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konnte und das vollkommen zerfallen mußte, wenn man ihm[ teiten schienen ihr daraus entstehen zu können, dej sie ver­nicht neues Leben einflößte. fuchte, den Greis von diesem Wunsche abzubringen, in welchem Wieder verging eine Woche. Der Bediente konnte sie nur die Phantasie eines abirrenden Verstandes sah. Aber nun einzelne Worte in dem Gestammel Monsieur Jérômes sie überzeugte sich bald, daß er im vollkommenen Besitz seiner verstehen. Dann tauchte ein Wort immer häufiger, Geisteskräfte sei, er bat sie mit einer wachsenden Dringlichkeit immer deutlicher auf, und der Bediente berichtete es Su­zannen.

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Es war nicht leicht zu verstehen, aber jetzt kann ich der gnädigen Frau bestimmt versichern, daß der alte Herr heute vormittag einigenial gesagt hat:" 3nrückerstatten, zurück erstatten!"

Suzanne blieb ungläubig. Das hatte keinen Zusammen­hang. Was sollte man zurückerstatten?

Hören Sie recht aufmerksam zu und suchen Sie genau zu verstehen, was er sagt," trug sie dem Diener auf. Am nächsten Tag war der Mann seiner Sache noch ge­wisser.

" Ich versichere der gnädigen Frau, daß der alte Herr gefagt hat:" Zurückerstatten, zurückerstatten!" und zwar zwanzigmal, dreißigmal hintereinander, mit leiser, aber an­gestrengter Stimme, als ob er alle Kraft darauf wendete, die ihm geblieben ist."

und Leidenschaft, in welcher er die letzten Kräfte seines armen siechen Körpers aufbot. Sie war davon in tiefster Seele er­griffen, und sie fragte sich, ob sie nicht ein Verbrechen begehe, wenn sie sich dent Wunsche eines Schwerkranken widersetzte, weil sie unklar fühlte, daß schwere, weithin wirkende Dinge daraus folgen konnten. Sie können es nicht mir sagen, Großvater?"

"

,, Nein, nein, Herrn Lucas. Ich will mit ihm sprechen, gleich, gleich!"

,, Gut, Großvater, ich werde ihm schreiben, und ich hoffe, daß er kommen wird." ( Fortsetzung folgt.)

Bonntagsplandevei.

Socialdemokraten haben eine natürliche Neigung zu allem, was An diesem Abend entschloß sich Suzanne, selbst den Groß- Secession ist. Als Revolutionäre, als Treiber einer Umgestaltung von von Grund aus, zieht es sie auch zu den künstlerischen Bestrebungen, vater zu überwachen, um womöglich zu erkunden, was er die fich loslösen von muffigem Herkommen, sich aus eigner, freier sagen wollte. Am nächsten Tag konnte er sich nicht mehr Herrlichkeit ihre neue Erde zu gestalten streben, die in ſelbſtloſem erheben. Während das Gehirn sich befreite, wurden die Dienst dem künstlerischen Ideal leben, ohne pride Heuchelei, Beine und bald darauf der Oberkörper vollends gelähmt, akademische Konvention und Käufersflaverei. Wie steht es aber um wie bereits vom Tode ergriffen. Voll Schrecken sandte sie die thatsächliche Berechtigung dieser Neigung? Ist die Wahl­abermals nach Doktor Novarre, der aber machtlos verwandtschaft in den Dingen begründet und nicht etwa mur eine war und sie sanft darauf vorbereitete, daß das Ende Illusion? Ist Secession, Scheidung von der herrschenden Ordnung, nahe sei. Von da ab verließ Monsieur Jérôme sein Zimmer was Secession heißt? nicht mehr.

Es war ein weites, schwer getäfeltes, mit dicken Tapeten verkleidetes Gemach, ganz in Rot gehalten, mit geschnitten Polissandermöbeln, einem mächtigen, säulengeschmückten Bett und einem großen Spiegel, in welchem man fast den ganzen Park sah. Von den Fenstern aus hatte man über die Rasen­flächen hinweg und zwischen den Wipfeln hundertjähriger Bäume hindurch eine weitgedehnte Fernsicht auf das Gedränge der Dächer von Beauclair, auf die Monts Bleuses, auf die Crêcherie mit dem Hochofen und auf die Schornsteine der Hölle, die noch immer hoch emporragten.

Eines Morgens saß Suzanne beim Bette, nachdem sie die Vorhänge aufgezogen hatte, damit die Wintersonne her­eindringen könne, als sie zu ihrer tiefen Bewegung Monsieur Jérôme sprechen hörte. Seit einer kleinen Weile lag er mit dem Gesicht zum Fenster und sah mit seinen großen, hellen Augen weit hinaus auf den Horizont. Dann sagte er: Herr Lucas."

Suzanne, die diese zwei Worte deutlich gehört hatte, war betroffen. Warum Herr Lucas? Niemals war der Großvater in irgend welche Berührung mit Lucas gekommen, ja er fonnte gar nichts von seiner Eristenz wissen, wenn er nicht etwa die letzten Ereignisse miterlebt, alles gesehen, alles ver­standen hatte, wie sie bisher nur hatte vermuten und fürchten können. Dieses Herr Lucas", das von seinen so lange verschlossenen Lippen fiel, war der erste Beweis, daß hinter feinem Schweigen ein vollkommen wacher Geist gelebt hatte, der alles sah und begriff. Ihr Herz krampfte sich zu sammen.

" Sagten Sie Herr Lucas, Großvater?" " Ja, ja, Herr Lucas!"

