Nnlerhaltungsblatt des Worwäris Nr. 220. Dienstag, den 13. November. 1900 fttachdruck verboten.) 8i] Mntev Molken. Roman von Kurt Aram . In seiner Verzweiflung wandte sich der Bauunternehmer endlich an Bettchen, die sich ihm gegenüber auch meist sehr anständig benommen hatte. Einmal weil sie ein gutes Herz besaß und der arme Kerl sie dauerte, und dann auch, weil die Mama es verlangte. Denn das sei die wahre Bildung, behauptete die altmodische Frau, gegen jedermann zuvor- kommend und freundlich zu sein. Sein ganzes Herz schüttete er ihr aus. Bettchen war ganz bewegt, daß sie so erwachsen behandelt wurde von einem ausgewachsenen Manne. Sie that sehr altklug, saß mit gerunzelter Stirn und dachte heftig nach, was da zu thun sei. Dem Bauunternehmer gefiel sie dabei so gut, daß er jetzt am liebsten ihr einen Antrag gemacht hätte; aber das ging nun doch nicht mehr, das wäre höchst ungebildet gewesen. So viel wußte er auch. Schließlich war Bettchen auf den Gedanken gekommen, sowie wieder ein schöner Tag käme, und man aufs Forsthaus gehen könne, wolle sie ihn benachrichttgen. Dann solle er sich im Tannenwald einfinden am zweiten Weg, von der Chaussee aus gerechnet. Aber e8 dürfe ihn vorher niemand sehen. Sie wolle es dann schon so einrichten, daß sie mit Fienchen im Tannenwald erschiene auf dem zweiten Weg, von der Chaussee aus gerechnet. Das weitere würde sich dann ja leicht finden. Als endlich der Regen aufhörte und der große Tag kam, wo man wieder auf das Forsthaus kam, benachrichttgte Bettchen den Bauunternehmer durch ein Briefchen, als sie sich vergewissert, daß Dottor Schreibers mit von der Partte sein würden. Fienchen war denn auch völlig ahnungslos und hatte sich schon ganz in ihr Los ergeben, imnier als gute Tochter bei den lieben Eltern zu bleiben. Aber dem Lieschen mußte sich Bettchen anvertrauen, allein konnte sie es nicht länger tragen. Lieschen machte Hihi und erklärte sich einverstanden, denn für sie war der Bauunter- nehmcr nichts, da es ihr an Geld nicht fehle, eher an Bildung, wie die Mama manchmal sagte. Sie hätte so eine Heirat unter dem Stand nie zugegeben. So nahmen denn die beiden, kaum waren sie ans dem Forsthaus. Fienchen zwischen sich und wanderten in den Tannenwald. Zuerst alle möglichen andern Wege, daß Fienchen ja nichts merke, bevor es an der Zeit war. Endlich schlugen sie den zweiten Weg ein, von der Chaussee mr gerechnet. Sie entdeckten auch sofort den dicken Bauunternehmer hinter der dicken Tanne am Ende des Weges. Aber Bettchen und Lieschen erschraken so über diese Entdeckung, daß sie zunächst schleunigst mit den: ahnungslosen Fienchen kehrt machten. Beim zweiten Mal gingen sie schon etwas dichter heran an den Baum, hinter dein der Bauunternehmer lauerte. Aber sie sprachen so eifrig auf Fienchen ein, daß es nur ja nichts merken solle, daß es wirklich nichts merkte. Beim dritten Mal hofften sie. der Bauunternehmer würde vortteten. Er genierte sich aber zu sehr vor Bettchen und Lieschen. Beini vierten Mal stand es noch gerade so. Da Fienchen aber innner entschiedener ins Haus begehrte, mußte endlich etwas Entscheidendes geschehen. Bettchen lugte scharf aus. Er stand wahrhafttg immer noch hinter seiner Tanne. Ist doch ein schlapper Kerl, dachte Bettchen und bekam plötzlich Mut. »Ach, Fienchen," sagte sie lant.