Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 153.

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Die Fanfare.

Freitag, den 10. August.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Frit Mauthner.

1900

zwei Flöten, wie es mein Gewissen verlangt, wenn ug gebe, was thue ich anderes als der gefällige Kaufmann. Meine sechs Posaunen tönen in meinen Ohren ebenso schrill wie die Posaune der Reklame. Mit Fanfaren müssen unsere neuesten Komponisten ihre Zuhörer von Zeit zu Zeit aus dem ,, Ach, wenn Sie mein trauriges Leben verständen, Sie Schlafe wecken, damit sie emporfahren und damit sie wären schon aus Menschlichkeit mein Freund! Ich war ein etwas haben, woran sie die Melodie erkennen, wie die blutjunges, unerfahrenes Geschöpf, als ich mich von einem Aktiengesellschaft Fanfare wertlose Waren so lange anpreist, Mann fesseln ließ, der sich für einen Künstler ausgab. Jch bis sich die Namen dem Publikum ins Ohr gelegt haben." habe seinen Namen getragen, weil die Kunst mir immer als Leontine horchte auf, als schlüge ihr selbst plöglich eine das Höchste auf der Welt erschien. Er hatte mich betrogen. alte Melodie wieder an das Ohr. Das war derselbe Ton, Er war ein Handwerker, ein Klavierlehrer, ohne Schaffens wie sie ihn einst von dem armen Klavierlehrer gehört hatte, Iust, ohne Schaffenskraft. Das war die erste Enttäuschung der ihr erster Mann geworden war. Sie lächelte unmerklich meines Lebens. Kommen Sie bald wieder. Ich bin keine vor sich hin. So steckte doch etwas von einer Künstlerin in gefährliche Frau. Lassen Sie sich nichts Häßliches über mich ihr, wenn ihr Leute mit einer solchen Sprache gefielen. erzählen; glauben Sie nichts, was ich Ihnen nicht bestätigt Aber so jung war sie nicht mehr, um dieselbe Sprache noch habe. Ich habe zu viel Trauriges erfahren. Ich will nichts einmal von einem armen Klavierlehrer zu ertragen. Richard als Freundschaft." Mettmann , der gute Schulen besucht hatte und Kleider Richard wurde über seine eigne Ungeschicklichkeit rot, als von neuestem Schnitt trug, hatte tros dieser schönen jugendlichen er darauf nichts andres zu erwidern wußte, als er habe Ueberschwenglichkeit eine glänzende Zukunft zu erwarten. wenig Zeit. Seine ununterbrochene Thätigkeit in der Maschinen- Nicht umsonst hatte Papa Mettmann ihr noch vor des fabrik und die zeitraubende Orchestrierung seiner Oper seien Sohnes Rückkehr viel von ihm gesprochen. Durch den Reich­fast zu viel. tum, den Einfluß und die Klugheit seines Vaters war Richard berufen, eine große Rolle im öffentlichen Leben zu spielen. Daß der junge Mann zufällig die Neigung empfand, auch als Musiker etwas zu bedeuten, das konnte einmal für die Häuslichkeit recht störend werden viele Musik that ihr geradezu weh aber seine gesellschaftliche Stellung fonnte durch die Begabung nur gewinnen, wenn diese zu raschen äußeren Erfolgen führte. So viel war gewiß, Richard mußte sich mit seinem Vater vollkommen aussöhnen, auch innerlich. Er mußte das Opfer feines hübschen, jugendlichen Jdealismus bringen, damit Leontine seiner sicher blieb. Wenn er sich da neben eine gewisse unerfahrene Schwärmerei für sie selbst un­berührt erhalten konnte, um so besser. 11

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Warum geben Sie Ihre Stellung nicht auf? Sie haben es ja doch nicht nötig?"

Aus Richards verwundertem Blick las fie sofort, daß sie einen falschen Ton angeschlagen hatte. Rasch fügte sie hinzu:

,, Sie brauchen kein Maschinenbauer zu bleiben, wenn Sie ein großer Künstler sind!"

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Das habe ich eben noch nicht bewiesen."

Leontine machte große Augen und sagte freuherzig: Sie haben recht. Lassen Sie sich beide Wege offen." Richard ging mit dem Gefühle fort, eine treue Freundin, cine gute Kameradin gefunden zu haben und überdies ein feinfühliges Weib zu kennen, dessen Urteil für sein künstlerisches Schaffen bedeutungsvoll werden mußte.

