Anterhaltungsblalt des Vorwärts Nr. 125 Sonntag, den 30 Juni 1901 (Nachdruck verboten.! Uvhvxl. 62] Roman in drei Biichern von Emile Zola . Aus dem Französischen übersetzt von Leopold Nosenzweig. Es waren Monate vergangen, seitdem Josine von Lucas Abschied genommen hatte, das Glück, das das Leben ihnen schuldete, auf später verschiebend, als sich Ereignisse abspielten, welche Fernande die erwartete, ersehnte Gelegenheit boten, den Todesstoß gegen ihren Feind zu führen. In jener schmerzlich- seligen Nacht hatte Josine in den Armen Lucas' empfangen. Sie war schon im fünften Monat der Schwanger- schaft, ohne daß selbst Ragu etwas gemerkt hätte; und erst als er sie eines Abends in seiner Trunkenheit schlagen wollte und sie ihren Leib mit einer erschrockenen Gebärde schützte, entdeckte er mit einemmal ihren Zustand. Er war zuerst starr vor Verblüffung. „Du bist schwanger, Du bist schwanger, Metze? Deshalb hattest Du also immer solche Heimlichkeiten. Ich mußte ebenso dumm sein, wie Du verlogen bist, daß ich es noch nicht gemerkt Habel" Dann durchfuhr's ihn wie ein Blitz, daß das Kind nicht von ihm sein konnte. Woher also stammte dieses Kind? Wer war der Vater? Er ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen in wachsender Wut. „Wie, Metze, es ist doch wohl nicht von selbst gekommen? Du wirst nicht die Unverschämtheit haben, zu behaupten, daß es von mir ist, da Du sehr wohl weißt, daß ich mich vor- gesehen habe. Von wem ist es also? Sag's doch, sag's schnell, oder ich erlviirge Dich I" Josine stand leichenblaß da und sah mit ihren sanften Augen entschlossen auf den Trunkenen, ohne zu antworten. Uno in ihrer Angst konnte sie nicht umhin, sich zu ver- wundern, daß er so in Zorn geriet, denn sie war ihm, wie es schien, in der letzten Zeit vollkommen gleichgültig ge- worden, er drohte ihr jeden Tag, sie auf die Straße zu werfen, und sagte, er wäre froh, wenn irgend ein andrer sie aufläse. Er selbst hatte sein Junggesellenlcben wieder auf- genommen. Da er ihr also unzähligemal in brutalster Weise bewiesen hatte, daß er sie nicht mehr wollte, warum geriet er so in Wut darüber, daß sie schwanger war? „Es ist nicht von mir. Du wirst nicht so frech sein, zu sagen, daß es von mir ist?" Sie erwiderte endlich, ohne den Blick von ihm zu wenden, leise und fest: «Nein, es ist�nicht von Dir!" Er führte einen wütenden Faustschlag nach ihr, aber sie wich zurück, so daß er nur ihre Schulter streifte. „Du sagst niir das ins Gesicht, verdammte Metze?" brüllte er.„Und den Namen des Menschen, sag' mir den Namen des Menschen, damit ich ihm sein Teil gebe." „Den Namen sag' ich Dir nicht," erwiderte sie ruhig. „Du hast kein Recht, ihn zu wissen, da Du mir zwanzigmal gesagt hast, daß Du genug von mir hast, und daß ich mir einen andern suchen kann. Du wolltest kein Kind von mir haben, ich habe eines von einem andern, der ist nun mein Mann, und die Sache kiimmert Dich nicht weiter." Er wollte sie erschlagen. Sie mußte fliehen, um sich vor den Fußtritten zu schützen, die er mit mörderischer Berechnung gegen ihren Leib führte. Was ihn besonders zu sinnloser Wut stachelte, das war, daß sie ihm ins Gesicht gesagt hatte, daß sie von einem andren Mutter sei, und daß sie ihn fortan nichts mehr angehe, daß er kein Anrecht mehr an ihren Körper und an ihr Leben habe. Er, der kein Kind gelvollt hatte, wurde von dem Gedanken, daß er nicht der Vater sei, wie von glühendem Eisen gebrannt. Er fühlte, daß sie nicht mehr ihm gehörte, daß sie nie ihm gehört habe, und daß sie ihm nun für immer entrückt war. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit einer rasenden Eifersucht, deren Llual er bisher nicht gekannt hatte, und die er nie kennen zu lernen gedacht hätte. Von da ab schloß er die Frau ein, die er auf die Straße hatte werfen wollen, er bewachte sie, er wurde von Wut erfaßt, wenn er sie mit eineni Mann sprechen sah. In seinem wahnsinnigen Zorn über das Unwiderrufliche mißhandelte er sie. Und immer kam die verletzte Eitelkeit des Mannes, der es nicht verstanden hatte, sein Lebenswerk zu thun, auf den andren zurück, auf den Unbekannten, der aus diesem Körper einen Teil seines Körpers gemacht hatte. „Sag' mir seinen Namen, sag' mir seinen Namen, und