Interhaltungsbtatt des vorwärts Nr. 236. Donnerstag, den 6� Dezember 1900 Machdruck vcrboleu.) *7] Ankev M>olke»T. Roman von Kurt Aram . Franz Kranz stand während der Verhandlungen auch in der Nähe. Sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe.. Was er gewollt, hatte er freilich erreicht; aber die Marie Jung war dabei zu Grunde gegangen; und doch nur. um in ihren Besitz zu gelangen, hatte er es gethan. Außer- dem hatte er gar nicht gedacht, daß der Säger nicht der- sichert sein könnte. Wer hätte auch denken können, daß es zu Anfang dieses aufgeklärten Jahrhunderts noch einen so der- -chrobenen Burschen gab. Aber sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe zumal die Marie Jung nun doch verloren war. Fast war es ihm unangenehm, daß Wilhelm Säger sich weigerte, seinen Verdacht zu äußern. Es war ihm sogar ..»lötzlich zu Mut, als müsse er laut hinausschreien: Ich, ich oin's gewesen l Aber dann graute ihn wieder so vor dem Zuchthaus, daß er schwieg. Im Grunde fühlte er sich daher erleichtert und atmete auf, als er merkte, das bei dem ganzen Untersuchen nichts berauskam. Daß Franz Kranz es gewesen sein könne, daran -»achte kein Mensch, da niemand einen Grund dafür wußte. Auf die Frommen geschimpft hatten sie alle, nicht weniger wie cw. Wenn es darauf angekommen, konnten sie alle es gethan haben: und doch hätte sich keiner dazu für fähig gehalten. So mußte man denn den Brand irgend einer Unvor- üchtigkeit zuschreiben. Auch der bekannte Handwerksbursche stellte sich im Protokoll mit unfehlbarer Sicherheit ein, der m der Scheune genächtigt, unvorsichtigerweise wahrscheinlich glühende Tabakasche ins Stroh habe fallen lassen, und als er gemerkt, was er angerichtet, sich rechtzeitig aus dem Staube gemacht. 'Franz Kranz wurde immer unruhiger, je sicherer er sich fühlte, daß nie ein Verdacht auf ihn fallen würde. Er lauerte am Abend vor dem Hause, in dem Wilhelm Säger nnt seiner Familie untergebracht war. Er wollte ihn sehen, allein sprechen und ihm dann vielleicht doch einiges, alles lagen. Dann würde er ihn gewiß anzeigen, der fromme Heuchler l Er empfand eine krankhafte Neugier, herauszubekommen, was der fromme Heuchler thun, wie er sich bei dem Geständnis benehmen würde. Wie gefährlich das für ihn selbst werden könnte, daran dackne er nicht; und wenn ihm der Gedanke auch einmal unklar durch den Kopf ging, beruhigte er sich damit: Du kannst ja fortlaufen. Du wirst es ihm nur allein sagen und auf freiem Feld. Und wenn sie ihn doch erwischten? Dann war es eben sein Verhängnis. Viel lag ihm gar nicht daran, da die Marie Jung nun doch tot war. Als es ganz dunkel geworden, trat Wilhelm Säger wirklich aus dem Haus. Sofort duckte sich aber Franz Kranz in eine Ecke, daß er nicht erkannt würde. Dann schlich er leise hinter ihm drein. Wilhelm Säger ging zu der Stelle, wo vor ein paar Tagen noch sein HauS gestanden, wo jetzt nur noch ein rauch- geschwärzter, qualmender Trümmerhaufen zu finden. Eine Welle sah er starr auf die Trümmer. Dann fiel er in die Äniee. Er betet wohl, dachte Franz Kranz dicht hinter ihm. Ver- stehen konnte er den Kniecnden nicht, aber er hörte mit Schrecken, wie Säger stöhnte und schwer seufzte. Kurz entschlossen tippte er ihm auf die Schulter. Säger sprang sofort auf, weil er nicht wollte, daß jemand feine Schwäche sehe. Geh' e paar Schritt mit, ich Hab' der was zu sage," sprach Kranz leise, heiser. Wilhelm Säger that es. Langsam gingen die beiden dem nahen Wald zu. Keiner sprach. Sag' ich's ihm oder sag' ich's ihm nicht, dachte Franz Kranz und konnte zu keinem Entschluß kommen. Plötzlich blieb Wilhelm Säger stehen, und ehe es Franz Kranz gedacht, ergriff er ihn vorn am Rock und schüttelte ihn. Du, Du bist's gewesen. Du Schuft! sag's!" keuchte Säger, aber immer darauf bedacht, nicht zu laut zu werden. Kranz ließ sich ruhig