Interhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 62. Donnerstag, den 28 März� 1901 (Nachdruck verVoten). sc) Dio bunte Vrihe. Berliner Roman. Bon Fritz Mauthner . XVII. Von Tag zu Tage verschob es Bohrmann, die gute Hilde ernstlich noch der Herkunft des vielen Gelds zu fragen. Er hatte Angst vor ihrer Antwort; auch dachte er doch nicht immer an Kleider, an Geld und solche Aeußerlichkeiten. Den Fettfleck hatte Hilde übrigens mit Benzin herausgebracht. Wäre er nicht ein Dichter gewesen, er hätte dieses begabte, brave Weib gewiß nicht betrogen. Auch an Mascha dachte er jetzt nicht immer. Es war zu viel für die Schule zu thun. Stur vor dem Einschlafen überfiel ihn regelmäßig der Gedanke an ihre Küsse und versetzte ihn in die lebhafteste Unruhe. Oft mußte er auS dem Bette springen und in den Strumpfen auf und nieder gehen, um Herr dieser Gedanken zu bleiben. Es war doch ein seltsames, schier unnatürliches Ver hältnis. An der kurzen Zeit hatte er Mascha freilich lieben gelernt, heiß und innig und schrecklich und über das Grab hinauS; aber so wenig ernst, ja, so flüchtig sie auch in vielen Dingen zu sein schien, sie mußte ihn doch noch tiefer lieben, als er sie. Niemals hätte er das erste Wort zu sprechen gewagt. Sie Ivar eS, die das Siegel genommen hatte, von seiner Leidenschaft wie von seinen Lippen. Seine kaum ge ahnten Wünsche hatte sie erraten. Um seine Schüchternheit zu schonen, hatte sie ihre weibliche Scheu überwunden. Wie unerbört stark mußte ihre Liebe sein! Und während er nun mitunter plötzlich erschrak, weil in der Schulstunde oder im Gespräch mit Siegfried auf einmal ein ZufallLwort ihm die Vorstellung ihrer verbrecherischen Küsse weckte, während er nach jeder solchen Erinnerung inniger und hoffnungsloser sich nach... nicht nach dem Besitz, o Gott... nach der beglückenden Ehe mit diesem Weibe sehnte, schien sie gar kein Verlangen nach einem häufigen Verkehr zu suhlen. Hingebend und ihm lebend, wenn er eist bei ihr war, ließ sie ihn ruhig gehen und ruhig kommen und dachte seiner vielleicht gar nicht, wenn er nicht zugegen war. Liebende senden einander doch kleine Erinnerungszeichen. Täglich hätte er ihr etwas zusenden mögen, sie aber besuchte ihn oder lud ihn ein, wenn sie irgend einen Wunsch hatte, und sollst nichts... nichts. Einmal, ein einziges Mal nur, begegnete er ihr, in einer entlegenen Straße. Ivo er sie nie vemutet hätte. Er erkannte sie voll weitem, sie aber sah ihn nicht; als er grüßte, nickte sie ihm mit kindlicher Freundlichkeit zu, als ob er einer ihrer hundert Bekannten gewesen wäre, als ob sie sich gar nicht ge- jreut. als ob sie sich ihrer Liebe nicht erinnert hätte. Erst als er eiftannt stehen blieb, schien ihr die Liebe einzufallen, so beiläufig. Sie reichte ihm hei-zlich die Hand, bestellte ihn für morgen zu sich des Stücks wegen, auf vier... nein, auf sechs Uhr. Sie sah dankbar nnd Glück verheißend zu ihm auf. Heute habe sie keine Zeit. Auch diese Stunde in ihrem Boudoir verlief wie die übrigen, nur daß Bohnnaliil nach dem Kusse und im Schmerz über die drohende Abreise weinend vor ihr niederstürzte und so lange ullsitlniges Zeng schwatzte, bis das Mädchen wieder au die Thür klopfte. Die gnädige Frau müsse sich ftir den AuSstellungspark anziehen. Drei Tage nach diesem Abschied, zwei Tage vor Beginn seiner Ferien, reisten Loses ab. Mit einem Sträußchcn Tuberosen erschien Bohrmann ans dem Anhalter Bahnhofe. Der Assessor hatte seine Cousine einmal mit ihrer Vorliebe für Tuberosen geneckt. Außer ihm waren noch vier Herren da. welche Mascha alle bereits ihre Tuberosen überreicht hatten. Bohrmann kannte nur den Assessor. Zwei von den andren waren Lieutenants, der dritte wurde ihm als ein Maler vorgestellt. Mail plauderte, als ob Abschiednehmcn nicht traurig wäre. Die Herren waren artig zu ihm. Er trug seinen gelb-grauen Anzug, der nicht mehr nach Benzin roch. Mascha schwatzte und schwatzte, noch ans dem Waggon heraus. Die Herren standen mit lustigen