Unterhaltungsblatt oes Vorwäris

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Donnerstag, den 3. Januar.

( Nachdruck verboten.)

Der Kaffl vom Hollerbräu.

Roman von R. von Seydlik.

Raftl warf sich ins Gras des Abhangs und starrte träumend vor sich hin. Unten auf der Wiese 30g eine Schaf herde langsam vorbei. Die Wiese war frisch und grün, aber merkwürdig biel Scherben lagerten verstreut herum, alles graue, furze starke Geschirrbrocken. Der Münchener nennt das Cttoberfestsamen. Denn es find zerscherbte Maßkrüge vom legten Oktober her.

Richtig, Maßtrüge waren es einmal gewesen, das sah er jett. Und das gab ihm einen zweiten Gedanken von packender Größe ein: die vielen Tausende von Hektolitern brauchten ja auch hunderttausende von Kehlen, um sie aus zutrinken!

Und dieser zweite Gedanke brachte in ihm ungefähr die Wirkung hervor wie ein fester Trunt aus frisch angestochenem Faß es wurde warm und lebendig in ihm, ein angenehmes Summen und Prickeln belebte ihn, er warf plöglich seine Kappe hoch in die Luft und lachte für sich hin.

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1901

das fühlte er wie eine Art angenehmen Grauens, das lärm­durchwebte, rauchende Ungeheuer wollte ihn nur einschlucken, um ihn womöglich zu verdauen. Aber dazu gehören zwei, und Stast! war schon auf der Schule bestrebt gewesen, sich nicht ver dauen oder unterbuttern" zu lassen; er hatte danach getrachtet, bei jeder Rauferei entweder den Gegner unterzudrücken, oder doch wenigstens, wie jener Pfarrer scharfsinnig unterschied, selber oben zu liegen. Aus seinen hellen Augen blikte es nach und nach immer fühner und munterer. Vom bier­getränkten Münchener Boden auf stieg in ihm eine Art von Rausch des Ehrgeizes, eine Begeisterung des festen Willens zu Kopf. Wenn je ein findischer Held der Naivetät einen tollen, ver messenen Schwur gethan hat, etwas Abenteuerlich- Unmögliches auszuführen, über das weise Feiglinge ihren Stopf schütteln, so war's der Raftl. Denn in feines Hoch- und Bühnendeutsch übersetzt, hätte er einen gewaltigen Monolog halten müssen, an dessen Schluß er in die blaue Luft der Theresienwiese hinaus die erschütternden Worte gerufen hätte: München , dich erkenne ich, ich weiß, wo du zu fassen, zu treffen bist, ich weiß den Schlüssel, der mir alles öffnet, ich kenne das Zauberkraut, das mir deine Reichtümer zeigt und herbeizicht, sich' dich vor, große Stadt, ich, der arme Schluder, sage es dir voraus, ich, der junge fremde Bursch hier draußen, trete in dein Thor ein mit dem festen Willen und dem besten Talent, in dir mächtig zu werden und zu wachsen, bis ich einst deiner Herr sein werde; du bist gewarnt, wilde, große, unfreundliche Masse da vor mir; jetzt bereite dich vor zum Ringen!" Und was dergleichen Schönes noch sonst in Schauspielen gesagt zu werden pflegt. Aber Stafti vermochte nicht. seinen Gefühlen solchen Ausdruck zu geben; und von dem Marsch, der Aufregung und Freude und von der so nahe vor ihm liegenden Erfüllung seiner Hoffnung nach und nach betäubt,-

Denn eine so riesige Stadt wächst ja noch jährlich an und verbraucht darum jährlich immer mehr und kann auch jährlich mehr schaffen für auswärtige Konsumenten, denn das hätten die Bierexportwaggons wie die Geschirrbrocken dem Staftl gleich zu Anfang verraten können das meiste Münchener Bier rinnt in fremde Kehlen, entweder als Exportware oder als Reisekost zuströmender Fremdenmassen. Also, schloß Kastl , müssen sie da jährlich mehr Brauer brauchen können -es fonnte nicht fehlen, auch er mußte seinen Platz finden. Und endlich tauchte in ihm ein dritter, noch flarerer und nicht minder wärmender Gedanke auf: schlief er friedlich ein. daß ja all das viele Bier bereitwillig bezahlt wird, daß ja der Trinker der bereiteste Zahler ist, daß ein jeder oft das Leste opfern möchte, um nur den gewohnten guten Tropfen zu haben Schneider, Schuster, Metzger und Bäder, die frei lich der Menschheit wichtiger und näher sind vom ersten zum legten Tag, die läßt man warten. Aber am Schenktisch tauscht man Münze um Ware; das ist einmal gewiß, das Geschäft ist das flotteste, weil da auch das Geld am fluffigsten ist.

