Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Str. 225.

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Dienstag, den 20. November.

( Nachdrud verboten.)

Unter Wolken.

Roman von Kurt Aram .

1900

Leben und Auskommen ein Loblied nach dem andern singt. Die ganze Zeit deines Aufenthalts ist einfach zum Fenster hinaus geworfen. So' ne Gemeinheit!

Auch dies Gasthaus verließ er bald wieder. Aber wie stets nach solchen Mißerfolgen wurde er auch heute nur hart­näckiger und eigensinniger in seiner Absicht. Er gab es noch nicht auf. Noch einen Versuch wollte er machen. Er wandte sich zu einem der Wirtshäuser in der Hauptstraße.

Nur gut, daß Schäfer nicht gehorcht hatte. War es auch gerade keine allzugroße Roheit, die dem Schuster eben aus dem Kopf gesprungen, nach seiner und Franz Kranz Meinung Da saßen auch heute abend der Formermeister Windolf, wenigstens; so handelte es sich immerhin um einen ziemlich der Magazinverwalter Claas , der Schreinermeister Haun deutlichen Scherz, dessen Erfinder, wenn er bekannt würde, und der Schäfer schon von den Zahnschmerzen her bekannte jedenfalls keinen Dank von dem Herrn Direktor ernten Plazmeister Reusch. Da Reusch ihn gleich freundlich be­grüßte, wurde er auch von den andern sofort freundlich auf genommen.

würde.

Als das Bier gebracht worden und die Cigarren ange­zündet, ging Schäfer gleich direkt auf fein Ziel los und fragte die beiden nach ihren Arbeitsverhältnissen, und wie sie mit ihrer Thätigkeit zufrieden wären.

Als dann Schäfer, der. doch allmählich vorsichtig ge­worden, nach und nach das Gespräch auf die Lage der Ar­beiter brachte, erfuhr er wirklich mancherlei Wertvolles und Interessantes, wenn auch von Not auch hier nichts zu hören war. Das aber hatte darin seinen Grund, daß sich diese Leute eben alle besonders gut standen.

Er blieb hier, bis die Männer aufbrachen.

Da sich Schäfer gesagt hatte, daß er durch die Kranken­besuche mit Magda viel gute Zeit vergeudet, wenn er wirklich hinter die Coulissen der hiesigen socialen Zustände einen felb­ständigen Blick thun wollte, so lag ihm daran, nun das Ver­säumte durch beschleunigte Erkundigungen wieder einzuholen. Das war begreiflich, aber thöricht. Franz Kranz und Hagens ihr Zimmer gegangen. Einen Augenblick stuzte Schäfer über Als er wieder in die Villa kam, war Magda schon auf dörfer nahmen sich natürlich sehr in Acht. War er doch des sich selbst, als er merkte, daß ihm das gar nicht angenehm Direktors Freund, vielleicht von ihm geschickt, um sie aus war. Ich werde doch nicht aufangen, mich im Ernst für sie zuhorchen; und hatten sie doch noch kaum die halbe Cigarre und das erste Glas Bier hinter sich. Zwei Cigarren und Wunder, daß ich mich ärgere, dieser Otto ist gar zu stumpf­zu interessieren? Ach was! Dummheit! Es ist ja tein drei Glas Freibier lang hätte er mindestens warten müssen. So bekam Schäfer nur die beste Auskunft im Sinne des sinnig. Direttors. Die Verhältnisse wurden ihm von den beiden fo- Stuhl, während Otto ihn weidlich aufzog mit seiner Bier Schäfer saß äußerst ungeduldig und mißmutig auf seinem gar noch viel günstiger dargestellt, als von Otto ſelbſt. reise". Dann aber gelang es ihm, einfach auf Otto nicht Daran merkte nun zwar Schäfer fofort, daß er es verkehrt mehr zu hören. Um so leichter wurde ihm das, als sich angefangen, aber nun ließ es sich nicht mehr gut machen. Er plöglich in seinem Kopf eine Scene darstellte, die er aus­zahlte zwar noch ein zweites Glas Bier und gab noch eine zweite Cigarre, aber er erhob sich bald, da von den beiden zweite Cigarre, aber er erhob sich bald, da von den beiden augenscheinlich für seine Zwecke nichts zu holen war. Franz Kranz und Hagensdörfer sahen sich eine Weile

stumm an.

Dann fagte Kranz: Paß auf, der geht noch weiter, der Spion."

Hagensdörfer war derfelben Ansicht. ,, Dem wolle mer!" Kranz stand auf.

Was willst de dann?"

" Ich geh em nach. Un wann er wirklich in noche Wirts­haus geht, geb' ich de Leut' en Wint, daß se wisse, woran

se sind."

