" Besetzt!... Besetzt!"
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Aber Sie sehen doch, daß alles voll ist, hier wird nicht gestanden, wie auf der Stadtbahn."
Endlich sind alle untergebracht. Ein schriller Pfiff, ein Schüttern durch die Wageu, der Zug rollt in die Nacht hinaus.
In den Coupés macht man es sich bequem und mustert feine Reisegesellschaft. Ganz nette Gesellschaft. Alles gutes Publikum". Was man in bürgerlichen Kreisen Böbel" nennt, ist nicht zu sehen, eine Extrafahrt an die See kostet Geld, der Pöbel" hat keins.
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Die Damen nehmen die Hüte ab und ziehen die Jacken aus, auch die Herren setzen sich zurecht. Einer und der andre versucht zu schlafen, die meisten plaudern noch. Man wird schnell bekannt. Wie lange fahren wir nach Stettin ?" frägt die dicke Dame in der Ecke.
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Na, fo um zwei Uhr sind wir da!"
Wie tommt man denn zu den Dampfern?"
„ Ach, das ist nicht weit. Wenn sie aus dem Bahnhof raus kommen, gleich links herum an der Oder entlang."
Kinder, eigentlich ist es großartig, in einem Tag an die See und zurüd."
" Fahren wir wirklich übers Meer?"
ihren Gatten zweifelnd an.
Die junge Frau sieht
Er drückt ganz leise ihre Hand. Ja, übers Meer." Und dann sollst Du mal sehen, Hans, dann kommen wir an Wollin vorbei; da zeige ich Dir den Platz, wo Vineta versunken ist." „ Kinder, aber Flundern kaufen wir uns in Heringsdorf . Habt Ihr nicht überhaupt was zu futtern da? Ich habe Hunger!"
Es wird geschwagt und gelacht, geschwärmt und gegessen. Die junge Frau hält noch immer ihres Mannes Hand, eine harte abgearbeitete Hand. Sie tragen feine elegante Reisekleidung, alle beide nicht, aber mit trauniverlornen Blicken sehen sie ins Weite. Wenn es auch nur für einen Tag ist, der Wunsch ihres Lebens wird sich erfüllen, sie werden es sehen: das Meer.
Im Nebencoupee tönt lantes Lachen, irgend eine Stimme ruft: „ Ach Du lieber Jott' s Meer; de Ostsee ist ja bloß' n Tümpel 1" Draußen im Schatten der Nacht fliegen die Stationen vorbei: Blankenburg , Carow, Buch, Bernau , Biesenthal . Dann ein Meer von Lichtern:
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Eberswalde fünfzehu Minuten Aufenthalt! Die Thüren fliegen auf. Lachen und Schreien. Die fleinen Konditorjungen laufen den Berron entlang:" Sprizkuchen, Sprigluchen 1"
Hier Bier!"„ Die Gläser her!"
Hier Sprißkuchen!"" Einmal Sprigfuchen!"" 8weimal Sprißfuchen!" Alle Welt ruft nach Sprigluchen. Dazwischen eine schrille Stimme: Hujo!. Hujo!" erst vereinzelt, dann rascher:" Hujo! Hujo! Hujo!"" Hujo" ist offenbar verlorengegangen, der ganze Perrou schreit mit.
Wieder saust der Zug durch die Nacht. Es ist stiller geworden in den Coupees, man schläft. Nur vorn im ersten Wagen wird ge= sungen, es ist mehr Kreischen und Johlen, als Gesang, aber manch mal hört man doch vereinzelte Worte:" Au dem Baume, da hängt ' ne Pflaume".
Gräßlich," sagt die dicke Dame und setzt sich von neuem zum Schlafen zurecht. Stettin , es ist nachts 2 1hr, eine Flut von Menschen ergießt sich aus dem Bahnhof in die Stadt. Am Bollwerk entlang, die Oderwellen brechen fich glucjend an den hölzernen Bohlen. Wenn die Mittags sonne grell auf dem Pflaster liegt, ist es hier wahrscheinlich äußerst nüchtern, jetzt brütet die Nacht in Gaffen und Gäßchen, das erste Morgengrauen bricht eben an, die Stadt liegt im Zwielicht, märchenhaft wunderbar. Vineta, der Flut entstiegen. Hochgieblige Häuser, dichtgestapelte Warenballen, auf dem Wasser die Schiffe: Heringstutter und stolze Kauffahrer, Vergnügungsdampfer, stolze Yachten.
