8er Hitze, wie sie sagte, trotzdem sie hier ohne Korsett ging. Natürlich war der Vetter da, und außer Herrn Neumann auch seine Frau. Ter hatte der kleine Doktor Hantinger den Arm ge- reicht; sie die einzige Dame im dunklen Kleid, er fast wie ein Matrose angezogen. Bohrmann wurde vorgestellt, Be- kannten und Unbekannten. Sie drückten ihm alle die Hand, Direktor Lopinsky, Direktor Schmidt-Lefsbvre, der wirklich kaum wieder zu erkennen war, Oberregisseur Steinlein, Doktor Raskel, Doktor Kattowitzer, Hauptmann v. Dahlem ..., und dann, als ob er das Schaustück der ganzen Gesellschaft ge- Wesen wäre, Herr Otto Petters aus Bremen . Er bildete den Mittelpunkt der Gruppe mit der Szekal, die ihren Arm leicht in den seinen gelegt hatte und in ihrem schneeweißen Kleid alle überstrahlte. Herr Otto Petters war ein ruhiger, dicklicher Herr und ging einfach städtisch angezogen. Wie ein ßunstmäcen sah er nicht aus. Aber er war wenigstens aus Bremen . Die anderen waren alle aus Berlin . Da wurde Bohrmann noch drei Damen vorgestellt, den buntesten des Trupps, die sich bisher in ihrer französischen Unterhaltung nicht hatten stören lassen. Bohrmann konnte kaum folgen. Fräulein Gusti Mauerhofer von» Kronprinzen• Theater, Fräulein Lizzi... auch vom Kronprinzen- Theater— der Familienname schien keinem einzufallen; und endlich: Madame Alice... de Paria. Siegfried I Es gab dem Lehrer einen Ruck. Er hätte in diesem Äugenblick selbst nicht sagen können, ob er an seinen Knaben oder an den Helden der Nibelungen dachte. Seine erste Pariserin! Es sprachen alle durcheinander. Deutsch, berlinisch sogar. Man frühstückte, man faullenzte, man aß zu Mittag, man bummelte, man schlief und bummelte wieder. Von seinem Stück und von den Aenderungen war nicht die Rede. Aber offenbar wußte alle Welt, wer er sei. Man sprach in seiner Gegenwart unaufhörlich vom Kronprinzen-Theater. Am nächsten Morgen, als Bohrmann beim Waschen war, trat Doktor Hantinger in seine dreieckige Stube. Der Dramaturg war also inzwischen Doktor geworden l „Nur ungeniert. Unter Herren l" Doktor Hantinger war sehr nervös; er sah heute aus wie ein halb verhungerter Raubvogel. Er werde hier als Dramaturg des Kronprinzcn-Theaters in Pflicht genommen werden. Von ihm werde die Ent- scheidung über jede Kleinigkeit abhängen. Bohrmann freute sich, eine so wichtige Bekanntschaft zu erneuern, und konnte die Herablassung des Herrn Doktor Hantinger nicht genug rühmen, der einem Anfänger den ersten Besuch gemacht habe. „Bitte, bitte." Doktor Hantinger liebe Ostende, aber es sei ein der- dämmt teurer Sand. Man komnie hier leicht in Ver- legenheit. ..Ja, ja," antlvortete Bohnnann.„Ich danke Ihnen für die Mahnung. Ich werde sehr sparsam sein. Es ist eigentlich unrecht von mir, daß ich die Reise gemacht habe." „Durch Neumann," sagte Doktor HanUnger nach einer langen Pause,„habe ich den Direktor in meiner Hand, viel mehr als Sie glauben 1 Oder durch Neumanns," fügte er mit einem infamen Lächeln hinzu. Bohrnumn kleidete sich vollständig an und hatte das Ge- fühl: es ist doch merkwürdig, daß eine so große Persönlich- keit wie ein Dramaturg einen so unangenehmen Eindruck machen kann. Doktor Hantinger sprach noch einmal von Bohrmanns Barschaft. Dann brach er ab, als ob der Lehrer ihn nicht verstanden hätte. Man traf sich nachher auf der Digue und ging baden. Bohrmann war glücklich, sich anschließen zu können. Er war dadurch des schwierigen Französisch- Sprechens enthoben und brauchte überhaupt nicht zu fragen, ob auch er unter die fremden Nationen hinausschwimmen dürfe. Auf dem Wege schloß sich ihm der Doktor Raskel an. „Sie wollen ein Stück geschrieben haben? Es wundert mich eigentlich, daß Sie nicht'mal die Güte hatten, mich auf- zusuchen. Sie hätten es ruhig thun dürfen. Es interessiert mich, die Anfänge junger Leute kennen zu lernen." Bohrmann blickte erstaunt auf den Doktor, der kaum älter war»ls er selbst. „In welcher Eigenschaft," fragte Bohnnann stotternd.... »Sind Sie Schriftsteller, Herr Doktor?" „Das ist gut!" schrie Raskel kaut über die Digue.