Das is gescheit. Mach fort! Ich wart derweil, bis de wiederkommst."

Mürrisch stieg Schäfer wieder den Kirchberg hinunter, Daß ihm jemand folgte, merkte er nicht. Es wäre ihm auch. wenn er es gemerkt hätte, nicht weiter auffällig gewesen.

Er wollte allerdings noch in ein andres Wirtshaus und wandte fich mehr ins Dorf hinein.

Als Schäfer in das Wirtshaus der Witwe trat, nichte Franz Kranz, vergnügt über seine Schlauheit. Jezt war es doch sonnenklar, was er wollte, warum der feine Herr sich auf einmal um fie kümmerte, was doch sonst nicht Mode ist bei den feinen Herrn.

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Bei der Witwe ging es wie immer luftig zu. Der Bürgermeister war auch schon da von wegen der Sittlichkeit. Kaum saß Schäfer, so wurde auch schon der Bürgermeister hinausgerufen. Draußen stand Franz Kranz und instruierte ihn eifrig und in Eile über den Doktor Schäfer.

gezeichnet für den Roman gebrauchen konnte. Wenn der Kerl doch schwiege, dachte Schäfer und schaute angestrengt auf den Borgang in sich. Das fonnte wirklich gut werden. Nur fest­halten, das war jetzt die Hauptsache. Langsam verschwand zu rekonstruieren und freute sich, wie gut es gelang. Das ging der Vorgang wieder. Sofort suchte er ihn mit dem Verstand ja prächtig! Hier und da stellte er etwas um, hier und da füllte er eine kleine Lücke aus. Wahrhaftig, diese Scene würde etwas taugen!

,, Verzeih einen Augenblick, da ist mir was Famoses ein. gefallen, ich will's nur schnell aufschreiben oben. Gleich bin ich wieder da!"" Wenn Du mir' nen Gefallen thun willst", fügte er freudig hinzu, so besorge etivas Gutes zu trinken für gleich. Mensch! Freund! Es wird doch was mit diesem Buch!"

Thür hinaus. Ganz vorsichtig ging er die Treppe hinauf, als hätte er rohe Eier in der Hand, die bei dem geringsten Stolpern zerbrechen könnten. Er stand einen Augenblick still und bergegenwärtigte sich nochmals den Vorgang. Ja, er war ihm noch gerade so gegenwärtig wie vorhin. Er öffnete hastig die Thür. Ein leiser Schrei. Er hatte sich, in Ge­danken versunken, in der Etage geirrt. Er meinte, er wäre schon im zweiten Stock, und war erst im ersten.

Bevor Otto antworten konnte, war Schäfer schon zur

Einen Augenblick starrte er geistesabwesend auf Magda, die vor dem Spiegel stand, dann verbeugte er sich, immer noch völlig geistesabwesend, leicht, halb verlegen, murmelte: Entschuldigen Sie!" und stieg schleunigst eine Treppe höher. Sein Auge hatte wohl die Scene in Magdas Schlafzimmer aufgenommen, aber seine Phantasie noch nicht, da sie zu sehr angefüllt war mit der Romanscene.

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Der Bürgermeister schüttelte in seiner Freude zum Ab­schied Franz Kranz sogar die Hand, was sonst nicht Branch war unter den Leuten, und trat dann mit einem breiten Auf seinem Zimmer machte er haftig Licht, griff hastig Lächeln auf dem Gesicht wieder in das Gastzimmer. Ohne daß sich Schäfer irgend etwas Schlimmes dabei dachte, nahm sich der Bürgermeister hie und da einen auf einen Augenblick beiseite, worauf derselbe sich auch mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht wieder seßte.

So kam es, daß Schäfer auch hier nichts andres hörte als Lob und Preis der Fabrik im allgemeinen und Ottos im besonderen.

Schäfer wurde innerlich immer zorniger. Was willst Du eigentlich in so einem paradiesischen Nest, wo jeder seinem

nach Papier und fing hastig an zu schreiben. Sehr haftig, denn er fühlte, wenn auch nur halb bewußt, daß seine Augen seiner Phantasie eine andre Scene vermitteln wollten, die ihn eben nur stören würde. Er schrieb außerordentlich schnell, denn er brauchte nur nachzuschreiben, was er in sich sah. Es wurde ihm ganz heiß dabei, und um so heißer, da er deut­lich empfand, wie seine Phantasie nicht mehr lange gehorchen würde, wie das Bild, das seine Augen eben gehabt, immer mehr in ihn eindrang und sofort den durch sein Niederschreiben gleichsam frei gewordenen Platz in seiner Phantasie mit