Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 198.

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Freitag, den 12. Oktober.

( Nachdruck verboten.)

Muter Wolken. Roman von Kurt Aram .

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Sie sah Fienchen unfreundlich von der Seite an und raunte ihr ins Ohr: So sit doch grade! Brust heraus!" Das arme Fienchen reckte sich und suchte die Brust heraus­zustrecken, obwohl es keine hatte.

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Frau Doktor Schreiber lächelte trüb auf das Kind. Es würde wohl nie einen Mann bekommen. Dabei schien das dumme Ding selbst gar nicht zu wissen, wie arm es aussah. Es hatte ihnen noch heute früh so eine komische Scene ge­macht. Fienchen war nämlich mit einem besonders feierlichen Gesicht zum Frühstück erschienen. Der Vater fragte gleich: Schieß los! Was hast Du denn?" Da war das Fienchen rot geworden und wollte nicht heraus mit der Sprache. Frau Schreiber wurde ganz aufgeregt. Sollte der Bauunter­nehmer ihr vielleicht doch einen Antrag gemacht haben? Wollt Ihr mir auch nicht böse sein?" fragte Fienchen ängstlich. Beide Eltern versicherten feierlich, daß wollten. Auch wirklich nicht?" fragte Wirklich nicht," versicherte der Vater " Ich... ich"... begann das Fienchen

Frau Schuldirektor Walter aber ließ sich nicht stören. ,, Wir unterhalten uns ruhig weiter. Mir fällt es auch nicht auf, daß mein Mann immer noch fort ist. Da merte ich, wie die Menschen ringsum aufstehen, an die Mauer treten, die den Garten vom Rhein trennt, und lachen. Ich werde auch neugierig, stehe auf und trete auch an die Mauer. Und denken Sie, was sehe ich? Natürlich meinen Mann. Unten am Rhein hockt er, wo es so ganz langsam und allmählich in ihn hinein geht. Plöglich kriecht er auf allen Vieren ins Wasser. Die Leute ringsum lachen und machen ihre Wizze. Ich kann Was sie nur hatte? mich nicht rühren im ersten Schreck, wie ich sehe, daß er sie nicht böse sein wahrhaftig ins Wasser kriecht und weint und weint. Wenns Fienchen nochmals. ihm aber bis an den Mund kommt, friecht er immer wieder ein wenig spöttisch. ein Stück zurück. stotternd." Nun?"

Endlich komme ich zu mir und stürze aus dem Garten zum Wasser. Laß mich, laß mich, murmelte er, und die dicken Thränen laufen ihm über die Backen, ich will sterben, ich will sterben. Ich reiße ihn an den Beinen zurück, seine Freunde kommen auch und helfen. Lachend haben sie ihn dann in ein Bett gebracht. Mit Wiesbaden war es an dem Tag nichts mehr. Damals hab' ich nicht gelacht. Was ich in der Nacht unglücklich war, was ich in der Nacht geweint habe!!"

Sie machte eine kleine Pause.

Es war ja dumni, aber ich kannte die Männer noch so wenig. Jetzt weiß ich natürlich Befcheid. Wenn er jetzt spät nach Haus kommt und sich so recht trübselig aufs Bett fett, nehm ich ihm einfach die Kleider weg. Dann be­ruhigt er sich bald wieder. Es schadet auch nichts, wenn er noch ein bißchen weint, es kann ihm wenigstens nichts zustoßen. Vorgestern hab ichs auch wieder thun müssen. Nach dem Tag ist's bei seinem Patriotismus immer besonders schlinum." g

Frau Magda war ganz entsetzt.

Frau Schuldirektor Walter Yachte und lachte. Sie konnte gar nicht, wieder zu sich kommen.

" Mein Mann," erklang jezt die scharfe Stimme von Frau Doktor Horst, wenn der so ist, ruft er immer: Ein Bein, ein Bein, ein Königreich für ein Bein, daß ich abschneiden kann!" Es sollte lustig flingen, kam aber ganz anders heraus. Nicht weil Frau Horst ihrem Mann wegen des Trinkens zürnte, sondern weil ihr der Aerger noch zu sehr in der Kehle saß, daß sie den ganzen Nachmittag neben Frau Doktor Schreiber sigen mußte.