Kinder, det is ja jrade so schön, wie zu Hause an der Fischerbrücke!" Ein Trupp junger Leute rennt lachend vorüber. Sie rennen überhaupt alle, man muß eilen, wenn man mit will.
Der Morgen dämmert herauf, es ist beinah hell. Die Ufe. treten deutlicher hervor. Nechts flaches Land, endlose Marschen, mu hier und da ein Baum, ein einsames Haus, in weiter Ferne eine verlorne Heide. Links Hügel. Bommersche Buchenwälder, freundliche Dörfer, wogende Saaten. In den Thälern liegt noch der Nebel, oben auf den Bergen ist alles klar. Und dazwischen die Oder, breit, prächtig, mit ihren gewaltigen Wassermassen, der Strom, der zum. Meere geht.
Auf dem Platz neben der Maschine fizzen sie und spielen Sfat. Auf dem Hinterdeck bläst die Schiffskapelle, vorn an der Spitze wird gesungen: Wir find die Zigeuner von Adlershof .
Dazwischen schrillt die Stimme vom Eberswalder Bahnhof wieder:" Hujo! Hujo!" ein ganzer Chor fällt ein, es find Studenten, sie haben einen Kreis gebildet, in dem sich zwei von ihnen bogen.
Feste auf die Weste!" Hegt ein behäbiger Herr mit dicen Brillantknöpfen. Dann ein allgemeines Gebrüll:„ Hujo, Hujo, Hujo!" Es geht über das ganze Schiff.
Aber draußen liegt das Stettiner Haff still und weit, strahlend und leuchtend im Wiederschein der ersten Morgenröte. Die Wellen tragen weiße Schaumfämme, Schiffe gleiten am fernen Horizont dahin. Der Himmel im Osten schimmert wie flüssiges Gold. Irgens jemand fchreit:
Die Sonne geht auf!"
Rinder, des friegt man nich alle Dage zu sehen! Hat denn feiner wat zu trinken da? Den jroßen Moment müssen wir bes jießen!"
Die Studenten stürzen nach vorn, rennen ein paar Damen über den Haufen und werfen ein halbes Dutzend Feldstühle um, bis in die untersten Kajüten hört man ihr Gejohle.
Usedom und Wollin tauchen aus der Flut. Grüne Inseln waldumrauscht, auf den Buhnen sizen Mövenschwärme, über den weißen Hänschen von Swinemünde steigt der Leuchtturm auf.
Am Lotsenamt legt das Schiff an. Baffagiere gehen, andre tommen, ein neues Halloh und Juchhh! Die Schiffsmufit setzt ein. Die Herren schwenken die Hüte, die Damen ihre Tücher, weiter geht es.
Auf dem Hinterdeck stehen ein Herr und eine Dame, sie zanken sich, man hört die scheltenden Stimmen bis nach vorn. Der Herr fagt:„ Aber mein Gott, noch mehr Ansichts- Postkarten, jetzt haben wir fast für'n Thaler verschrieben, nun weiß es doch die ganze Be kanntschaft, daß wir an der Ostsee waren."