ich schwöre Dir, daß ich Dich in Ruhe lasse!" Aber sie blieb standhaft, sie ertrug die Schmähungen und die Schläge und sagte nur mit ihrer sauften Festigkeit: „Du brauchst seinen Namen nicht zu wissen, er geht Dich nichts an." Ragu konnte unmöglich an Lucas denken, und nichts konnte ihn auf diese Spur bringen, denn keine menschliche Seele, außer Soeurette, hatte Josinens nächtliche Besuche ge- sehen. Er suchte unter seinen Kameraden, dachte an eine Stunde des Vergessens in den Armen irgend eines hübschen Jungen seines Kreises, am Abend eines Zahltages, wenn der Wein das Blut erhitzt. Aber all sein Suchen war vergeblich, er mochte noch so viel lauern und spüren, er erreichte nichts, als daß seine Wut und sein nagender Groll sich steigerten. Indessen verbarg sich Josine vor allen Blicken, aus Furcht, daß es schlimme Folgen für Lucas haben könnte, wenn das Geheimnis ihrer Liebe ans Licht käme. Als sie die Gewißheit hatte, daß sie von ihm schwanger sei, war sie zuerst von unendlicher Freude erfüllt gewesen, sie hätte zu ihm eilen mögen, um ihm die große, glückliche Neuigkeit mitzuteilen, über die er, wie sie sicher war, ebenso selig sein würde wie sie. Dann waren ihr ängstliche Zweifel gekommen, sie hatte es für geboten gehalten, noch zu warten, um nicht irgend ein gewaltsames Ereignis heraufzubeschwören, während die Cröcherie grade so schwere Tage durchmachte. Und nur durch einen Zufall erfuhr Lucas von dem Kommen dieses teurenKindes, dessen Vater er war. Als er eines Tags, mit Bonnaire im Gespräch begriffen, diesen bis zu seinem Hause begleitete, fanden sie dort eine Gruppe von Frauen stehen, denen die Toupe von der Schwangerschaft ihrer Schwägerin erzählte, indem sie allerlei giftige Andeutungen an diese Neuigkeit knüpfte. Lucas fühlte sein Herz stillstehen und dann hoch- aufschlagen. Josine kam manchmal in die Cröcherie, um Nanet abzuholen, der ganze Tage da verweilte; und eben, als die Frauen von ihrer Schwangerschaft sprachen, kam sie herbei und niußte ihren Fragen Rede stehen. Ja, sie war nun im sechsten Monat, und man sah es schon sehr. Da bemerkte sie Lucas, und sie fühlte so sehr, wie er darunter litt, daß er sich stumm in der Ferne halten mußte, daß sie beinahe meinte, es nicht er- tragen zu können, daß sie nicht mit ihm sprechen, ihm nicht zujubeln sollte, wie unendlich glücklich sie war. Sie ahnte den schrecklichen Zweifel, der seine Seele martern mußte, sie wußte, daß ein einziges Wort von ihr ihn beruhigen, beseligen würde. Dieses Wort, es drängte sich aus ihrem Herzen empor, es erstickte sie fast:„Es ist von Dir!" Und dann fand sie doch ein köstliches Mittel, ihm dieses Wort zuzu- senden, als die Frauen einen Augenblick ihre Aufmerksam- keit von ihr abwandten und sich wieder in ihr Gespräch ver- tieften. Sie legte zuerst beide Hände aus ihren gesegneten Leib, hob sie dann mit einer Gebärde voll Liebe und Dank- barkeit an ihre Lippen, und sandte ihm die Gewißheit seiner Vaterschaft in einem unmerklichen Kusse zu; er begriff sofort, und auch ihn durchströmte die unendliche Seligkeit. Es bot sich Lucas und Josinen keine Gelegenheit, ein Wort miteinander zu wechseln, keine andre Mitteilung fand zwischen ihnen statt, als diese lieberfüllte Gebärde, dieser Kuß, der sie vollends vereinigte. Aber Lucas, aufs tiefste erregt, zog Erkundigungen ein, und erfuhr bald von den Eifersuchts - ausbrächen Ragus, von seinen Mißhandlungen, von der Peinlichen Ueberwachung, in der er seine Frau hielt. Und wenn er noch den geringsten Zweifel über seine Vaterschaft gehabt hätte, diese rasende Eifersucht des Mannes hätte genügt, um ihn zu überzeugen. Von nun ab war Josine seine Frau. Sie gehörte ihm. ihm allein, da sie ein Kind von ihm unterm Herzen trug. Der einzige wahre Gatte war der Vater. Es gab nur ein einziges festes, ewiges Band zwischen Mann und Weib, das Kind, das ge- schaffene Leben, das aus der unlöslichen Vereinigung zweier Menschen entsteht. Daher war er nicht eifersüchtig auf Ragu, während dieser toll vor Eifersucht war, denn Ragu existierte nicht, er war nur der Räuber, der weitergeht und
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18 (30.6.1901) 125
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