Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 204.

15]

Sonntag, den 21. Oktober

( Nachdrud verboten.)

Unter Wolken.

Roman von Kurt Aram .

,, Nein," rief Marie.

1900

Die drei Burschen drangen auf sie ein und zogen die sich Sträubende hinter dem Tisch hervor. Kranz lachte laut und spöttisch.

,, Das sind wohl Elberfelder Manieren", rief Marie, die den Kranz mit Recht für den Anstister hielt. Sie suchte sich loszureißen, aber es gelang ihr nicht, da die drei sie festhielten und zur Thür zerrten.

Sie erkannte, daß sie gewaltsam mitgeschleppt würde, daß ihr Widerstand muglos war. Laßt mich los, ich werde

"

So is recht, das is vernünftig," erklärten alle sehr zu­frieden und gaben sie frei. Madche, Du sollst Dei Jugend genieße wie mir," lallte Windolf, dem auf einmal ganz schwindlig wurde.

Während die Jugend tanzte, liebäugelte er mit der Witwe, was ihr sehr willkommen war. Nicht, daß sie gedacht, er würde sie heiraten. So hoch gingen ihre Wünsche nicht. Das war ja auch ganz undenkbar, sie und der Bürgermeister. Aber zu ihrem Liebhaber wollte sie ihn gern. Das konnte mitgehn." ihrem Wirtshaus nur nützlich sein. Da er nun tein junger Fant mehr war, die ja gleich brennen, wenn ein strammes Weibsbild ihnen nur in die Nähe kommt, so suchte sie ihn vor allem durch reichliches und gutes Essen und Trinken zu firren. Sie stopfte den Bürgermeister förmlich mit warmer Fleischwurst, Solberfleisch und Käse. Er ließ es sich gern gefallen, und das reichliche Bier nicht minder. Die Witwe merkte wohl, daß sie richtig spekulierte. Denn je mehr der Bürgermeister in sich stopfte und je mehr er trant, um so freundlicher, ja verliebter wurde er. Die Sache war so ent­schieden gut im Gange, sie konnte zufrieden sein.

Als der Tanz zu Ende, Burschen und Mädchen, sich den Schweiß wischend, wieder ihre Pläge einnahmen, rief Franz Kranz laut: Wo is denn Jungs Marie?"

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Die??" Alle lachten. Dann rief einer:" Fromm wor'n!" Ein andrer: Verrict wor'n!" Ein dritter: Sie meint, hier thät se der Teufel holen."

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" Das laßt ihr zu, daß cins der hübschesten Mädchen daheini hockt?"

,, Wo steckt se?"

"

Daheim. Wo denn sonst?"

Ich dacht, se wär beim Säger un bet'."

Ihr wollt Burschen sein," hetzte Kranz, Ihr laßt Euch das gefallen?!"

Her soll sie 1" schrie da einer mit trunkener Stimme. Mehrere fielen ein:" Her soll se!"

"

Dann holt se doch," sagte Kranz ein wenig spöttisch, als traue er ihnen das gar nicht zu.

Sofort sprangen ein paar Burschen auf. Mer wer'n se schon hole!"

Holt fe," schrien nun auch die Mädchen. Sie mochten die Marie zwar nicht, ihnen war es im Grund lieber, die blieb, wo sie war, aber jekt versprachen sie sich doch einen Haupt­spaß, wenn die Burschen sie wirklich brächten. Der Bürger meister, der die Frommen nie hatte leiden können, rief auch: " Holt se!"

Franz Kranz wählte sich drei aus und ging mit ihnen fort.

Marie Jung hatte gerade mit Lesen aufgehört. Sie war aufgestanden und reckte sich, weil ihr vom langen ungewohnten Stillfißen die Glieder ein wenig steif geworden. Da trappelte es draußen, und eh sie sich klar war, wer das wohl sein könnte, standen die vier Burschen schon vor ihr. Bevor sie noch ein Wort gesagt, griff Frizz Windolf, der Aelteste vom Former meister Windolf, nach ihrer Hand und sagte: Komm' mit!" Wie?" fragte Marie Jung erstaunt. Sie wußte nicht gleich, was das sollte.

Du sollst mit ins Wirtshaus," rief Karl Haun. Marie trat schnell hinter den Tisch, denn sie merkte, daß die Burschen viel getrunken hatten.

Fackel nit lang un komm, es is lustig allweil im Wirts­haus!" schrie Windolf.

