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Ich: Herr Präsident, wissen Sie etiva, was Sie an diesem Tage verrichtet haben?

Der Präsident wurde noch um eine Nuance grünlicher, drohte, mich wegen Ungebühr in Strafe nehmen zu wollen, und, indem er mich mit seinen Blicken durchbohrte, fragte er mich, ob ich niemals in Danzig   gewesen wäre.

Ich: Niemals.

Präsident: Ich finde es sehr eigentümlich, daß Sie, der Sie so weit in der Welt herumgekommen sind, gerade nicht in Danzig  gewesen sein wollen. dan

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Ich: Ich wundere mich auch darüber. Präsident: Benehmen Sie sich anständig, Angeklagter. wollen also von nichts wissen; da werden wir durch die Zengen Ihr Gedächtnis schärfen müssen.

Darauf wurden einige dreißig Zeugen vernommen, die mich fämtlich in Danzig   am 12. April 1894 nachmittags in der kritischen Beit gesehen hatten. Ganz Danzig   hatte mich, wie es schien, beobachtet.

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Das Goldstück ist nämlich, wie der Augenschein lehrt, erft im Jahre 1895 geprägt, es ist also unmöglich, daß es bereits im Jahre 1894 gestohlen worden ist." allo Der Präsident erreicht jetzt das Höchstmaß des Grünlichen. Er blickte auf die Münze, und in panischer Flucht zog sich der Gerichts­hof zu abermaliger Beratung zurüd.

So wurde ich denn freigesprochent.

Seit jenem Tage bin ich vorsichtig geworden. Ich führe über jeden Augenblick meines Daseins Buch, so daß ich aus diesem Grund meine sonstigen Arbeiten habe bedeutend einschränken müssen. Jeden Tag laffe ich mir meine Angaben durch zwei einwandfreie Zeugen beglaubigen. Ich habe für alle Fälle mein unzweifel­haftes Alibi. So bin ich wenigstens sicher, daß ich nicht Ver brechen zu begehen brauche, von denen ich nichts weiß.-

Defregger  .

Joc.

Die Akademie der Künste hat in ihren Ausstellungsräumen unter den Linden eine größere Bahl von Gemälden und Entwürfen Defreggers vereinigt, die einen leberblick über sein Schaffen ge­währen sollen.

Zunächst kam der Ladeninhaber: Er öffnete unwillkürlich seine Arme, als ob er mich umfangen wollte, so freute ihn das Wieder sehen. Er beschivor, ich sei es und niemand anders, der ihm das Goldstück vom Ladentisch genommen hätte. O, er beschrieb mich genau Grauer Anzug, Kneifer, mittelgroß, blaffes Geficht, gerade Es giebt faum einen deutschen Maler, der so bekannt geworden Nafe, gelichtete Stirn, schmächtige Erscheinung. Es war kein Zweifel. wäre wie Defregger  . Diese Thatsache wird besonders auffällig, wenn Eine fleine Unebenheit bestand darin, daß der Zeuge zuerst gesagt man seine jezige Ausstellung durchsieht. Von all den Werken, ja hatte, ich hätte mit dem Hut auf dem Kopf dagestanden. Woher selbst von den Studien ist man schon zahllosen Reproduktionen in wußten Sie denn, daß die Person eine gelichtete Stirn hatte, wenn Kunst- und mehr noch in Familienzeitschriften begegnet. Und so der Kopf bedeckt war, fragte mein Verteidiger. Der Beuge lächelte viele von ihnen bei einander zu sehen, ist für sie gefährlich. Die überlegen: Na, ich dachte mir das. Schwächen drängen fich da förmlich auf; man wird gewahr, wie gleich förmig und einseitig Defreggers Malerei von Beginn an geblieben ist, über eine wie geringe Bahl von Motiven er verfügt hat.