Gesichtern nebeneinander da. Einer der Lieutenants fragte, ob sie Parademarsch üben sollten. Mascha überblickte alle fünf, kniff die Augen� ein, netzte die Lippen, und da der Zug sich eben in Bewegung setzte, warf sie ihnen zum Andenken einzelne Tuberosen zu. Jeder steckte eine ins Knopfloch. Noch eine Kußhand MaschaS und der Zug fuhr aus der Halle. Mit unverschämtem Lachen erwiderte der Assessor die Kußhand ins Blaue hinein und rief: „Fahr' wohl, Linchen I Auf Wiedersehen in Ostende !" Bohrmann hatte Mühe, seine Thränen hinunterzuivürgen. Da aber die Herren sich ganz vergnügt dem Ausgang zu» wandten, glaubte auch er unbefangen sein zu müssen und fragte: „Warum nennen Sie die gnädige Frau Linchen? Da sie Mascha genannt wird, bildete ich mir ein, sie wäre auf den Namen Marie getauft." „Sie fragen zu viel. Herr Bohrmann," sagte der Assessor mit freundlicher Feierlichkeit, während die drei andren Herren lachend vorausgingen.„Es ist das ein kleines Familien- geheimnis. Sie hat einmal von einem würdigen Herrn den Beinamen Maschaline erhalten. Um Verwechslungen zu ver- meiden und der Kürze wegen nenne ich sie nun. wenn wir allein sind oder in andren epochemachenden Augenblicken, einfach Linchen." Der Affessor schlug vor, den angebrochenen Nachmittag in einem Biergarten mit einem Trauersalamander zu beschließen. Bohrmann aber entfernte sich mit einer un» geschickten Ausrede. XVIil. Berlin war für ihn durch Maschas Abreise zu einer unbewohnten Stadt geworden. Als nun endlich auch die Ferien kamen, da hätte er sich mehr der guten Hilde und den lieben Kindern widmen können. Noch in den Weihnachtsferien hatte er es so gehalten, daß er am Nachmittag seiner Frau und dem Fräulein Reymond einige Auftritte von Schiller vorlas und nachher seine Kinder auf der alten Seminarvioline zu Weihnachtsliedern begleitete. Den Kindern war das immer eine Freude gewesen... eigentlich nur seinem Sieg- fried... und Hilde hörte ihn gerne vorlesen, wenn sie den Dichterworten auch nicht so aufmerksam lauschte wie etwa das Fräulein Neymond. Nur ein halbes Jähr war seitdem vergangen, aber sein Wesen hatte sich sehr verändert. Er hätte jetzt gern anstatt des großen Schiller sein eigenes Drama vorgelesen. Er empfand es als ein schlimmes Zeichen, daß ihm sein Werk so gut ge- fiel. Es war in ihn ein neuer Geist eingekehrt. Ein guter? Oder derselbe, der ihn in seinem Hause jetzt oft erschreckte. wenn Lcnchen einen Gassenhauer nach Hause brachte und Hilde dazu lachte? Es wurde lustiger um ihn. ja wohl. Er liebte die Lustig- keit grundsätzlich, besonders bei Frauen und Kindern. Luther pries solche Lustigkeit. Warum wurde ihm unbehaglich bei dem Gedanken, jetzt, wo ihm die Ferien Muße zum Denken schenkten? Grade seitdem er selbst wie ein Geck gekleidet ging, schien ein andrer Geist ins Hans gefahren, ein Geist des Wohl- lebens, ja der Ueppigkeit, als ob... ja, als ob er nnd seine Lieben erst jetzt angefangen hätten, Berliner zu sein. Daß es jeden Tag Kuchen gab, das hätte er kaum be- merkt. Aber Hilde war mit Lenchen bei gutem Wetter täglich aus, so daß Fräulein Reymond sich Siegsrieds wieder recht mütterlich annehmen mußte. Auf Bohrmanns Frage erwiderte Hilde immer kurz, sie wären im Freien ge- wesen, Lcnchen sähe ja blaß genug ans, und eigent- lich müßte ein Berliner Gemeindelehrer eine kleine Bade- reise machen können. Kam sie abends spät nach Hanse, so war sie immer bei ihrer Cousine Klunze gewesen. Einmal mußte sie sogar in einem Gartenlokal dem Tanz zugesehen haben, in einem sehr feinen Gartenlokal, das den Social- demokraten zu ihren Versammlungen nicht zur Verfügung stand und wo nur Unteroffiziere verkehrten. Auch ein med- liches neues Kleidchen, das Lenchen jetzt am Wochentag trug, bemerkte Bohrmann, ebenso allerhand Putz an seiner Frau. Da er aber wegen seines eigenen Anzugs nicht viel gefragt
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18 (28.3.1901) 62
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