„sieh doch nur mal die schönen Blumen dort I Au, au, mein Bein l Ich Hab' mir's verstaucht! Ach sei doch so gut und hol' mir die schönen Blumen!" Sie deutete krampfhast in die Richtung der Tanne, hinter der sich der dicke Bauunternehmer nach Kräften dünn machte. „Ich sehe ja gar nichts, ist auch gar keine Blumenzeit mehr," sagte Fienchen. „Bitte, bitte, geh' doch nur mal an die Tanne dort. Ich seh' sie ganz dcmlich. Au, au, mein Bein I" Das gutmütige Fienchen ging. Kaum war sie ein paar Schritte fort, winkte Bettchen dem Lieschen mit der Hand und beide rettrierten leise auf den Zehen. Das ahnungslose Fienchen ging immer noch weiter und wunderte sich, daß es die Blumen immer noch nicht sah. Da trat plötzlich der Bauunternehmer hinter der Tanne vor. „Endlich!" seufzte Bettchen erleichtert. Laut lachend rannte sie mit Lieschen dem Forsthaus zu. Jetzt würden die beiden schon mit einander fertig werden. „Frau Doktor, Frau Doktor!" rief Bettchen ins Zimmer. Frau Doktor Schreiber sprang auf und wurde totenbleich. Da die beiden ohne Fienchen kamen, fürchtete sie, ihm sei ein Unglück zugestoßen, und sie liebte ihr Kind doch sehr, wenn sie es auch selten zeigte. „Mein Gott, was ist geschehen?" stammelte sie er- schrocken. „Kommen Sie nur mit, Frau Doktor," rief Bettchen, die vor lauter Vergnügen gar nicht merkte, lvie alle Damen er- schrocken waren. „Thu endlich' deutlicher den Mund auf I" rief die Frau Oberförster energisch. Aber schon war Bettchen mit der Frau Doktor draußen. Lieschen, das bisher an der Tür gestanden und sich den Leib gehalten vor Vergnügen, lief eilig hinter- drein. „Ich habe Ihnen sehr was schönes zu zeigen", sagte Bettchen, Frau Doktor Schreiber mit sich ziehend. „Mädchen, wenn Du mich zum Narren hast!" keuchte diese, der die Knie bebten, so daß sie nur langsam vorwärts kam.„Wenn meinem Fienchen etwas zugestoßen ist!" Ueber diesen Ausdruck mußte Bettchen so lachen, daß sie anhielt, während nun Frau Schreiber vorwärts drängte. Da I Was war das? Kam da nicht ihr Fienchen?... Und am Arm eines MannS! Ihr Fienchen? Ist's denn menschen- möglich, dies Glück! Fienchen am Arm eines Manns?? Ja gewiß. Der Bauunternehmerl Wie stürmte es durch Frau Schreibers Herz. Dies Glück, dies Glück l Sie hätte Gott aus den Knien danken mögen, sie war auf einmal in ganz frommer Stimmung. Eine Last fiel von ihrer Seele. Nun würde ihr Mann wieder anders sein, nun war Fienchen versorgt, diese große Not von ihr ge- nommen. Anzusehen war ihr von alledem natürlich nichts, als sie jetzt sehr langsam auf die beiden zuschritt, während Bettchen sich dicht an ihren Fersen hielt. Sie hatte ja auch das aller- größte Recht, hier mit dabei zu sein. Fienchen flog der Mutter in die Arme.„Mama. Mama, wirst Du nur letzt nicht böse sein, daß ich doch nicht immer bei Euch bleibe?" Diese dumme Frage des Kinds brachte Frau Doktor Schreiber wieder ganz ins Gleichgelvicht. Das wirtte wie kaltes Wasser. Der Bauunternehmer kam nun auch ganz dicht heran, obwohl er sich reichlich Zeit nahm. Jetzt stand er stramm wie ein Rekrut mit Händen an der Hosennaht. Er wußte in seiner Verlegenheit im Augenblick nichts Besseres, als stramm stehen. Er grinste dabei über das ganze, breite Gesicht. Wie würde Frau Doktor Schreiber das alles aufnehmen, ging es durch sein Hirn. Jetzt würde es sich zeigen, ob er doch noch Eingang fände in die vornehme Welt oder nicht. Nun hatte er das letzte probiert. Fienchen weinte schleunigst. Frau Doktor Schreiber streckte dein großen, dicken Menschen die Hand hin und sagte feierlich, langsam:„Ich sehe, wie es steht. Ich will auch nicht nein sagen, wenn auch noch nicht ja, denn Sie können sich denken, daß es einer Mutter nicht leicht wird, ihr einziges Kind herzugeben." „Ja," sagte der Bauunternehmer, wenn er auch an ganz etwas andres dachte. Warum sollte es auch den Müttern so schwer sein, da sie es doch alle thun? Er machte immer noch ein so verlegenes Gesicht und stand auch immer noch stramm, daß Frau Schreiber Angst bekam, er möchte wieder] abschnappen und ihre Worte zu tragisch nehmen. Deshalb fing sie nochmals an:„Wir müssen erst Papa fragen. Ich hoffe aber, er wird nachgeben, wenn wir nur erst wissen, daß unser einziges Kind in gute Hände kommt."
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17 (13.11.1900) 220
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