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Die folgenden Beugen erkannten mich alle bestimmt wieder, wenn auch im einzelnen die Aussagen ein wenig von einander ab wichen. Dem Gepäckträger, der meinen Koffer aus braunem Segel­tuch getragen hatte es wurde festgestellt, daß ich so einen befäße- hatte ich in meinem Hellgrünen Anzug, meinem tiefroten Geficht und der gewaltigen Habichtsnase einen unauslöschlichen Eindruck gemacht; er schwor, daß er sich nicht irre. Eine alte Frau beschrieb mich als einen Meergreis in dunkelblauem Gewande, fupfriger Nase und dickem Leib; sie hatte mich in den Laden treten sehen, genau an demselben Tage zu der bezeichneten Minute. Mein Verteidiger erlaubte sich die Frage, warum sie sich gerade diesen Tag so genau gemerkt habe." Ich hatte an dem Tage Kartoffelsuppe gegeffen",

war die Antwort.

Andren war die Breite meines Rückens sowie das Braun meines Anzugs aufgefallen und im Gedächtnis geblieben, einige legten einen Eid auf blaue Brille, violette Hosen und hinkende Beine ab, während liebenswürdigere Leute sich die geschmeidige Strammheit meines Gangs gemerkt hatten. Eine etwas schwerhörige Zengin hatte sogar gesehen, daß ich stotterte. Auf alle Fälle war ich es und jeder Irrtum ausgeschlossen.

Ich gestehe, daß mir allmählich schwül wurde, wie sich das Neg enger und enger um mich zusammenzog. In dieser Todesfurcht kam mir ein. Gedanke. Herr Präsident, schrie ich, jest weiß ich genau, was ich alles am 12. April 1894 gethan habe, ganz genau. Der Präsident grinste boshaft:" Auf einmal! So erzählen Sie." Mit der Allgewalt eines Gießbachs stürzten meine Worte:

" Ich bin am 12. April 1894 zu Berlin   um 7,54 morgens in der Elfafferstraße Nr. 24, Seitenflügel rechts vier Treppen auf gestanden. Um 8,15 trant ich ein Glas Thee und ein hörnchen. 8,30 ging ich auf die Straße. In der Friedrichstraße am Oranien­ burger   Thor begegnete ich 8,38 einer mir unbekannten jungen Dame; ich lächelte sie an. Die Dame wird dies Lächeln beeidigen, wenn man sie als 8eugin lädt. 8,45 las ich an der Anschlagsäule Ecke Friedrichstraße und Unter den Linden die Theater­zettel. Ein Schußmann stand neben mir, er wird bezeugen tönnen, daß ich es gewesen bin. Um 8,51 ging ich zum Aschinger an der Leipzigerstraße. Ich trank für 10 Bf. Kulmbacher Bier und ein Brötchen mit Lachs und eines mit Ei. Ich bitte, das Aschinger­Fräulein zu laden, sie wird es bestätigen

In diesem Augenblick unterbrach mich der Präsident wütend: Es ist erstaunlich, wie genau Sie alles noch wiffen, obwohl der Fall doch zwei Jahre zurückliegt. Das ist höchst verdächtig."

Ich: Und vorhin fanden Sie es verdächtig, daß ich nichts wußte.

Der Präsident verbat sich derartige unpassende Bemerkungen. Nachdem ich dann mit der gleichen Ausführlichkeit und Genauigkeit den übrigen Tag geschildert, wurde die Vernehmung geschlossen. Der Staatsanwalt plädierte auf 6 Monate Gefängnis.

Als der Gerichtshof fich zurückzog, war ich überzeugt, daß mein Schicksal besiegelt sei. Mein Verteidiger versuchte mir umsonst Trost zuzusprechen; er glaubte selber nicht an einen guten Ausgang. Ge­langweilt stöberte der Anwalt ein wenig auf dem Gerichtstisch. Dort lag das fatale Goldstück. Er nahm es in die Hand und be­trachtete es sinnend. Ich glaubte einen Anstrich von Frohsin auf feinem Geficht zu sehen, aber der Anwalt sagte nichts.

Der Gerichtshof tehrte zurück. Der Vorfigende bedeckte sein Haupt und fuhr mich an: Angeklagter, stehen Sie auf". Jetzt wußte ich es keine Hoffnung mehr.

Da, bevor noch der Präsident weiter reden konnte, erhob sich mein Verteidiger und begann mit scharfer Stimme:" Verzeihung, ich habe noch eine wichtige Mitteilung zu machen".