schütteln. Er fühlte sich so feig, so jämmerlich feig unter dem Griff dieser Hand. Säger hätte ihn in dem Augenblick totschlagen können, Franz Kranz würde sich schwerlich gewehrt haben. Endlich ließ ihn Säger los.Sag's, warst Du's oder warst Du's nit?" Ja. ich war's." Säger wandte sich wieder dem Dorf zu. Kranz ging still hinter ihm her. Beide schwiegen eine ganze Weile. Nun sagte Franz Kranz leise:Jetzt zeigst De mich an?" Säger schwieg in schwerem Kampf mit sich selbst. End- lich sagte er laut und feierlich:Nein, ich net. Das ist nicht meines Amtes. Thu Du's. Nimm auf Dich, was menschliche Ordnung Dir zur Strafe auferlegt, und reinige Dein Gewissen. Ich thu's nit. Gott führe meine Sache. Ihm Hab' ich sie übergeben." Sei doch kein Narr! Du wirst mich doch nicht lausen lasten?!" Säger sah ihn groß an.Liebet Eure Feinde, segnet die Euch fluchen, thut wohl denen, die Euch hassen, bittet für die, so Euch beleidigen und verfolgen." Säger ließ Kranz stehen und kehrte in das Dorf zurück. Franz Kranz stand lange auf demselben Fleck und sah Säger nach. Er glaubte nicht daran, daß ihn Säger laufen lassen würde und nicht anzeigen. Er hielt das für frommes Gethue. Säger würde sich schon gleich anders besinnen. Er wartete nur darauf. Aber nichts erfolgte. Da sprang Franz Kranz plötzlich schnell ins Dorf, auf sein Zimmer, raffte zusammen, was er für nötig hielt und floh. Wenn der mich laufen läßt, sagte es ihm, wäre ich doch ein Erznarr, wenn ich mich selbst anzeigte. Und die andre Stimme in ihm, die das jetzt erst recht wollte, be- schwichtigte er, indem er dachte, ich kann mich ja immer noch selbst anzeigen, wenn eS mir unerträglich wird, so weiter zu leben.... Vorläufig will ich versuchen, ob ich nicht wo anders, weit fort von hier, doch wieder ganz ruhig werden kann. Außer dem Amtsrichter Roth gab es noch einen, bei dem wenig von N titleid zu sehen war. Es war der Geist- liche, zu dessen Amtsbezirk das schwer getroffene Dorf ge- hörte. Hatte bei Amtsrichter Roth die Wollust alle andren Empfindungen aufgefresjen. so hatte dasselbe bei dem Geist- lichen der Kirchenfanatismus zu stände gebracht. Für ihn gab es nur eins: Unfre teure, evangelische Kirche, die er völlig mit dem Christentum identifizierte. Diese evangelische Kirche war nun nach dieses Geistlichen Ansicht von allen Seiten bedroht. Nicht nur durch die Römlinge und Päpst- lingc, sondern gerade so sehr durch die Lauheit der evangelischen Vornehmen wie durch dieungesunde" Frömmigkeit der Sek­tierer. Hierzu gehörten alle, die nicht genau und in jeder Be- ziehung das wollten, was er für gut hielt. Unter all diesen Gefahren war er fast der einzige treue Diener der evangelischen Kirche und kam nie aus der Gereiztheit und Zornwütigkeit gegen fast alle Menschen heraus. So konnte er es auch nicht unterlassen, am Grabe der Marie Jung gegen die ungesunde Frömmigkeit der Sektierer zu donnern. lvaS sonst oft reichlichen Beifall im Dorf ge- fanden, bei dieser Gelegenheit aber böfeS Blut machte, da die große Trauerversammlung eins war in der Empfindung des Mitleids über den grausigen Tod des Mädchens, des schönsten im Dorf. Wenn die Dorfleute über dein Mitleid alles andere vergaßen, hätte das ihrer Meinung nach der Pfarrer erst recht thun müssen. Als der Geistliche nun bei der Beerdigung Magdas, die zwei Tage daraus stattfand, hier die Gelegenheit wahrnahm. ohne Menschenfurcht Zeugnis abzulegen von der beklagens­werten Lauheit der Vornehmen der teuren, evangelischen Kirche gegenüber, wurden die Arbeiter noch aufgebrachter: denn die Frau Direktor hatte ihr Leben für ihresgleichen gelassen und stand erst recht hoch in der allgemeinen Achtung. So rotteten sich denn am Abend die jungen Burschen zusammen, zogen zum Städtchen, brachten dem Pfarrer eine Katzenmusik, be- warfen sein Hans mit Schmutz und schlugen ein paar Fenster