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Er überließ es dabei weisheitsvoll seinem Genius- denn jeder Eroberer seit Julius Cäsar hat einen foldjenjene Rede an München zu halten und das Münchener Kindl auf das nahende Schicksal in Gestalt des Hegebart- Rastis aus Allersdorf. Bezirksamt Spalt, aufmerksam zu machen. Der Genius mußte offenbar seiner Pflicht getreulich nachgekommen sein und bereits in den Seelen vieler Münchener begeisterten Anhang geweckt haben; denn es erscholl vont nahen Bavaria. feller her plößlich ein vielhundertstimmiges dreifaches Hoch. Wie er sich das so hin und her überlegte, wurde ihm Kastl erwachte und rieb sich die Augen. Er war immer wärmer und heiterer zu Mut; er fühlte es, er hatte weit entfernt, entfernt, das Hochgeschrei eines im Kellergarten jeinen Finger in den vollsten Topf gesteckt und begriff nicht, versammelten Turnvereins auf sich zu beziehen, denn daß nicht alle Leute auf denselben guten Gedanken fommen er wußte ja von der Rede und Kriegserklärung feines fennten, den er gehabt hatte, Brauer zu werden. Es Genius nichts; aber er verspürte Hunger und brach auf. fonnte ja fein vernünftigeres Beginnen geben. Da war um nun ernstlich und festen Schritts in die Stadt ein­weite Aussicht und guter, sicherer Gewinn, da konnte es nie- zuziehen.

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mals fehlen So lange Hopfen wächst und Gerste reift, so- Der Marsch ins Herz von München wäre eigentlich ein lange Menschen Durst haben, und frohe Gesellen bei einander eignes Kapitel wert. Denn die Sache glich aufs Haar der hocken ist der Brauer und sein Gebräu dabei als erstes Odyssee; eine föstliche Frrfahrt war's und die Nymphe Erfordernis zum Dasein Mein! Was wär' die Welt ohne Stalypso fehlte auch keineswegs, wie sogleich berichtet Bier! Und hier, in München , war die allerhöchste Hochschule werden soll. der edlen Kunst, hier kannten sie allein und ganz genau das echte Geheimnis, den Gerstensaft in herrlichster Art zu brauen, so daß sein Ruhm über die ganze Welt strahlte. Da mußte Geld und Ehre zu holen sein für einen jeden. der mit gutem Willen, einem gescheidten Kopf und hartgearbeitetem Storper mit angriff!

Was der junge Bursch, der da schwerklokig im Gras lag, dunkel und halb unbewußt, aber richtig, herausfühlte, das übersetzten die Gelehrten der Nationalökonomie oder die des Brauwesens in ihre respektiven Phrasenidiome; sie reden bon der eminenten Bedeutung des Biers als Exportartikel und volkswirtschaftlichem Nähr- und Genußmittel, sie reden vom Gerstentrant als hochwichtigem Kulturfaktor und historisch germanischer Errungenschaft von der beliebten weittragenden Bedeutung"-furz, sie reden sehr schön, aber im Grunde ist's nichts andres, als was der für seine Sphäre intelligente Bursch träumte, als er in heller Sonne München , fein Ziel, die Stadt der Braukunft und des größten Durstes, vor sich aus­gebreitet sah, bereit, ihn in sich aufzunehmen. Auch er war bereit, sich hineinzustürzen und zu sehen, wo er durch Fleiß und helles Aufmerken und Lernen wieder aus dem untersten Gewühl auftauchen würde zum Licht, um zu verschnaufen. Denn auch

Zunächst zog ihn das Riesengebäude an, das am Ende der Bayerstraße steht und jedem Münchener als Pschorr­brauerei bekannt ist. Damals waren gerade die mächtigen Neubauten kaum vollendet, und Kastl ahnte nur aus der Konstruktion des Ganzen den Zweck. Also wieder eine große Brauerei! Das Ding stieg ihm immer mehr zu Kopf. Erhobenen Hauptes schritt er die Bayerstraße hinab, blickte stolz über viele Faßfuhren hin, die die Straße entlang zogen, und nahm sich vor, nicht zu arg zu erstaunen über all das verwirrend Große und Seltsame. Die Häuser wurden immer höher, die Tramwagen flingelten und die Menschen hasteten in gedrängter Menge au ihm vorüber. Aber Staftl hatte ein Palladium gegen all das in sich sein frohes Hoch­gefühl, auf dem Weg zu seinem Ziel zu sein.

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Er überwand also glücklich eine natürliche Neigung, überall Maulaffen feil zu haben, und schlug sich tapfer durch bis auf den Bahnhofplatz. Aber da wurde es ihm doch etwas zu bunt. Da fuhren die Tramwagen links und rechts, und große Omnibusse mit vielen Leuten und Koffern rollten eilig davon, dazu Lastwagen, Karren, Droschten und elegantes Privatgefährt! Der Bahnhof das alte Gebäude mit seiner Streuzgangfront dünfte ihm ohne Maßen herrlich, und,

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