Unterhaltungsblatt des vorwärtsNr. 219. Sonntag, den 11. November 1800«Nachdruck verboten.)so] Anke« TVolKen.Roman von Kurt Aram.„Besuch?" Davon wissen wir ja gar nichts", riefen einigeindigniert.„Und zwar aus Berlin. Einen Mann!"„Ach, aus Berlin?" sagte Frau Weber höchst interessiertund reckte sich möglichst in ihrem schwarzen Kleid.„Jawohl, aus Berlin. Er schreibt Romane und solcheSachen, sagt meine Katharina. Und denken Sie sich, er undFrau Magda sind fast den ganzen Tag und auch viele Abendeganz allein. Denn warum? Ihr Mann hat aus dem Eisen-werk zu thun, nicht wahr?"„Freilich," ineinte Frau Roth aufmerksam und machtegroste Augen.„Sie gehen auch viel allein spazieren trotz des Regens,sagt meine Katharina. Sie besuchen sogar die Leute im Dorfzusammen. Er schreibt nämlich einen socialen Roman, sagtmeine Katharina, die es von dem andren Mädchen hat er-zählen hören, der Berliner sage daS so oft und so laut undüberall, daß man das hören und behalten müsse, ob manwolle oder nicht."„Nein, wie interessant!" sagte Frau Weber.„Es ist noch lange nicht das ärgste. Denken Sie sich,meine Katharina sagt, es sei nicht ganz richtig zwischen denbeiden. Sie liebten sich."„Dummes Geklatsch I" entfuhr es der Frau Oberförster.Frau Walter sah sie mitleidig an.„Das ist kein Klatsch,Liebste. Denn warum? Denken Sie sich, meine Damen,dieser Berliner Herr schläft gerade über ihr, nämlich ganzallein im zweiten Stock, sagt meine Katharina. Frau Magdaim ersten grade drunter, und erst im Parterre ihr Mann.Nun frage ich Sie, ist das nicht unanständig? l Im höchstenGrade unsittlich!?"„Aber Frau Schuldirektor I" fiel die Frau Oberförsterernstlich böse ein.„Ich must Sie doch dringend bitten, vor-sichtig zu sein mit Ihren Anschuldigungen und Verniutnngen IWie könne» Sie aus diesem harmlosen Zufall solche Folgerungenziehen!"„Unschuldiger Zufall?" sagte Frau Walter und wurdeganz rot vor Aergcr. Uin ihrer Behauptung gleich festerenBoden nnter die Füße zu geben, erfand sie schnell etwas Ve-lastendes und sagte:„Geküßt haben sie sich schon, sagte ineineKatharina."„Wirklich? Wie sehr, sehr interessant! l" rief FrauWeber.„Finden Sie? meinte Frau Blau so recht säuerlich.„Ichwürde das etwas anders nennen!"„Das glaub' ich einfach nicht!" fiel die Frau Ober-sörster ein.„Aber ich versichere Sie," sagte Frau Walter ganz be-Wdigt.„Ich habe es doch gesagt, daß sie sich geküßt haben.Bedenken Sic doch I Sagt das nicht alles?" Sie hatte selbstschon vergessen, daß sie es einfach erfunden hatte. Nichtaus Bosheit, sondern weil die Frau Oberförster ihr nichthatte glauben wollen, und sie fest überzeugt war, daß sichdie beiden schon längst geküßt hatten, ja wohl auch nochmanches andre gethan. Wenn die Katharina davon auchnichts gesagt. Haha, die werden gerade die Dienstboten dazurufen!„Ich bleibe trotzdem bei niciner andren Meinung," be-harrte die Frau Oberförster. Die andren Damen beruhigtensie. Sie solle sich doch nicht so ereifern, man wolle ihrerFrau Magda ja gar nichts thun, wenn die Sache auchnicht ganz sauber zu sein schiene, wenn sie sich schon geküßthätten.„Und bedenken Sie. ein Berliner!" meinte Frau Webervielsagend.„Die sind ja alle so."„Woher wissen Sie das?" lächelte Frau Blau.«Sovielich weiß, waren Sie noch nie in Berlin. Oder täusche ichNlich? Dann bitte ich um Entschuldigung."� Frau Weber sagte geärgert:„Mein Mann hat es mirerzählt, und der kennt voraussichtlich Verlin besser als Sie,Frau Amtsrichter."„Ich glaube es eigentlich auch nicht", meinte FrauRoth.