Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 249.
Dienstag, den 25 Dezember
Ein Weihnachtsabend.
Der Tag versinkt... Mit grämlichen Geberden Schleicht um mich her die graue Dämmerung. Auf meinem Wege will es dunkel werden Und Feierabend heischt die Wanderung. Ich bin am Morgen aus der Stadt gegangen Von ihrem Trubel ward mir wüst und weh Zum Thor hinaus, in brennendem Verlangen Nach dieser Einsamkeit in Wind und Schnee...
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Vom Turme dort, bedeckt mit weißen flocken, Hallt's friedlich über blanke Felder her; Es ist der alte Klang der Weihnachtsglocken, Der alte Klang und doch: er ist's nicht mehr. Es klang einst anders... Wie die Zeiten sterben, Wenn uns des Lebens scharfe Kralle packt! Ich sehe nur mich und ich sehe Scherben, Von eigner Hand zertrümmert und zerhackt.
Soll ich mich heimlich in die Kirche schleichen, Um die das Dorf mit tausend Kerzen steht? Wo um die morschen, ausgehöhlten Eichen Der Geist der Ahnen und der Kinder weht? Soll ich dich hören, festeswort der Liebe? Was frag ich noch. Hier steht das Armenhaus! Und wenn ich trotzdem in der Kirche bliebe, Ich weiß es schon: ich ginge bald hinaus.
Ich würde bald, vork wilder Haft getrieben, Die Felder suchen und das Sternenlicht Ich kenne euch! Ich kenne euer Lieben, Das nur an hohen Feiertagen spricht! Jhr singt und betet und ihr schwärmt von Schlachten Und höhnt den Bruder, der im Schmutz verdarb; Wie würde jener Christus euch verachten, Der für die Armen einst am Kreuze starb!
1900
Nein, unter Menschen, Menschen will ich rasten! Mein Leib ist müde und mein Kleid ist naẞ, Auf meinem Rücken hocken stille Casten,
An meiner Brust wühlt Groll und Weh und Haß. Des Lebens heißen Atem will ich spüren,
Der ewig schaffend aus der Tiefe dringt! Will hell zur Flamme jenes feuer schüren, Das alle Nacht und Finsternis bezwingt..
Es pfeift der Sturm. Die alten Eichen stöhnen. Kalt schlägt der Schnee mir in das Angesicht. Es braust die Orgel und die Glocken dröhnen- Dort hinten aber blickt ein kleines Licht. Dort ist ein Dach, das über eine Schande Der frommen Zeit die roten Ziegeln deckt, Dort, wo der Wandrer, der von Land zu Lande Brotsuchend zieht, sein Elend schen versteckt.
Ich trete ein. Wie strömt er mir entgegen, Der Hauch der Not, aus diesem kahlen Raum! Da sitzen sie, durchnäßt von Schnee und Regen, Mit müden Blicken vor dem Tannenbaum. Die Kerzen qualmen und die Zweige glimmen... Jst denn nicht Einer, der noch fröhlich lacht? Nur wie im Traume lallen rauhe Stimmen Das Wunderlied der heiligstillen Nacht.
Da reckt sich Einer auf aus dieser Runde Und schlägt gewaltig auf den Tisch die Faust: ,, Hört, Kameraden, mich! Es ist die Stunde, Da durch das Land das Lied der Liebe braust. Zweitausend Jahr schon geht es um auf Erden! Zweitausend Jahr! Doch, was das Wort verhieß, Wird nicht zur That, wird nicht zum Leben werden In einer Welt, die Euch und mich verstieß!
Laßt uns der Kraft, der eigenen, vertrauen! Das Wort der Liebe tilgt den Mangel nicht. Auf dieser Erde laßt uns Häuser bauen,
Drin jeder Mensch sein Brot in Frieden bricht. Apostel laßt uns werden allzuhauf,
Daß sich die Menschheit von der Qual erlöse!"... Der Baum erlosch. Die Augen flammten auf Und durch den Raum erklang die Marseillaise .
Ernst Prectang.