Schon nach vier Tagen kam er wieder und sprach mun wirklich wie mit einer Freundin. Er vertiefte sich rasch in ein Ge­spräch über seine Opernarbeit und machte die junge Witwe vorerst zur Vertrauten seiner künstlerischen Ueberzeugungen. Ihm schien Mozart eine kleine Gottheit zu sein, deren Gebote jeder ehrliche Musiker bis ans Ende aller Dinge heilig zu halten hätte. So hatte er sich auch bei der Orchestrierung feines Werkes in bescheidenen Grenzen gehalten und ur sprünglich zu dem doppelten Streichquartett nur vier Bläser hinzugedacht. Leontine hatte von der Musik nicht genugsam Kenntnisse, um die Gründe des jungen Freundes erfolgreich zu bekämpfen. Aber sie wies ihn eindringlich auf den Ge­schmack des Publikums, welches seitdem durch große Massen­wirkungen verwöhnt worden sei und nicht mehr zu der alten Kammermusik zurückkehren wolle, wenigstens im Opernhause nicht.

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Leontine hatte im Leben schon so viel erreicht, sie hatte die Menschen so mühelos ihrem Willen dienstbar gemacht, daß fie auch diese neue Aufgabe leichten Muts in Angriff nahm. Heute und bei jedem folgenden Besuch sprach sie mit Richard viel und mit warmen Worten über den Vater. Der Hauptsak, den sie bei jeder Gelegenheit wiederholte, lautete: Die Menschen haben nicht alle dieselbe Ehre, dasselbe Ge wissen; wer nur die Pflichten seines Standes erfüllt, soll darum von andern Ständen nicht verachtet werden, weil ihre sittliche Grundlehren anders lauten. Die Ehre des einen Standes verpflichtet ihn zum Duellieren und gestattet ihm das Schuldenmachen. Der Bauer dagegen wird um einer Hypothek willen, die er aufnimmt, geringer geschätzt, als um eines Schimpfworts willen, das er einsteckt. Ein Gelehrter, der wissentlich fügt, ist für immer gerichtet; ein Geschäfts­vermittler aber darf ein bißchen lügen, weil sein Stand es ihm gestattet."

Richard gab sich diesem Unterricht nicht unwillig hin. Er Das Gespräch erhitzte sich leicht über die technische Frage, hörte wohl die Täuschung aus dem Tone der schönen Sprecherin, im so mehr, als Richard nicht zum erstenmal den Vorwurf er sah die leibhaftige Sophistit aus ihren talten Augen hörte, seine Musik sei unmodern, sei zu dünn, zu wenig glänzen, aber er war ihr doch dankbar dafür, daß sie seinen malerisch. Er hatte schon für einige Chöre und für die Herzenswünschen mit dem Aufwand ihres ganzen Verstandes Ouvertüre die Mittel verstärkt, hatte gegen seine bessere entgegenkam. Er hatte von seinem Vater zeitlebens nur Liebes Ueberzeugung große Klangwirkungen nachzuahmen gesucht und Gutes erfahren; er wünschte nichts sehnlicher, als ihn und empörte sich nun, da seine Nachgiebigkeit nicht für achten zu können. Ohne die chnischen Reden dieses Bode eine neue musikalische Lehre, sondern für den Geschmack wäre es vielleicht gar nicht zu dem geheimen Aufstande gegen des Publikums gefordert wurde. Er wollte nicht noch die Gewohnheiten des väterlichen Hauses in ihm gekommen. weiter gehen; und unter Selbstanklagen verdammte er eine Es war ein Glück, daß er für seinen Umgang anstatt des Stunft, welche sich wie eine Schneiderin in den Dienst der ewig verneinenden Mannes so bald dieses klare, versöhnende Mode stellte. Weib gefunden hatte.

Sie fennen meinen Vater," rief er, und Sie sind klug genug, ut feine Auffassung des Verlegergeschäfts zu ver­stehen. Sie durchschauen das alles vielleicht besser als ich. Was ist es denn, das es mir unmöglich macht, mit ihm ge­meinsam zu arbeiten, wie es doch die Pflicht des Kindes wäre? Doch nur, daß er sich und seine Zeitung und die Federn seiner Redacteure in den Dienst aller zahlungsfähigen Lente stellt, daß er aus der Ueberzeugung, für welche ein Journalist leben und sterben sollte, eine Handelsware machen möchte. Und wenn ich nun hingehe und den Gefang der Blumengeister mit Posaunen begleiten lasse, wie es die Großstädter erwarten, anstatt mit

Mehr als vierzehn Tage waren seit Richards Beileids. besuch verstrichen, vier- oder fünfmal war er bei ihr gewesen, und sie kannte bereits- fast bis zur Ermüdung- alle Schwierigkeiten seiner Oper und alle Sorgen seines äußeren Lebens; nur von seinen Herzensbeziehungen hatte er noch mit keinem Wort zu ihr gesprochen. Und doch war es ihr flar, daß er mit seiner jünglinghaften Leidenschaft einem andren Weibe gehören mußte, er hätte sonst nicht in so harmloser Freundschaft bei ihr ausharren können.

Und auch daß seine Liebe nicht glücklich war, ließ sich leicht erraten. Eine Frau oder ein Mädchen, das ihu liebte,