Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 42.
42]
Donnerstag, den 28. Februar.
( Nachdrud verboten.)
Dev Kaffl vom Hollerbräu.
Roman von R. von Seydlik.
( Schluß.)
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Dies alles sagte Kastl trogig und energisch. Haslinger fühlte ein menschliches Rühren; er brach die Unterhaltung ab, und erklärte sich einverstanden, zu warten. Aber drüben im Comptoir Roßbergers, wohin Kaftl Geschäfte halber mußte, ging die Sache weiter. Roßberger hatte gar feine Lust, zu warten, bis Agathe entiveder starb oder genas; er geriet mit Kastl hart aneinander, erklärte ihm rundweg, es fei seine( Staftls) Pflicht, auf eigene Faust heute noch zu Frau Ebelein zu gehen und um die Hand der Tochter zu bitten. ,, Vielleicht, daß Dir f' no gibt, eh der Skandal sich ' rumspricht. Nachher, wenn D' net hingehst und anhalst, na hast die Ehr von der Familie am Gewissen. Bedenk doch, die Ehr vom Fräulein-"
,, So, von der", erwiderte Kastl , aufs höchste gereizt, so von der; die alte, die alle Leut hab'n siken lassen, die jetzt noch gut genug is für'n Bräumeister, weil s' fa andrer nimmt. So, d' Ehr von der alt'n Jungfer; die hat wohl fein' Standal g'habt dazumal mit dem Leutnant?"
Kastl !" schrie Roßberger, so redſt net von Ebeleins, so lang D' beim Hollerbräu bist,-i leid's net."
hab nig unwahrs gfagt, aber Ihr könnt ein'n rein berruckt machn. I dien' m Hollerbräu, aber net dene zwei Frauenzimmern, von dene will i nig wissen. I fenn f' nimmer, für mi sind s' net da."
1901
Wegen nachlaufen, das war nicht mehr kaufmännisch im besseren Sinn. Und er schwor sich, zukünftig von solchen Dingen die Hand zu lassen.
Wohl nie in seinem Leben hatte er so am Scheidewege gestanden.
Noch stand er ja vor der Wegteilung. Noch konnte er wählen.
Hier Vivi Ebelein, Ansehen, Reichtum und zuletzt sein altes Endziel, die Herrschaft im Braureich, die Eroberung Münchens .
Dort sein armes Agathl, scheele Blicke, Verlust seiner Stellung, bescheidenes Auskommen und der Zwang, wieder anderswo anzufangen, vielleicht lebenslang zu ringen, ohne Hoffnung, jene Machtstellung je zu erreichen.
Er rang hart und schwer. Einen Tag fiegte Vernunft, einen andren Liebe. Denn so nüchtern und klug er im Geschäft war, so heiß war die alte frühere Leidenschaft in hellen Flammen in ihm aufgeschlagen, so daß er Mühe hatte, feine mutmaßliche Zukunft durch den betäubenden Rauch dieser Flammen zu erkennen.
Und andrerseits, so heiß er liebte, hatte er doch lange genug ohne Agathe gelebt und gearbeitet, um zu wissen, daß es auch ohne sie gehen konnte.
Wirklich? Jezt noch, nachdem sie wiedergekehrt, nachdem sie seinetwegen sich ein Leids angethan, jetzt, wo er sie täglich sah und ihre wiederkehrende Lebenskraft mit seiner ernsten treuen Liebe nährte?
Wäre es nicht abgrundtiefe Schlechtigkeit, das arme vertrauende Herz zu täuschen? Er schämte sich vor sich selbst, beim bloßen Gedanken.
Aber der Gedanke kam doch wieder. Wie, wenn sie mun nicht genesen, sondern sterben möchte; hätte er da nicht das eine Glück von sich gestoßen, um das andre zu verlieren?
,, Na, gut is; nacha tönnt's leicht sein, daß s' Dir Würde Vivi thn nach dem Tode Agathes noch anmit gleicher Münz' zahin; auch alle Rücksicht beiseit thun, nehmen? und beantragen, daß das Direktorium' n andren Bräumeister fucht!-"
„ So- o?!" schrie Kastl bleich vor Wut, also weil der Sklab der Herrin net pariert, wird er ausg'schafft?! Dees fönnt's leicht habn.-wart' net lang, i geh' von selbst. Aber dann gut' Nacht, Hollerbräu! Wann i in d' Konkurrenz geh, da schaut's nur nach'm ordentlichen Ersatz für mi. Werdt's scho g'spürn, wie viele solche da sind und zum habn sind, als wie- r- i!"
