flöBtnicne Frage erweckten, ob hinter ihnen noch Gedankeil. noch ein Geist lebte, der begriff und beurteilte? Dann blickte er auf die Zlbfahrt der Gäste, wie ans ein Dcfils aller gesell- schaftlichcn Mnchtfaktorcn, aller socialen Autoritäten, aller der Herren, die dem Volke als Beispiel dienen. Die Kalesche Ch�telards nahm auffer Gourier und seiner Frau auch den Abbe Marke auf, dem Leonore den Platz an ihrer Seite an- bot, während der Unterpräfekt und der Bürgermeister ihnen freundschaftlich gegenübersaßen. Der Hauptmann Jollivet, der ein gemietetes Tilbury lenkte, entführte seine Braut Lucile und deren Vater, den Präsidenten Eaume, dessen Blicke voll Unruhe die wollüstigen Turteltaubenbewegungen seiner Tochter verfolgten. Endlich bestiegen die Mazelle den großen Landauer, der sie hergeführt hatte, um darin wie in einem weichen Bett halb ausgestreckt ihre Verdauung zu vollenden. Und Monsieur JerLme, den alle nach der Sitte des Hauses schweigend grüßten, folgte ihnen mit den Blicken, wie ein Kind vorüberziehenden Schatten nachblickt, ohne daß irgend ein Gefühl die Linien seines kalten Gesichts ver- änderte. Es blieben nur noch das Ehepaar Delavcau und Lucas, und der Direktor wollte durchaus Lucas in der Victoria Voisgelins mitnehmen, damit er den Weg nicht zu Fuß machen müsse. Es sei das einfachste Ding von der Welt, ihn zu Hause abzusetzen, da sie ja an der Crecherie vorbeiführen. Da der Wagen nur noch einen Klappsitz enthielt, so wollte Fernande die Kleine auf den Schoß nehmen, und das Dienst- mädchen sollte beim Kutscher sitzen. Delaveau drang mit großer Liebenswürdigkeit in Lucas: „Wahrhastig, Monsieur Froment, es ist mir ein Ver- gnügen, Sie mitzunehmen." (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten). 46) Vis bttttke Llcihe. Berliner Roman. Von Fritz Mauthner . XXXVII. Gegen drei Uhr klingelte es, so schrill, daß Bohrmann zusammenschrak. Er erkannte den Herrn, dem er öffnete, nicht gleich. Es war Direktor Hantinger, der sich sein schwarzes Bärtchen in die Höhe gezwirbelt hatte und recht vermögen aussah. Er grüßte kurz und ging, ohne eine Aufforderung abzuwarten, ins Wohnzinimer voraus. Bohrmann folgte ihm. Siegfried wandte sich flüchtig um, dann sang er unbekümmert leise weiter. Es war das Lied: Wem Gott Ivill rechte Gunst erweisen Den schickt er in die weite Welt. Hantinger blickte verächtlich in der Stube umher. Er wisse alles, er wisse immer alles. Der gute Bohr- mann habe Schulden. Ja, die Weiber! Hantinger besitze zwar schon den Revers, durch welchen Bohnnann auf alle Rechte verzichte und ihm, dem jetzigen Direktor, alles über- laffen habe. Bohrmann solle sich nicht einbilden, irgend etwas dagegen thun zu können. Er solle sich ferner nicht einbilden, daß das Stück einen Erfolg haben werde. Es sei früher unmöglich gewesen, jetzt sei es eben knapp und zur Rot möglich, weiter nichts. Hantinger habe seinen Rechts- anwalt gefragt. Er brauche sich um Bohnnann gar nicht zu kümmern. Aber sein gutes Herz dränge ihn zu einem freund- schastlichen Vorschlage. Bohrmann habe Schulden, ein Lehrer dürfe keine Schulden haben. Er wolle ihm auf der Stelle noch einmal 500 Mark auf den Tisch legen. Dafür brauche Bohrmann nur noch die Zeilen da zu unterschreiben, mit denen er den Empfang des Geldes bestätige, für alle Zeiten auf jeden Anspruch irgend welcher Art verzichte. Das habe er zwar schon in Ostende gethan. Aber Hantinger sei ein guter Mensch und wolle Ruhe haben. Ganz einfach. Das hohe Lied Bohrmanns sei nur eine Skizze gewesen. Höchstens eine Skizze! Kaum das. Auch Raskel habe gesagt, als Sach- verständiger: höchstens eine Skizze. Die Skizze sei mit circa tausend Mark über und über bezahlt. Ihr Verkäufer werde auf dem Zettel niemals genannt. „Ich bin ganz offen, lieber Herr Bohrmann. Nach der Aufführung werden Sie doppelt froh sein. Es wird ein Rein- fall werden. Aber was für Sie schrecklich wäre, ein Miß- erfolg, weil Sie nur ein Lehrer sind, das ist für mich immer noch ein Relief... Das verstehen Sie nicht... Ich brauche ein Relief... Und Sie brauchen das Geld I" Bohrmann holte tief Atem. So konnte er die Rechnungen bezahlen, diese beschimpfenden Rechnungen vom Schneider. vom Fleischer, vom Bäcker. Aber wie vor Siegfried, so stand auch vor ihm die unsichtbare Lehrerin und hob warnend die Hand. Und Wöhrmann sagte: „Ich danke Ihnen, Herr Direktor, für die gute Absicht. Aber Ihr Geld kann ich nicht annehmen." Hantinger rieb sich die Hände und blickte ihn mit glänzenden Augen wie einen Todfeind an. „So wollen Sie was von mir erpressen? Oder wollen Sie prozessieren? Nicht einmal Ihr Manuskript habe ich 1 Oder Sie?" „Nichts will ich mehr," spgte Bohrmann.