„Höre 'mal, liebste Gusti, das ist etwas für Dich. Der Jüngling kennt Raskel nicht. Das ist sogar sehr gut, und das schreibt Stücke!" Ein glatt rasierter Mann von etwa fimfzig Jahren hing sich in Bohrmanns Arm. Er brachte sich als Oberregisseur Steinlein vom Kronprinzen-Theater in Erinnerung. „Gestern früh bei der ersten Begegnung..." Der liebe Bohrmann solle sich nichts daraus machen. Raskel sei ja augenblicklich der einflußreichste Kritiker von Berlin und glaube alle Direktoren in der Tasche zu haben. Aber so was dauere niemals lange. In Berlin schlage immer einer den andern tot. Uebrigens wisse doch der liebe Herr Bohrmann, daß er, der Oberregisseur Steinlein, durch seine Frau alles beim Kronprinzen- Theater vermöge. Man sei ja des dummen Geredes wegen geschieden, aber Gusttz werde nienrals auf die Bühne treten können ohne ihren' lieben, alten Oberregisseur. „Wir werden gute Freunde sein, lieber Herr Bohr- mann." Und Bohrmann kam sich plötzlich wie ungewaschen vor nach einem langen Händedruck. Es war ein großer Andrang bei der Ausgabe der Bade- Wäsche und bei den Badekarren. Doktor Kattowitzer erbot sich, unter fürchterlichen Kalauern auf den Namen Bohrmann, den Kollegen unter seinen Schutz zu nehmen. Und wirklich, ohne daß Bohrmann französisch zu reden brauchte, bekam er Badewäsche; er stand mit Doktor Kattowitzer hart am ewigen Meer, wo die letzten Ausläufer der heiligen Brandung heran« spülten, und wartete auf einen Karren. Die beiden Hundert- Frankscheine, von denen er einen seit einer Viertelstunde zer- knittert in der Hand gehalten hatte, wie eine Dorfschöne des Sonntags ihr Taschentuch, mußte er ungewechselt wieder einstecken. Hauptmann v. Dahlem trat an sie heran. Er durfte wegen seiner Vollblütigkeit nicht baden. Er trieb sich mit einem Opernglas am Strande herum. Es schien hier erlaubt zu sein, die fremden Nationen durch ein solches Teleskop zu betrachten. „Hören Sie," sagte er zu Bohnnann,„Sie sind doch, ja Wohl, eh, der mit, eh. aus dem Alten Testament . Ich meine Ihr Stück. Fragen Sie nur, ja wohl, eh, den Doktor Katto- witzer, der wird Ihnen sagen, ob ich Ihnen, eh... nützlich sein kann." Plötzlich fuhr er mit dem Opernglase an die Augen und stöhnte vor sich hin: „Eh, ja wohl, eh..." Ohne Doktor Kattowitzer wäre Bohrmann nie in einen Badekarren gekommen. Der mußte ja förmlich erobert werden l Da war es im Seebade von Wilmersdorf bei Berlin freilich bequemer. Aber so schön wie hier war es nicht. Mitten in der heiligen Brandung stand jetzt ihr Badekarren, und durch die Fugen des Fußbodens schlug sie manchesmal hindurch. Doktor Kattowitzer belehrte Bohnnann darüber, daß v. Dahlem , ein pensionierter Polizeihauptmann, immer noch Fühlung mit einzelnen Beamten habe, und speciell bei französischen Possen, die auf der Kippe standen, in Censur- fragen beraten könne. Auch stehe er in Beziehungen zu Lizzi, der Freundin NeumannS... „Aber so was schreiben Sie wohl nicht?" „Wie sollte ich Französisch schreiben," fragte Bohrmann erstaunt.„Auch deutsche Possen würde ich niemals schreiben." In demselben Augenblick fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Der kleine, runde, schwarze Kerl, der sich da im Karren mit ihm entkleidete und der auf der Brust so entsetzlich haarig war, der war der berühmte Kattowitzer, von dem Bohnnann vor einigen Jahren sogar selbst ein Stück gesehen hatte, weil es zweihundertinal aufgeführt worden war. Er überbot sich tn Entschuldigungen, und Kattowitzer lachte herzlich. „Sie sind ja unbezahlbar, herrlicher Bohrmann. Sie sind eine komplette Numnier, aber gefallen mir, auf Ehren- wort, ich habe Sie gern. Geben Sie mir übrigens Ihr Stück zu lesen. Ich mache dann eine Posse unter demselben Titel zurecht, und wenn Sie Eisolg haben, nützen wir uns gegenseitig. Ich komme mit meiner Parodie den andren zuvor, und Ihnen mache ich Reklame. Das ist ein gesundes Geschäft."
Ausgabe
18 (29.3.1901) 63
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