Anterhaltungsblatt des Vorwärts

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Sonntag, den 14. Oktober.

( Nachdrud verboten.)

Wnter Wolken.

Roman von Kurt Aram . Magda war ganz ermattet von all dem Gerede und immer noch entsetzt über den Inhalt desselben. Und doch wußte sie genau, daß es so ähnlich stets war; nur daß sie jetzt fast ein halbes Jahr nicht mehr dabeigewesen.

Unter diesen Frauen hatte sie sich eine Freundin suchen wollen? Das war rein unmöglich. Die würden sie einfach auslachen oder bestenfalls sagen: das ist nun mal nicht anders, darein muß sich eine ordentliche Frau finden, Männer sind eben keine Engel, und dergleichen. Sie würden wohl auch gleich mit ihren Erlebnissen kommen und zeigen, daß sie noch viel ärger wären als die ihrigen, sie also gar keinen Grund hätte, sich zu beschweren.

Aber vielleicht die Frau Oberförster? Auch das ging nicht. Dieser gefunden, robusten Frau gegenüber würde sie wahrscheinlich den Mund garnicht aufthun können.

So mußte es denn doch ohne das weiter gehn. Sie lächelte müde.

Der Doktor Schäfer, der morgen kami? Das gäbe gewiß auch nur eine Enttäuschung. Aber lange konnte es so nicht mehr weiter gehn, es fonnte nicht!!

Ihre Gedanken flatterten unruhig hin und her. Sie waren wie junge Vögel, die aus dem warmen, sicheren Nest gefallen find, frieren, in ihrer Hilflosigkeit sich fürchten und zugleich aus Selbsterhaltungstrieb suchen, wo sie sich jest niederlassen können und wieder warm und zufrieden werden.

Für sie aber gab es, wie es schien, nur noch eins, ein lettes, allerlegtes Rettungsmittel. Sie schloß die Augen und suchte sich dies eine auszumalen. Ihre Gedanken wurden dabei ein wenig ruhiger. Sie ließen sich gleichsam für einige Minuten in der Nähe des einen nieder und betrachteten es einstweilen neugierig, aber noch unsicher.

Husch!" Da flogen sie wieder auf und flatterten ängst­lich. Nein, nein, noch nicht, ich bin ja noch so jung!" sagte sie laut.

Der Wagen hielt am Ringhotel. Jean, der Oberkellner, stand schon bereit. Otto ließ sagen, er könne eben nicht mitfahren, er habe eine dringende Abhaltung. Der Kutscher solle gegen Mitternacht wieder kommen. Seufzend fuhr der wieder ab.

Magda lehnte sich erleichtert in die Kissen zurück. Ihr war es bedeutend lieber so. Die Gedanken flatterten wieder um das eine, derweil der Kutscher im schärfsten Trab zufuhr, denn jetzt war es egal, jetzt würde der Wagen doch so schmutzig werden, daß er zwei Tage daran putzen mußte.

Schnell ging es durch die dunkle Nacht. Ein wilder Sturm hatte sich aufgemacht und fegte durch das enge Thal. Otto hatte nach seiner Ansicht in der That eine dringende Abhaltung, denn eben war Amtsrichter Roth gekommen, mit dem er ja über Scheidungsgründe reden wollte.

Der Amtsrichter merkte natürlich sofort, wohinaus das sollte, denn er wußte wie jeder der Honoratioren um Ottos Verhältnis mit Frau Schmidt. Aber er that ganz harmlos und ließ sich ausfragen. Da Otto auf diese Weise nicht zu rechter Klarheit kommen konnte, legte er schließlich den ganzen " Fall" offen dar.

Er sei glücklich verheiratet, log er, selbstverständlich. Um so was handle es sich nicht. Aber er habe nun mal so heißes Blut und seine Frau sei etwas frigid, da habe er halt diesen Ausweg gefunden.

"

Selbstverständlich, das läßt sich denken," fiel der Amts­richter sofort ein, ist mir sehr begreiflich."

Er sagte, was er über den Fall dachte. Er war aller dings nicht so ganz einfach nach der Meinung des Amts­richters, und das wichtigste sei, daß eben die Frau Gemahlin nichts merke. Die Frau Schmidt würde wohl reinen Mund halten? Otto nickte zustimmend.

Sind Sie denn des Mannes sicher? Oder weiß der gar nichts?" Der Amtsrichter machte ein sehr neugieriges Gesicht, denn das war ihm das eigentlich Interessante an dem ganzen Fall.

1900

Otto sah das wohl und am liebsten hätte er Roth eine grobe oder gar keine Antwort gegeben. Nicht weil er sich doch ein bißchen schämte, sondern weil er den Amtsrichter gern ein wenig geärgert hätte, dadurch, daß er dessen Neugier nicht befriedigte. Aber nun er so viel gesagt, mußte er auch alles sagen.