„Sie haben ganz recht. Ich habe mir damals alle Rechte abkaufen lassen. Das Stück, das Sie aufführen wollen, ist nicht mehr mein Stück. Auf den: Zettel dieses Stücks hat mein Name nichts zu suchen. Sie haben ganz recht! Und geschenkt nehme ich nichts von Ihnen.... Wenn Ihnen nicht genügt, was ich damals unterschrieb, so will ich noch einmal jedem Ansprüche entsagen." „Sie sind ein Gentleman! Liebster, teuerster Bohrmann, Sie sind ein idealer Mensch." Bohnnann schrieb, was Hantinger verlangte, und der Direktor ging unter Freundschaftsbeteuerungen eilig fort. Bald werde er wiederkommen und Herrn Bohrmann sein nächstes Stück abkaufen, vielleicht, womöglich. Heute, am Eröffnungstage, habe er sich nur Gewißheit verschaffen wollen. Sonst habe er heute keine Sekunde frei. Aber Bohrmarnis nächstes Stück.... Schon begleitete sich Hantinger mit lustigem Pfeifen die Treppe herunter.... Jetzt mußte Bohnnann also betteln gehen, zu der guten Frau Kietz. Das hatte man ihm geraten. Er wäre sonst vielleicht zu seinem Freunde Müller gegangen, der freilich kaum eine so große Summe besaß. Aber zu Frau Kietz zu gehen war nicht das schlimmste. Bohrmann klingelte gegenüber. Fräulein Reymond sollte Siegsried zu sich nehmen; er traf nur Frau Spindler an. „Mit der Bettelprinzessin haben Sie kein Glück", rief Frau Spindler.„Die Sorte kenne ich I Ausverschämt sein und am Ende ins Wasser gehen, damit man mit der rückständigen Miete dasitzt. Das nennt sich dann anstandig i" „Ich bürge Ihnen für Fräulein Reymond," sagte Bohr- mann entrüstet. »Habe ich's nicht immer gesagt, daß Sie ein netter Mann sind, Herr Bohrmann? Und eine städtische Anstellung haben Sie ja auch. Kommen Sie nur'rin in die jute Stube, und geben Sie mir die Bürgschaft schriftlich. Dann kann der Goldjunge gleich hier bleiben. Er ist bei mir besser aufgehoben, als bei die Reymond." Bohrmann gab seine Bürgschaft schriftlich, wie Frau Spindler es verlangte. Oh Gott! Er eine Bürgschaft I Aber seinen Siegfried ließ er nicht bei der bösen, unbedachten Frau. Er faßte ihn an der Hand und machte sich auf den Weg, wie er war. Er wollte bei Frau Kietz betteln gehen, und da war es gut, daß er nicht den kostbaren gelbgrauen An- zug trug. Unten beim Kaufmann, der ihn herablassend behandelte, entnahm er dem Adreßbuch die Wohnung der Frau Kietz. Draußen, vor dem Rosenthaler Thor. In der Stadtgegend also, wo auch Mascha wohnte. Jetzt fiel es ihm ein, Frau Kies hatte es ihm einmal gesagt; sie wohnte immer noch der Brauerei gegenüber, in den Räumen, in denen sie mit ihrem Seligen glücklich gewesen war. Als es aber fünf Uhr schlug, stand Bohnnann mit seinem Knaben schon eine ganze Weile vor einem freniden f ause. Er fragte nicht einmal, ob der hier wohnte, der... aiser Nero. Merkwürdig, er hatte die Adresse gar nicht gehört. Er stand eben vor einem fremden Haus und ruhte aus, auf dem Bettlcrwege. Siegfried langweilte sich nicht. Er fragte nach hundert Dingen, und sein Vater zwang sich zu richtigen Antworten. Wahrhaftig, der Junge hatte bei Fräulein Neymond ganz tapfer lesen gelernt. Wie ein Großer las er die Finnen- tafeln ab. Gegenüber hielt ein Vierwagen. „Da steht Lose-Bier darauf, Papa. Sind das die, wo Du Dich so geärgert hast?" Endlich. Vor dem Hausthor hielt eine Droschke. Mascha öffnete den Schlag. Als sie den Lehrer erblickte, fuhr sie einen Augenblick zurück. Tann zuckte sie ärgerlich mit dem Kopf,
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18 (7.5.1901) 88
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