Er sprach mit zunehmender Deutlichkeit und Energie und feine Augen waren verlangend auf sie geheftet.

,, Und warum sprechen Sie von Herrn Lucas? Sie kennen ihn also, Sie haben ihm etwas zu sagen?"

Er konnte sichtlich nicht die Worte finden, die er aus­sprechen wollte; dann wiederholte er mit tindischer Ungeduld abermals den Namen Lucas.

Einmal war er mir ein guter Freund", sagte sie. ,, Aber schon seit vielen Jahren kommt er nicht mehr zu uns." Er nickte heftig mit dem Kopfe, und als ob seine Zunge fich allmählich immer mehr löfte: id

Es ist

Eine Wanderung durch die heurige Kunstausstellung der Berliner Secession   hat in mir einige Betrachtungen angeregt, von denen ich frei zu werden wünsche und die ich deshalb mit der glücklichen Be vorrechtung des feffellojen Sonntagsplauderers hier niederschreibe. Ich gestehe von vornherein, daß ich nicht beabsichtige, den berufsmäßigen Kunstkennern ebenso unlanteren wie untauglichen Wettbewerb zu bereiten. Ich bin fein Fachmann und habe kein Urteil über das Fachmännische. Ihm sei überlassen, bei jedem Bilde zu scheiden, ob das technisch- koloristische Experimenteln das starke Können verrät oder nur sieche Unfähigkeit verdecken will. sicher auch für den Kenner reizvoll zu sehen, daß etwelche Leute Bilder malen wie man Aecker   pflügt, und beliebige wulstige Farben­strähnen gleich Ackerfurchen nebeneinanderreihen, was bei einer Entfernung bon einen zwei Meilen unerhörten Eindruck Es mag bedeutend fein, wenn ein Maler hinterläßt. ein möglichst scheußliches weibliches Modell seiner baum­wollenen Kleidung entäußert und es dafür in einen dicken Schuppenpanzer indenkbarster Delfarben steckt, so eine erhabene farbenbekleidete Nacktheit erzeugend, die sich selbst Herr Rören in sein Schlafzimmer hängen fönnte, ohne an feinem Seelenheil Schaden zu nehmen. Auch das ist zweifellos ein unermeßlicher Fortschritt, daß sich das heftige Naturgefühl mancher Secessionisten grundsätzlich auf Kartoffelfeldern statt etwa in der stark veralteten Meeresbrandung austobt. Und vernüßtlicht sich gar eine Landschaft zu einem Tapeten­muster, so ist, wenn ich nicht irre, das Ideal erreicht. Wenn Herr Corinth, der Vielbewunderte, Verkaufsreife, die Religion der Roheit fanatisch propagiert und mit nervigter Faust Bilder hinschleudert, wie ein Metzger Ochsen schlachtet, so wirkt solch Thun  - ich verstehe das sehr wohl- um so erbaulicher, als man dabei niemals die Erinnerung an die unheimlichsten Kapitel der gerichtlichen Medizin los wird. Und endlich ist es ernsthaft ein interessantes Schau­spiel, wie ein bedeutendes künstlerisches Genie danach ringt, in der Plastit, die auf ausgesprochene, fertige Formensprache angewiesen ist, malerisch- fublime, verinnerlichte Wirkungen zu erzeugen, indem er Teile seiner Werte stizzenhaft verwischt oder zertrümmert.

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Indessen ich habe kein Recht als Kenner zu richten, ich will mir als funstwilliges und tunstbegehrliches, simples Bolt reden, das keine Ahnung davon hat, ob ein Bild mit dem Pinsel, der Spachtel oder dem Stiefelabsag gemalt ist. Die Vorrede des Secessionstatalogs, der selbst wie ein rares Kunstwerk bezahlt werden muß, berlangt von uns Volt, daß glaube ich: mit Anlehnung an Schopenhauer wir vor die Kunstwerke treten wie vor Stönige und demütig warten, bis sie uns anreden. Nun, mir fehlt die monarchische Empfindlichkeit und ich habe das Mißtrauen, daß die Serenissimi bei solchen Audienzen feine Offenbarungen zu reden pflegen. Aber ich als Bolt. trete vor den Künstler und sage zu ihm: Siehe, ich will werden, schaffe mich!" Kunst erzeugt nicht nur ihre eignen Werke, sondern mt auch die Menschen, die sie genießen. Der Künstler ist der Schöpfer neuer Seelentverte. Unser Musikbewußtsein, unser reinstes und reichstes Gefühlsland, ist die Kolonie Beethovens. Wir werden von der Kunst geboren, indem wir hören und schauen, unser Die Zeit spricht durch sie bestes Menschentum ist ihr Gebilde. ihre eindringlichste, bewältigende Sprache. Jeder große Künstler zaubert, dem mythischen Gotte gleich, ein neues Paradies und setzt Das Erstaunen Suzannens wuchs mit dem geheimen einen neuen Adam und eine neue Eva hinein, und so steigt von Grauen, das sie beschlichen hatte. Was konnte Monsieur Paradies zu Paradies die Adamschaft und das Evatum zu Mensch­Jérôme Lucas zu sagen haben? So viele peinliche Möglich- heitsgipfeln empor. Const

Ich weiß, ich weiß. Ich will, daß er herkommt." Sie wollen, daß Herr Lucas herkomme, Sie wollen mit ihm sprechen, Großvater?"

" Ja, ja, so ist's. Er soll gleich kommen, ich will mit ihm sprechen."