Unterhaltungsblatt des Vorwärts
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Dienstag, den 9. Oktober.
( Nachdruck verboten.)
Muter Wolken.
Kam da nicht schon wieder jemand? Man stand still, Tauschte, starrte angestrengt in den Dunst. Es mußte aber wohl nichts gewesen sein. Vorsichtig tastet man sich voran. Dabei reißt man die Augen möglichst auf, ob man so nicht doch vielleicht etwas erkennen kann. Aber es nüßt nichts. Die Augen beginnen nur zu thränen in dem naßkalten Dunst. Unwillkürlich schaut man über sich, als müßte doch von da etwas Licht kommen. Aber da ist es gerade so milchig, grauweiß wie vorn und rückwärts, rechts und links.
Man vergißt, daß da drüben Berge sind, daß dort Häuser sein müssen, da oben Wolfen und hier rechts Wiesen. Es ist alles wie von einem schmutzigen Schwamm fortgewischt.
Frau Magda öffnete ein Fenster. Sofort troch der übelriechende Nebel in dicken Schwaden in das Zimmer. Sie schloß es schnell wieder. Nur der Fluß ließ sich nicht stören. Man hörte ihn auch durch den Dunst. Auch drüben das Eisenwert nicht. Aber alle Geräusche hatten etwas Gedämpftes und zugleich Schweres, als kämen sie von weit her und aus irgend einer Gefahr.
Magda versuchte immer wieder, etwas Bestimmtes zu erkennen da draußen, aber es gelang nicht. Als hätte man dickbeschlagene Brillengläser vor den Augen und wollte lesen. Endlich setzte sie sich, das Gesicht ins Zimmer gerichtet. Sonst war es nicht zum aushalten.
In vierzehn Tagen würde ihr Geburtstag sein. Wieder einmal! Sie dachte sonst nie daran, weil sie fürchtete, ganz zu verzweifeln, wenn sie es sich so recht deutlich machte, daß dies Leben noch zwanzig, dreißig Jahre so weiter gehen könnte. Aber heute mußte sie daran denken. Sah nicht ihr Leben aus wie der Nebel ringsum?
Plöglich... was war das?... Sie erschrak heftig. Hatte nicht jemand laut geschrieen?... Da hinten im Nebel?... Oder war es nur eine Kaze, die miaute?... Man konnte ja nichts sehen. Da draußen konnte im Augenblick geschehen, was wollte, niemand würde etwas Bestimmtes darüber sagen können. Wie unheimlich das war.
Ging jetzt nicht jemand vorbei? Sie mußte wieder den Atent abhalten. Aber sie konnte es ja doch nicht erfahren. Auch war es wohl eine Täuschung.
Doch, jest trat jemand in das Haus.
1900
Fahren wäre alles über und über mit Schlamm bedeckt worden.
Die Pferde glitten aus und schnauften aufgeregt. Ihnen behagte das auch nicht.
Endlich war man auf der Chaussee. Nun ging es etwas besser. Am liebsten wären die Pferde galoppiert, um möglichst schnell aus dem Schmuh zu kommen, aber sie durften nicht, sie wurden zu einem langsamen Trab angehalten. Sonst hätte der Kutscher zwei Tage an dem neuen Wagen reinigen fönnen. Dafür dankte er bestens.
Links lagen die kleinen Aecker, Kartoffel- und Gemüses äcker , die meist die Arbeiterfrauen allein bearbeiteten. Etwas anders wurde kaum noch gezogen. Sonst sah man nur Wiesen, die bis an die Berge gingen, die finster an ihnen entlang standen.
In gerader Linie lief der Fluß zu Thal. In ebenso geraden Linien neben ihm die Eisenbahnschienen. Barallel dazu die Chauffee. Wer es zum erstenmal sah, mußte laut gähnen.
Die Chaussee ging unmittelbar an den Bergen her, die rechts von ihr sich steil in die Höhe hoben. Einer dicht am andren, einer wie der andre, daß es auch nicht die geringste Abwechselung gab.
Die kleinen Berge auf dieser Thalfeite sahen so schablonenhaft aus, als kämen sie aus der Fabrik und nicht aus der Hand der Natur. Wie die Kilometersteine, wie die Basalthaufen an der Chaussee, gerade so akkurat, langweilig, ordent lich saßen die kleinen Berge neben einander.
