Mnterhaltungsblatl des Horwüris AK. 27. Donnerstag, den 7 Februar 1901 <Nach»m<t verboten.) Vcv Nnptl von: LZollevbvttu. 27] Roman Von R. Von Seydlitz. Am ersten warmen Maitag eröffnete der Gasteigkeller— denn die hartnäckigen Münchener nannten ihn innner noch so— seine Pforten unter Trompetengeschmetter einer Militärkapelle. Ningelmann fuhr durch Garten. Küche und Keller wie eine tolle Ratte; überall sah er zum Rechten und schlvitzte wie ein Schauspieler vor seinem ersten Auftreten. Auch Hegebart stieg in allen Winkeln uinher; nur etwas ruhiger. Bis gegen Abend hatte er im Sudhaus zu thun, erst als die Gasflammen brannten, stieg er durch den Gang neben der Mälzerei zum Keller empor. Als er eintrat, lärmte die Musik gerade aufs wildeste, und er blieb an der Zaunpforte stehen, verblüfft durch die wimmelnde Menschenmasse; das Debüt schien glänzend gelungen! Wo kamen nur alle die Menschen her, die doch sonst offenbar anderswo ihren Abendtrunk schlürften? War's das Bier, die Musik oder die Neugier, die sie heute her- trieb? Genug, sie waren da. Sie gingen und kamen, sie saßen und standen, drängten sich an der Schenke, aßen und tranken, lachten, schwatzten und schrieen. Unter den hellblendeuden Gasflanunen stieg der blaue Tabakranch auf, darunter wogte die bunte Menge, dazwischen lenchteten weiße Tischflachen, und unter diesen der weiße Schotter, auf dem Papiere her- Umlagen, von Hunden berochen. Die Kinder schrieen, die Krüge klapperten, und an der Küche schallte das Kommando- wort der Ausgeberin; über all dem aber paukte und toste die laute Musik. Ganz am Eingang lungerten Zaungäste, zögerten Hausierer. Darunter ein elendes, mageres Mädchen mit Blumen. Knstl fiel plötzlich wieder der alte Thorbogen des Hollerbräu ein, unter dem er einst auch nach einer Rose gesucht-- und dem festen, thatkräftigen jungen Mann, der so ernst und fleißig durch sein Leben ging, passierte es jetzt plötzlich, daß er etwas wie eine Art Seufzer in der Brust verspürte. Aber er unterdrückte das. wie inimer, und ging zur Schenke. Dort begegnete ihm Ringelmann:„Ja Herrgott, Kastl, " rief dieser, sich den Schweiß wischend,—„wenn dces so fort- geht, brauch'» mer näxtes Jahr an zweiten Keller/ „Worts nur ab, Ohm," war die ruhige Antwort. „Gel'— aber schön is's?l* rief der andre stolz und vergnügt. Kastl nickte und sah über die brausende Menschenmenge, die sein Bier trank.— Freilich war's schön l Denn im ge- heimste»! Winkel der Mannessecle steckt immer der Wunsch, zu wissen, was man auf dem Markt gilt: und die wahre Freude am Dasein ist das Erstarken dieses geheimen Bands, das den Mann und sein Lebenswerk mit den Mitmenschen Verbindet. Hier aber sah der Brauer die heiteren Mienen, hörte das zufriedene Dcckelklappen und beobachtete die kurzen beifälligen Bemerkungen, die Bekannte mit einander über sein Gebräu austauschten., Ringelmann hatte den Morgen, wie in einem letzten Zagen und Bangen noch ironisch gesagt:„Wenn nix hilft, hängt mer an Hartschierhelm ans Fenster."— Denn wo die großen Blechhauben am Nagel hängen, ist bekanntermaßen das Bier gut. Aber dazu kam's nicht. Ohnedies hatte alles, was in der Nachbarschaft»naucrte, ziinmerte, Droschken fuhr oder als Dieustinann herumstand, die Gaststube des Ludwigsbräu zum Bicrlieferanten erhoben, und der Zug kalkbestaubter, ziegel- geröteter Arbeiter oder weißbehaubter Mörtelweiber, der an einer Bierquelle aus- und einströint, ist ebenso wie jene Blech- Haube die beste Enipfehlung. Ja. es ging l Es war schön I Sogar ein vor kurzem in Unfrieden gegangen— wordener Schreiber ans Ringelinanns Conrptoir saß da unter den Gästen. Also auch er hatte das Bier so lieb gewonnen, daß er seine Entlassung vergaß und seine Maß Ludtvigsbräu schlürfte I— Das rührte Kastl ; der Mann saß allein an einem Tisch und sah recht reduziert aus. Wie Kastl vorbei- ging, begrüßte er ihn höflich, und der Bräuineister blieb stehen und fragte ihn nach allerlei. Der arme Teufel fing alsbald eine Jeremiade an,— er war noch stellenlos, hatte Kinder und sofort. 