Nun- 2"

Gleich vorn im Hauptsaal der Ausstellung steht in einer Ecke ein von ihm selbst gemaltes Porträt des Künstlers. Von diesem sollte man ausgehen, wenn man das rechte Verhältnis zu ihm ge­winnen will. Er hat vielen Bieles gegeben und so den Anspruch darauf, daß man sich bemüht, ihm nachzugehen und zu suchen, was er ihnen denn geboten hat. Man versteht es vielleicht, wenn man in diese lieben graublauen Augen schaut, die aus dem weich­gezeichneten Geficht so unendlich gutmütig in die Welt blicken und ein warmes Herz und eine liebevolle Anteilnahme an dem Leben da draußen verraten. Das ist der Defregger, der in seinen Bildern so lieb von seinen Tiroler Landsleuten erzählt hat und von ihren Leiden und Freuden fo Rührendes oder so Spaßiges zu be richten wußte. Von diesem lieben Kert" lebt in allen seinen Bildern etwas, das schließlich auch den feffelt, dem sie rein fünft­lerisch nichts zu bieten haben. Und hat man sich das einmal klar gemacht, dann darf man sich auch vergegenwärtigen, was diesen Bildern, rein als Malwerke betrachtet, fehlt.

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Defregger   hat, das ist albekannt, das Tiroler Genre" die deutsche Malerei eingeführt. Er selbst ist Tiroler, Jahre 1835 in Stronach   im Busterthal geboren, und er hat selbst als Bauer auf dem Ederhof gewirtschaftet, bis feine Untanglichkeit für diesen Beruf bewiesen war, und er als Fünf­undzwanzigjähriger den Hof verkaufte, um feinem tiefsten Wunsche gemäß Künstler zu werden. Man sollte also meinen, daß er völlig mit seinen Landsleuten fühlen und sie durchaus so nehmen konnte, wie sie sind. Aber nein, gerade er hat sie erst civilisiert, ehe sie ihm gewissermaßen hoffähig für die Malerei erschienen. Er hat die Galerie hübscher, fesch ausschauender Buben und Dearnd'in ges schaffen, die in endlosen Variationen die Leinwandflächen zahlreicher deutscher Maler bevölkern. Sie riefen einen Sturm des Entzückens hervor, sie waren es auch wohl, die die Tiroler, ihre Kostüme und ihre Tänze in Mode gebracht haben; aber allmählich ist doch die Erkenntnis gekommen, daß sie nicht echt" find, daß Defregger  seine Landsleute gar zu sehr durch eine rosa Brille angesehen hat. Auf einem feiner bekanntesten Bilder stellt er den Salontiroler" dar: ein Herr aus der Stadt, der sich ein echtes" Tiroler Kostüm an­gelegt hat, wird von den Dorfleuten, den Männern wie den Mädeln, ein wenig gefrozelt. Das soll den Gegensatz zwischen Stadt und Land illustrieren. Aber schließlich befinden sich die Repräsentanten der Tiroler in gleicher Verdammnis wie der Herr, über den sie sich lustig machen: Sie haben vom Städter selbst ein gutes Teil in sich, sie sehen eigentlich auch nicht anders aus, als ein in das Kostüm gesteckter Stadtbewohner. Im Grunde genommen sind alle Tiroler, die Defregger   malt Salontiroler".

Von demselben Geiste zeugen auch die Motive seiner Gemälde. Wollte man das Leben in Tirol nach diesen beurteilen, es müßte eine Art dörfliches Himmelreich sein; Schuhplattlern, Singen und fröh­liches Zechen und dazu natürlich auch noch Raufen wären die Haupt­thätigkeiten der Tiroler, und selbst das Wildern wär ein gar lustig Ding, das nur von hübschen Leuten geübt wird. Es ist dies nicht etwa Defreggers Besonderheit, so haben alle die Maler das Leben der Bauern angesehen, die um die Mitte des Jahrhunderts aufs Land hinauszogen, sie zu entdecken". Uns ist diese schönfärbende Anschauung heut fremd geworden.

Es wäre falsch, wollte man annehmen, Defregger   habe mit Fleiß seine Landsleute bewußt idealisiert. Dem gutmütigen Mann, der mit seinem Porträt vor uns steht, mag die Welt nicht anders erschienen. sein, erschienen. sein, oder vielmehr, in seiner Erinnerung mögen die herben Züge abgestreift und nur das Reizvolle, das Anmutige geblieben sein. Er liebte seine Tiroler.