Die Forstbehörde hatte noch das Ihre zur allgemeinen Verlangweilung beigetragen. Buchen standen in Reih und Glied an den Bergen in die Höhe. Jeder Stamm hielt genau Richtung. Keiner wagte sich auch nur einen Schritt vor oder zurück. Es war wie beint Militär. Der Wald gehörte natürlich dem Fiskus.
Selbst die Abwechselung, die auch der begabteste Unteroffizier nicht verhindern kann, wenn er es wohl auch gerne möchte, daß nämlich der eine Mann seiner Compagnie größer oder kleiner, dicker oder dünner ist als der andre, selbst diese Abwechselung gab es hier nicht. Ein Baum war genau so groß und dick wie der andre. Darüber wurde ängstlich gewacht. Das war ja gerade des Oberförsters Stolz. Er führte seine Vorgesekten inumer bald diese Chaussee. Ste lobten ihn dann auch sehr, wenn auch ein wenig unter Gähnen.
Alles war noch gleichmäßig, grauschnußig überzogen von dem toten Grau des sterbenden Herbsttags. Kein Wunder, Es war ihr Mann. Er brachte ein Telegramm, daß der daß die Beiden im Wagen schwiegen, bis sie zum Städtchen Federfuchser" morgen abend kommen würde.
apid Wie heißt er eigentlich?"
Gerade tein italienischer Name. Dr. Schäfer." „ Ach so," sagte sie enttäuscht. Dr. Schäfer, das war gerade so unbestimmt und nichtssagend wie der Nebel, alles. Sie seufzte.
,, Was hast Du denn?" " Dieser entsetzliche Nebel! Er legt sich wie Blei
alles!"
"
wie
auf Ein Schweinewetter," fiel er sofort ein. Ein Dreck und eine Schmiere! Unglaublich. Sei froh, daß Du hier so gemütlich siten kannst. Vorhin wollt ich ausreiten, aber der Gaul rührte sich nicht von der Stelle. Er schnubberte mur in die Luft, er hatte förmlich Angst, das dunime, nervöse Biest!"
"
Wie wird es denn da heute nachmittag?" fragte sie. Wie?" Er dachte offenbar nicht gleich daran. Werden wir überhaupt in die Stadt können?" Er lachte laut: Aha, da hättest Du ja schon die Ausrede. Aber sie gilt nicht. Bis Mittag ist's mit dem Nebel vorbei. Ich kenne das. hab's oft genug mitgemacht."
So wurde es auch. Gegen Mittag zerfloß der Nebel und hinterließ mir eine dice, feuchte Luft, die viel zu warm war für die Jahreszeit und die Gegend.
Als um halb sechs der Wagen angespannt war, dunkelte es schon sehr.
famen.
Das Städtchen lag am Fuß eines der kleinen Berge und teilweise auch an ihm in die Höhe.
Es war schon sehr alt. Die es angelegt, hatten noch Geschmack gehabt, der ja damals nicht selten war. Die Er bauer hatten gethan, was sie konnten. Oben auf dem Berg saß die alte Kirche und das alte Schloß. Niederwärts viele, schmalbrüftige Häufer, aber mit verwegenen Giebeln, bei denen jeder seinem persönlichen Geschmack Rechnung getragen, ohne sich lange um den Nachbar zu fümmern; was sehr hübsch aussah, wenn man von oben hinunterblickte.
Dicht am Berge her als Fortsetzung der Chaussee die Hauptstraße, sehr schmal und dunkel durch die verwegenen Giebel, aber originell und traulich. Selbst das Pflaster bot reichlich Abwechslung durch viele unfreiwillige Erhöhungen und Vertiefungen, so daß alles Schritt fahren mußte, ob es wollte oder nicht, und die Tafeln zu Eingang und Ausgang der Hauptstraße ganz überflüssig waren mit ihrem: Achtung! Schritt fahren!
In dieser Straße woynten vor allem die Händler, Krämer und Handwerker des Städtchens. Jeder hatte noch sein eigenes Haus, wenn es auch meist in jedem der drei Stockwerke nur ein, höchstens zwei Zimmer gab. Den ganzen Tag standen natürlich alle Thüren offen, auch bei den anrüchigsten Gewerbetreibenden wie Schuster, Metzger und Käsehändler. Das brachte ein recht artiges Geruchspotpourri zu Wege.
Durch das Dorf mußte langsam, Schritt gefahren werden, weil ein dicker, zäher Schlauim auf der Straße lag, der unter Dem Bürgermeister, der nicht zu den Honoratioren ge den Wagenrädern sich dehnte und stöhnte. Bei schnellerem hörie, sondern sich nur raufgeschrieben" hatte, war es sehr