Der Frau Schmidt bin ich ganz sicher, die friẞt mir aus der Hand; und des Mannes auch. Er weiß natürlich Be­scheid, aber er wird sich hüten, etwas merken zu lassen, denn er ist in meiner Hand. Ich verwende ihn seitdem auf dem Comptoir, habe ihm auch ziemlich viel gepumpt, so daß er an den Bettelsiab fäme, wenn er muckste.

.Das ist ja prächtig," sagte Roth, aufrichtig erfreut ,,, da haben Sie ja eigentlich wirklich nichts zu fürchten. Es müßte doch ganz wunderbar zugehen, wenn Sie doch noch Un­annehmlichkeiten haben sollten." Freilich," setzte er nach kurzer Pause hinzu, aber nur, um sich wichtig zu machen, der Zu­fall spielt oft wunderbar. Aber ich glaube doch nicht, daß Sie sich Sorge zu machen brauchen, zumal Ihre Frau Ge­Das erleichtert die mahlin ja so völlig zurückgezogen lebt. Sache sehr."

Sie

Die beiden sprachen noch eine ganze Weile über den Fall, ganz objektiv und fühl wie über eine durchaus minderwertige Angelegenheit. Keiner schämte sich auch nur im geringsten vor dem andern, nun das Eis einmal gebrochen war. wären höchst erstaunt, ja beleidigt gewesen, wenn sich jemand über ihre Art und Anschauung hätte entrüsten wollen. Denn wirklich schlecht handelte ihres Erachtens bei dem ganzen Fall nur der Mann Schmidt. Es war allerdings ein starkes Stück, daß er sich das so ruhig gefallen ließ. Da sieht man wieder, was diese Leute für sonderbare Anschauungen haben. Wenn sie dächten, so was könnte ihnen zustoßen? Donnerwetter! würden sie aber eklig werden, sehr eflig!! Ein Duell unter den schwersten Bedingungen wäre das mindeste. Aber diese Menschen haben ja kein Ehrgefühl, da geschah es ihnen nur recht, wenn sie so behandelt wurden, denn was der Mensch wert ist, fährt widder'n". Man war ja einer solchen Ber tommenheit gegenüber schon fast dazu verpflichtet.

Das so interessante Gespräch wurde abgebrochen und der bleiche, schlanke, nervöse Amtsrichter Roth, der ein schöner Mann war, lehnte sich etwas gelangweilt in seinen Stuhl zurück, weil Amtsrichter Blau und Realschuldirektor Walter im Klubzimmer erschienen.

Amtsrichter Blau hatte das richtige Nußknackergesicht. Quer über die Stirn eine Falte wie einen dicken Strich, je eine eben solche rechts und links an dem großen, schmal­lippigen Mund her, und einen völlig viereckigen Schädel, was stets deutlich zu sehen war, da er das Haupthaar immer sehr furz geschoren trug. Nur wenig Schnurrbart, und den Backen­bart rechteckig zugeschnitten. Auf den hervorragenden Backen­knochen zwei gleich große, gleich rote Gesundheitsflecken und in den kleinen hellgrünen Augen einen gradlinigen, starren Blick, was auf die Dauer etwas beschränkt aussah, zumal Wimpern und Augenbrauen kaum vorhanden waren. Es sah aber nur beschränkt aus, denn er war es keineswegs.

Der eckige Kopf faß auf einem ebenso eckigen, gedrungenen Körper, der noch gar keinen Fettansah zeigte, obwohl ihn der Amtsrichter schon sechsundfünfzig Jahre besaß. Es war das fleischgewordene Gesetzbuch, meist auch dunkelgrau eingebunden. Er sprach langsam, korrekt und sehr wenig und bewegte sich langsam und deutlich auf dicken, harten Sohlen.

Der Schuldirektor Walter war ganz andrer Art. Zwar auch unterfeit, aber mit ziemlich viel Embonpoint. Er hatte auffallend kräftige O- Beine, von einem sehr ausgeprägten D, das auch die weitesten Beinkleider nicht verbergen konnten. Am liebsten staken diese Beine, auch wenn es schon empfind­lich kalt wurde, in hellleinenen Hosen, und der Oberkörper in Jägerhemd und Lüfterröckchen. Auf den stets unruhigen Beinen und dem ebenso unruhigen Oberkörper saß ein gewaltiges Lockenhaupt, von braunen Locken umwallt, viel zu mächtig für das Untergestell.

Die berühmte Katharina hatte gemeint, als sie zum ersten mal das Arbeitszimmer des Herrn Schuldirektor betreten, wo auf einem Tannengestell das Haupt des Zeus von Otricolt in riesigen Dimensionen thronte; Ach Herrje, is das aber e gut Bild vom Herr Teretter."