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" ch... möchte nie heiraten, ich möchte immer bei Euch bleiben," hatte es schließlich erklärt, sich zärtlich an die Mutter geschmiegt und ein Gesicht gemacht, daß Doktor Schreiber aus dem Lachen garnicht herauskam. Noch grader, Fienchen," sprach Frau Doktor Schreiber wieder. Und Fienchen setzte sich noch grader.

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,, Da hab ich's mit meinem Alten noch am besten," sagte jetzt die Frau Oberförster. Es muß schon arg kommen, wenn ich ihm überhaupt was anmerken soll. Er pfeift sich dann ganz leise eins:

dim

im tiefen Wald das Neh. Ich jag den Hirsch im wilden Forst,

Wenn es ganz schlimm wird, singt er. Das klingt zwar nicht schön, ist aber auch noch sehr harmlos:

Und dennoch hat das kalte Herz bin die Liebe auch gefühlt."

Von den Männern kam man auf die Kinder.

Auch hier gab Frau Walter den Ton an:" Was unsre Jüngste ist, das Mielchen, morgen wird sie sechs, die hätten Sie mal voriges Jahr in der See sehen sollen, als wir in Norderney waren. Ich sage Ihnen, ein Anblick, wenn sie so im Wasser war! All das schöne, lachsfarbene Fleisch! Man hätt am liebsten hineinbeißen mögen."

Inzwischen war Wein und kalter Aufschnitt gebracht

worden.

Die Damen griffen tüchtig zu, während das Gespräch über die Kinder weiter ging.

Frau Amtsrichter Blau, die keine Kinder hatte, wurde Mein Mann," rief die Frau des Chemikers sie war ungeduldig und fuhr mit ihrer harten Stimme dazwischen: eine kleine, nette Person und immer in Schwarz. Einmal Ich denke, es wäre Zeit, daß wir uns schlüssig würden, was fand sie es vornehm und zweitens hatte sie gehört, daß ge- wir den Winter im Kränzchen lesen wollen. Ich schlage Tasso wisse Damen in Berlin immer so gingen, deshalb fand sie es vor. Von Goethe", " Von Goethe ", segte sie ein wenig spitz hinzu, auch pikant; beides vereint war ihr aber das höchste.-um die andern zu ärgern durch die Annahme, sie wüßten das Mein Mann ist auch gar zu komisch. Er hält mir immer nicht. die Hand vor's Gesicht und ruft: Seh'n Sie diese große, Die Damen merkten es wohl und waren alle gegen starte Männerhand? Ich bin nämlich Chemiker, müssen Sie wissen, Chemiker!"

Damit war man beim zweiten unerschöpflichen Thema: Die Männer.

Eine wußte immer wunderbarere Sachen von ihrem zu berichten als die andre, und fast alle beteiligten sich mit Genuß an dem Gespräch, ohne im geringsten ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Frau Amtsrichter Blau schwieg, ihr war das zu ungebildet. Auch Frau Roth fagte zunächst nichts. Sie träumte nur mit rotem Kopf ein wenig vor sich hin. Wie ihr Mann dann war? So zärtlich! Nein, das konnte sie doch nicht zum besten geben! Wenn sie es auch gern gethan hätte, um die andern auf ihr Glück neidisch zu machen. Auch Frau Doktor Schreiber beteiligte sich nicht an Gespräch. Ihr Mann war gar nicht freundlich zu ihr, weil sie nur dies eine Kind, das unglück­liche Fienchen, geboren hatte, das der gesunde und starke Manu nicht lieben konnte, weil es so armselig und häß­lich war.

Tasso.

Am Ende einigte man sich auf Wilhelm Tell . Das sei doch immer noch das schönste und poetischte, meinte Frau Walter, die es ja wissen mußte, da ihr Mann den Unterricht in der Litteratur erteilte.

,, Also Tell. Aber oben drauf noch was Lustiges," meinte die Frau Oberförster, was zum lachen". Man war ein. verstanden und wählte das weiße Rößl", das ja so sehr komisch sein sollte und doch auch anständig, wie es in den Zeitungen hieß.

., Giebt's denn das bei Reclam ?" fragte Frau Anits. richter Rot.

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Nein," sagte Frau Amtsrichter Blau, das wohl nicht." Was wird das weiße Rößl denn kosten?"

" Ich denke etiva zwei Mart," meinte die litteraturkundige Frau Blau.

Es entstand eine kleine, bedrückte Pause. Zivei Mark, das war viel Geld.

Frau Schuldirektor Walter sagte:" Rönnen wir uns nicht