Breiter und breiter wird der Strom. Die Ufer weichen, das Land versinkt. Himmel und Wasser, Wasser und Himmel! Die junge Frau und ihr Mann sigen an der Spize des Schiffs. Er hat den Arm um ihre Schulter gelegt, ihre Augen schauen vorwärts und tauchen strahlend in die grünen, unbegrenzten Wasserweiten:„ Das Meer... das Meer 1"
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Der Volkshumor bei den polnischen Inden. Das Leben und Treiben der polnischen Juden in volkskundlicher Bes ziehung ist in den letzten Jahren von verschiedenen Forschern unterfucht worden. Unter diesen nimmt H. Lew mit einem in polnischer Sprache erschienenen zweibändigen Werk über den jüdischen Volks humor eine hervorragende Stelle ein. Eine besondere Rolle spielen, wie W. Bugiel daraus hervorhebt, hervorhebt, in Polen die Volkswizbolde oder Chojseks, die nach Art der indischen Wolfserzähler alljährlich zu gewissen Zeiten von Dorf zu Dorf ziehen und gegen geringe Zehrung und Geldlohnung Märchen and Schwänke erzählen. Manche Wigbolde leben fort in der VoltsErinnerung durch ihre Satiren. So Herschet ans Oftropol, von dem Bugiel berichtet, wie er dem Rabbiner sein neuestes Erlebnis erzählt: Heute früh komme ich aus dem Hause. Da begegnet mir der Engel des Bösen und fragt, wie ich mich befinde. Schlecht, sage ich, habe kein Geld und der Sabbat naht. Geh zum Rabbiner, sagt der Engel, und stiehl ihm einen filbernen Leuchter, was du dafür erhältst, wird für die Sabbatansgaben genügen. Ich gehe weiter, da bes gegnet mir der Engel des Guten und fragt nach meinem Befinden. Ich erzähle ihm, daß es mir schlecht gehe und was mir der Engel des Bösen geraten habe. Bei Gott, ruft er aus, versündige dich nicht! Aber ich will nicht vor Hunger sterben. Nun, dann wende dich persönlich an den Rabbiner. Wenn du gut sein willst, so thue es für mich. Ja, sagte der Engel des Guten, ich würde es herzlich gern thun, aber siehst du, ich hab' bis jetzt noch nie die Schwelle des Rabbinerhauses betreten." Auch an Abderiten fehlt es unter den polnischen Juden nicht, und als ihre Heimstätte gilt das Städtchen Chelm . Von einem Einwohner desselben wird die auch sonst verbreitete Geschichte erzählt, daß er nach einer benachbarten Stadt wollte, hin nach Lublin , und beim Schlafengehen abends die Füße nach der Nichtung seines Reiseziels ausstreckte, um den Weg nicht zu verfehlen. Jemand geht vorüber und dreht den Schlafenden nach der entgegengefeßten Richtung. Am andern Morgen setzt dieser seinen Weg in der Richtung seines Wegweisers fort und gerät in Verwunderung, daß Lublin seinem Heimatorte Chelm so völlig ähnlich ist. Auch begeguet er auf dem Wege einem triefängigen Weibe, das ihn ausschilt. Gottes Wunder, sagt der Chelmer, die ist doch ganz ähnlich Der Vulkan taucht auf, riefige Werften; in den Docks liegt ein meinem Frauchen! Weshalb gerade das Städtchen Chelm zur Kriegsschiff, ein Japaner. Da sperren sie Mund und Nase auf. Das zweifelhaften Ehre des polnischen Abderas gekommen ist, bleibt dunkel.
Die Freya" strahlt im Lichterglanz, ein mächtiger Stoloß, wiegt fie sich auf den Wellen. Jetzt ist der letzte Passagier an Bord, die Bugbrücken werden aufgezogen, der Anker fliegt in die Höhe. Ein allgemeines Hurra langsam erst, dann immer schneller gleitet das Schiff die Oder abwärts.
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In den Salous, auf den Decks eine lachende, plaudernde, fröhliche Gesellschaft. Die Zimperlichen bleiben in den Kajüten, sie scheuen die Morgenkühle. Auf den roten Plüschsofas liegen sie in Decken genummelt und schnarchen, oder jammern, daß sie nicht schlafen tönnen, Nein, beim Himmel, es ist eine Strapaze, solche Extrafahrt. In der Bülowstraße in seinem Bett liegt man bequemer." Aber das sind nur Einzelne, im allgemeinen ist man vergnügt. Oben auf dem Ded herrscht qualvolle Enge, man steht zusammen und drängt und schiebt sich, aber mit Humor. Die Stimmen furren wieder alle durcheinander.
„ Wir fahren nach Rügen ", sagt die dide Dame fie fagt es schon zum sechsten Mal und so laut, daß alle es hören können. Sie ist sehr stolz, daß sie nach Rügen fährt; auf Rügen ist es am teuersten.
ist doch anders, wie an der Fischerbrücke.
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