5lastl setzte sich an den Tisch und schlug ihin vor, wieder einzutreten, mit Ningelmann wolle er das schon aus- machen. Merkwürdig aber, der Mann wollte nicht. Er trank aus und wurde plötzlich schweigsam. Kastl fragte endlich dringender, bohrte an ihm herum; denn der Mann war, das sah man ja, bis an den Hals hinauf voll von etwas, was er nicht sagen wollte. Kastl vermutete, daß das vielleicht grade der Moment sei. etwas fürs Geschäft Wichtiges zu erfahren.— Es kam auf KastlS Wink eine frische Maß, und endlich löste sich der Bann; erst tröpfelten die Worte, dann aber brach's los, und Kastl unterbrach ihn nicht. Zurückkehren zuin Ludivigsbräu? Nein,— nein, gewiß nicht.— Er nicht, und wenn er verhungerte.— Warum?— Ja I Mei I— Halt, so—...„Wissens, Herr Bräumeister, sagen mag i's net, und glauben thaten S' mir's am End a net.— I merk scho, Sie wissen ja von gar nix.— Laß'n mir's also gehn, redn mer von was anderm.— Geltens, daß S' mi nachher no»nehr ins Unglück bringen, daß i Zeugnis abgebn muß: und nachher heißt's auf amal Verleumdung und so und i bin der Ein'gangne.— Dees fallet mer ein l— Aber wahr is's doch. Und i mein alleweil,— dees wenn Sie wisseten, Herr Bräuineister,— na' gängeten S' a wie-r-t. — No, weil ma halt sei' bisse! Ehr hat; lieber verhungern." „So?" meinte Kastl ;„aber mei Ehr gilt bei Jhna nix, daß S' dran dächten, daß S''s nur a sagten?" Und dann gings los. Es war eine verivickelte Geschichte, gespickt mit dem in der ultrainontanen Volksseele stets schlummernden Judenhaß, der bet jeder vermeintlichen Ge- legenheit hervorbricht; der gewesene Buchhalter war, kurz gesagt, seiner Ansicht nach dahinter gekommen, daß Ringel- mann aufs ärgste betrog. Und natürlich, so folgerte der Mann, mußte der„Jud" dahinterstecken. Die Bücher waren von Anfang an gefälscht, Ankäufe waren eingetragen, die nie stattgefunden hatten, an den Preisen, den Löhnen war herumkorrigiert worden, die Baukosten- Rechnungen spielten auch eine bedenkliche Rolle, kurz es war ein uncrgründ- licher Sumpf von schwarzer Fäulnis; und Ringelmann hatte bereits ein ansehnliches Kapital auf der Vereins- dank deponiert; und hinter allem steckte eben, wie gesagt, der „Jud".— Nebenbei bemerkt, war Bankier Mindelheimer so unschuldig an etwaigen Machenschaften Ringelmauns zu dessen Bestem, als er unschuldig war am guten Gebräu Kastls.-- Was hätten ihn auch die Kleinigkeiten gekünimcrt; ihn kümmerte der Glanz und das Aufblühen des Geschäftes, der Absatz, der Kredit und vor allem der Jahresabschluß; und für später der Moment, in welchen» das Geschäft eimnal auf Aktien gestellt werden konnte. „Segns, Herr Bräuineister,— wann's ka Jud war, war i glei z' eam selber ganga; daß er's g'spannt, was da vorgeht; und wann er selber Dreck am Stecken hat, daß er's waß, daß i's maß. wiffen's. Segns, Herr Bränmcister, — a so steht's. Jetzt ruinirn S' an unglücklichen Familien- vata und zeig'n S'»ni an,»veg'n Verleumdung. Denn beweis'» kann i's ja net, i Hab ja ka Stücke! Papier in der Hand, und der Ringelman is z' schlau. Wann S' d' Bücher refidinr, finden S' nix." Kastl war weit entfernt, einen Münchener Familienvater zu ruinieren, er schenkte dem armen Kerl vielmehr Geld»md hieß ihn vor der Hand schweige».— Er selber verstand,— Gott sei dank, dachte er jetzt,— nichts von der Vuchhalterei und allem kaustnännischen Gebahren. Er nahm sich auch fest vor, nichts selbst in der Sache zu untersuchen. Er glaubte auch nebenbei gar nicht an Ringelmanns Fähigkeit, zu betrügen. Der Ohm war von je lieb und fürsorglich zu ihm gewesen wie ein Vater.—'s mochte wohl alles faules Ge- schwätz sein; und da er's»ücht ergründen konnte noch»vollte, — einen Professor für diese„Krankheit der Buchführung" kannte er nicht, der etwa hätte Helsen können, wie der beim
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18 (7.2.1901) 27
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