebäude, Schule, Synagoge) und ausgedehnte stellereien; die dort gefelterten Weine genießen unter den streng gläubigen Juden und den Zionisten besonderen Zuspruch. Ein großer Teil der Weine geht von Rischon le Bion zunächst nach einem in Hamburg errichteten Transit- Keller, in dessen fühlerer Temperatur sich die Qualität des Weins wesentlich verbessern soll. Im vorigen Jahre sollen aus der Kolonie 22 000 Hettoliter Wein ausgeführt worden sein. Für den Verkauf des Weins haben sich besondere Gesellschaften gebildet. Andre jüdische Kolonien in der Nähe von Jaffa sind Petach Tikwah ( Mulebbes) mit 776 Seelen, und Masteret Batja mit 150 Seelen, das alte Efron der Philister. In der letteren Kolonie mußte der anfänglich befriedigende Ackerbau ein­geschränft werden, als die Kolonisten sich mit Rücksicht auf das siebente Ruhejahr weigerten, die Felder zu bestellen, obwohl hervorragende Nabbiner ihnen die Erlaubnis gewährten. Dafür wurden um so mehr Baumpflanzungen und Orange- Gärten, sowie in Mulebbes zur Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse weitläufige Eukalyptus­Anlagen gemacht. Die Kolonie Sichron Jakob bei Tantura mit 1080 Seelen hatte zunächst guten Erfolg mit Weinbau, verfügte auch über große Kellereien; aber neuerdings hat die Reblaus die franzöfifchen Reben zerstört, und jetzt müssen amerikanische Neben neu angepflanzt werden. Die Kolonie Rosch Pinah bei Safed in Galiläa mit 315 Seelen hat sich vorzugsweise auf Maulbeer­pflanzungen mit Seidenzüchterei und auf Nosinenbereitung( aus