„Ein Berliner! Der hat doch wohl einen besserenGeschmack."Die Damen lächelten milde über die bekannte Schwächeder schönen Frau Anitsrichter. Als ob nnr ihre Art Schön»heit von Männern schön gefunden werden könnte!Gerade als Frau Walter von neuem anfangen wollte,that sich die Thür auf, und herein traten Otto, Magda undSchäfer.Die Damen schwiegen ganz betreten still wie Schul»mädchen, die auf einem Unrecht ertappt werden. Im Eiferdes Sprechens hatten sie alle das Vorfahren des Wagensüberhört.Otto sah es ihnen natürlich an, daß über ihn und feineFrau, vielleicht auch den Berliner geredet worden war. erkannte ja das Klatschnest. Er machte nur eine ganz leichte,spöttische Verbeugung und ging mit Magda und Schäfer so-fort ins Nebenzimmer, in das auch der Förster mit vielerHöflichkeit und Unterthänigkcit folgte. Es war immer einguter Tag, wenn Otto kam. An ihm verdiente er mehr alsan der ganzen übrigen Gesellschaft.Allmählich erholten sich die Danren von ihrem Schreck.Nun fanden sie es eürfach empörend, beleidigend, daß die dreisich nicht zu ihnen gesetzt hatten. Mochte eben noch die eineoder andre der Damen so etwas wie Gewissensbisse empfundenhaben wegen des Klatschens, jetzt war es damit vorbei. Diesempörerrde Betragen hatte alles weit gemacht.„Nein, was ein magerer Mensch!" sagte die dicke FrauWalter leise.„Aber so ein magerer Mensch!" Sie meinteSchäfer, und eS klang sehr verächtlich, wie sie daS sagte.„Da passen sie doch gut zusammen", scherzte Frau Roth.„Ich finde das apart und viel schöner als all die Bier-bauche!" erklärte Frau Weber enthusiastisch.„In der Beziehring war ihre Wahl in der That keinesehr glückliche." meinte Frau Blau und»lachte dazu ihrliebenswürdigstes Gesicht.—Bettchen, Fiencheu und Lieschen wandelten immer nochdurch den Tauileinvald.Fiencheu war müde und wollte, daß man wieder insHaus ginge. Doch die beiden andern gaben das nicht zu undlächelten schlau wie zwei Verschwörer, die ein großes Ge-heimnis mit einander haben.„Was habt Ihr denn nur hier?" fragte Fiencheu.„Hihi," sagte Lieschen, schwieg aber sofort auf einendrohenden Blick Bettchens hin. Bettchen war stark und koimtetüchtige Püffe austeilen, wenn sie gereizt wurde, daß es blaueMäler gab. Lieschen hatte Respekt davor.>Schon zum vierten Mal schlugen sie denselben Weg einin dem Tanncnwäldchen.„Das ist einfach langweilig," erklärte Fienchen.„Nein, ich finde es himmlisch", versicherte Bettchen undwurde feuerrot.Sie kehrten wieder um, denn Bettchen hatte wieder ganzda vorn an der Wegbiegung den harrenden Vanunternehmcrgesehen, der sich hinter einer dicken Tauue versteckt hielt, sogut es ging.Schon als sie zum erstenmal diesen Weg gingen, hatteBettchen ihn gesehen. Das Hihilieschen ebenfalls. Aber diebeiden Mädchen wußten nicht recht, was sie thun sollten. Dasweitere war doch eigentlich des Vanunteruehmers Sache, dachteBettchen ärgerlich. Viel Courage hat er jedenfalls nicht.Gott sei Dauk, daß er nicht sie, sondern das Fienchen heiratenwollte.Der Bauunternehmer war eines Maurers Sohn undselbst lange Maurer gewesen. Allmählich war er hoch ge-kommen und verdiente jetzt viel Geld. Aber sein Geist wieseine Fäuste zeugten noch gar sehr von seiner früheren Thätig-kcit. Seitdem er zu Geld gekommen, kannte er nur{nocheinen Ehrgeiz: Eingang finden in die„vornehme Welt", wieman im Städtchen kurzerhand die Mitglieder des„Klub"nannte. Aber diese„vornehme Welt" wollte mit ihm nichtszu thun haben. Er stellte sich zur Wahl, erhielt aber fastnur schwarze Kugeln, sein Aufnahmegesuch in den Klubwar also abgelehnt worden. Er blieb zwar so dick wie bis-her, behauptete aber seitdem, das sei nichts als Lkrankhaftig-keit, die sich bei ihm in Fett zeige. Er fühlte sich wirklich