" Ich mag nicht."

Die Burschen lachten, als hätte sie einen guten Witz gemacht.

Da trat der junge Hagensdörfer dicht vor sie hin, sah fie wütend an aus den kleinen, verschwommenen, grünlichen Augen und rief: Das sag ich Der, wann De nit mit kommst!" ,, Das ist doch meine Sache."

"

Das is unser Sach!" riefen die Burschen.

Macht, daß Ihr rauskommt, Ihr seid alle betrunken!" Hört Ihr, was die Prinzessin besichlt?" hette Franz Kranz.

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Hagensdörfer griff sie am Arm:" Borivärts! Mach, daß De mitkommiſt!"

Sie ging mit ihnen in das Wirtshaus. Unterwegs machte sie zwar einen Fluchtversuch, er miẞlang aber ,. da Kranz das geahnt und sich vorgesehen.

Es gab ein ungeheures Halloh, als die vier mit der Marie im Wirtshaus erschienen. Bei dem allgemeinen Ge schrei konnte sie wenigstens nicht die einzelnen Spottreden unterscheiden.

Marie Jung stellte sich in die Nähe der Thür. Aber Franz Kranz stellte sich hohnlachend gegen dieselbe. Man schrie nach der Musik, die sehr schnell zur Stelle war, an gelockt durch den allgemeinen Lärm.

"

Aufgespielt!" rief Hagensdörfer und suchte die Marie zu umfassen, die sich ihm aber entwand. Haha, die Muckersche!"

,, Sei doch net so dumm!"

PITTADE ( by dorom

Schämst De Dich denn gar net, so fromm ze sein?" " Hast De Ein' totgeschlage, daß Der's Bete so nötig is?" So ging es durcheinander unter dem Gelächter der Mädchen, die es der Marie von Herzen gönnten, daß sie so verspottet wurde.

Jezt erhob sich etwas schwerfällig, der Bürgermeister, steuerte auf die Jung zu und sagte:" No Marie, mit mir werst de doch tanze derfe trok Deiner Frömmigkeit."

" Ich tanze nicht!"

" Das wolle mer doch sehn," schrie Hagensdörfer. Eh sie sich dessen versehn, hatte er sie fest an sich gepreßt, während die Musikanten zu geigen anfingen. Da schlug sie ihm mit der Faust ins Gesicht, daß er taumelte, stolperte und fiel. Brüllend vor Wut wollte er sich wieder auf sie stürzen. Aber Franz Kranz trat dazwischen, andre fielen ihm auch in die Arme, so daß er fast heulend, vor Wut und Trunken­heit sich zufrieden geben mußte, als man ihn auf die Bank preßte. Dumme, eingebildete Gaus!" rief der Bürgermeister ärgerlich, daß er verschmäht worden war, und zog sich wieder auf seinen Platz zurück.

"

Franz Kranz trat vor: E Tänzche in Ehru , kann niemand verwehrn, auch die Bibel nit."

" Ich tanze nicht", wiederholte die Marie immer wieder mit bleichem Gesicht, indem sie nach der Thür schaute. Da hatte sich aber schon ein andrer hinpostiert, der höhnisch lachte, als er ihre Absicht merkte.

Den Franz Kranz stieg nun auch das Blut zu Kopf. Er wollte sie an sich reißen, aber sie hatte sich vorgesehen und entkam. Eite Weile lief er unter allgemeinem Gelächter hinter ihr her durch das Zimmer. Das Lachen machte ihn erst recht wütend. Jezt erwischte er sie. Sie rangen mit­einander, und dabei faßte er ihre Taille am Hals, daß sie aufriß. Da er immer noch nicht losließ, sie es auch nicht gleich merkte, gingen alle Knöpfe auf. Kranz ließ sie einen Augenblick los.

" Ich werd' Euch alle anzeigen, den Bürgermeister an der Spike," rief sie und versuchte, die Taille wieder zu schließen. un trat der Bürgermeister dazwischen, denn das war gewiß gegen den Anstand, wie ihn der Kreisrat verstand. Die feinen Herrn sind ja darin so komisch. Unannehmlichkeiten wollte er nicht haben. Der an der Thür war nach vorne getreten, um doch auch noch etwas von dem Anblick zu haben. Den Augen­blick benutzte die Marie und entwischte.

Sofort sprangen Franz Kranz und Hagensdörfer hinter ihr her. So durfte das nicht enden. Das Mädchen war im