康
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Sprach's und ging und schlug die Thür zu.
Roßberger ärgerte sich, mit der Entlassung gedroht zu haben. Aber er dachte sogleich, daß Kastl sich das wohl überlegen würde, namentlich da Agathes Zustand ihn so sehr beschäftigte.
Eitel Bank gab's; auch hatte Roßberger ein Tänzchen mit seiner Frau. Aber ebenso wie Kastl sofort gespürt hatte, daß niemand von der Verräterei der Frau Noßberger gemerkt hatte, so merkte diese auch sofort, daß ihr Mann nichts von ihrem Thun erfahren hatte. So hatte sie es leichter und wies seine Anschuldigungen feck zurück.
Heimlich sah sie natürlich doch nach Agathe; sie besuchte fie im Krankenhause gerade, als Hegebart an ihrem Bettrand saß und in tiefster Erschütterung, aber auch innigster Freude eben von ihr die ersten herzlichen Worte gehört hatte.
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Und endlich kam ein trüber Lag, wo Agathes Kräfte nachließen und der Arzt unsicher und unklar auf seine Frage antwortete. Sie hatte hohes Fieber und schien ihn nicht zu erkennen.
Da ging er durch die Anlagen des Krankenhauses heim, wo die Fülle des Frühlings prangte, und ballte in den Taschen die Hände. Er hielt den gegenwärtigen Zustand nicht aus, jede Aenderung war willkommen. Und ohne daß er's merkte, fam ein Entschluß zu stande.
Er wollte direkt zu Frau Ebelein gehen und ihr aufrichtig und ohne Verschweigen und Winkelzüge seinen Zustand schildern; schon daß er sich einmal gegen irgendwen aussprechen könnte, schien ihm eine Wohlthat. Er wollte ihr alles sagen, wie ein Kind der Mutter. Mein Gott, die Frau mußte doch ein Einsehen haben.
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Er setzte sich auf eine Bank am Sendlingerthor und ver tiefte fich in die neue Idee. Er würde dankbar und ver trauend sein. Er würde ihr auch sagen, wie sehr er die Tochter schätzte und die Ehre der Verbindung erkenne. Er wüßte es ja, er sei ein armer Gütlerssohn, ohne angesehene Familie, ohue nennenswertes Vermögen. Aber er sei zu ehrlich, er könne nicht. Sie möge mur bedenken, wenn eine, die man lange Jahre im Herzen getragen, gerade vielleicht im Sterben liegt, was müsse das für ein Mann Agathe machte, seit sie alles erfahren und seit er täglich sein, der da unterdeß um eine andre freit? Und darum, bei ihr saß, die schnellsten Fortschritte in der Besserung. Ihre so wolle er schließen, bäte er um Bedenkzeit. Das sei freilich, felig- gehobene Stimmung wirkte stärkender als alle Arznei. er wisse es, tein Herkommen. Aber wenn sie ihn wirklich als Und im Hotel war's gelungen, die Sache als einen Schwiegersohn betrachtet habe, möge sie ihm dies seltsame Unglücksfall darzustellen; der Gast, der sie beobachtet, war Verlangen erfüllen, um seiner Ehrlichkeit, um des Gedeihens morgens nach England abgereist, die Bediensteten hatten von der etwaigen Ehe mit Vivi willen. Und dann, so fiel's Stafti mächtige Schweigegelder erhalten, und der Arzt war ihm noch zuletzt ein, und der Gedanke schien ihm gut,- bernünftig genug, auch zu schweigen. wolle er wiederkommen, anhalten, und Vivi lieben lernen. Mehr konnte die Frau nicht verlangen von ihm, wie er mum einmal war, als Aufrichtigkeit und guten Willen! Er fühlte es voraus, das mußte sie mild stimmen und für ihn gewinnen.
Aber Staft! hatte noch andre Sorgen: feine Spekulationen. Damit wollte es gar nicht recht gehen. Er sah gerade in diesen Tagen ein, daß er am Letzten des Monats mit einem schweren Verlust abschließen mußte.
Und in der bangen Bedrückung, welche dieser Erkenntnis folgte, ging er in sich und erkannte, daß er weit übers Ziel hinausgeschossen sei. Die Augen offen haben für ein Geschäft, das sollte und durfte er ja. Aber dem Gewinn auf unsicheren
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Und er stand auf und ging schnurstracks nach Hause, um einen schwarzen Rock anzuziehen. Denn ohne solchen konnte er seinem Gefühl nach nicht zu Frau Ebelein.
In der Brauerei gab's einiges zu thun, er kam nicht