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wird die große Revolution der Secession schließlich auch nur eine Ausgeburt bürgerlicher Defadenz, eines Hoffnungslosen, unerfättlichen und übersättigten Nihilismus, der, wenn er des Raffiniertesten müde ist, nun zur Abwechselung sich gelegentlich wieder den kindlichsten Naivetäten hingiebt: das ist das Untervierzehnjährige" in der Moderne, das auch vor dem Strafgesetzbuch der Aesthetik nicht besteht.
Was aber lebt nun von unsrer kämpfenden, gärenden, sehnen den Zeit in den Gebilden der Secession? Ist wirklich Revolution in ihr? Quillt in ihr die Farbenfreude einer neuen Renaissance der Gesellschaft? Wachen in ihr unsre Leiden auf und unsre stolze arbeitende Hoffnung, sie zu überwinden? Drängt in ihr unser Hassen und Lieben? Ist sie Parteikunst in jenem höchsten Sinn, in dem der Socialismus in der Partei Gestalt annahm? Nichts von alledem, trotz aller Lichtbemühungen und allem Farbeneifer ist So, das ist ungefähr, was ich einmal sagen wollte. Halten zu das meiste von dem, was sich Secession nennt, geistig farblos, Gnaden! Ich verstehe ja von diesen Dingen nichts, und Herr Corinth zeitlos und deshalb zukunftslos, rascher Vergänglichkeit entgegen- oder auch Herr Slevogt , den ich übrigens diesmal nicht gesehen habe, Huschend. Ach, die Secession ist Artisten- und Atelierbemühung ge- ist mir ebenso ein Grenel wie die feligen Thumann, Sichel und blieben, ob sie auch unter freiem Himmel und sengender Sonne A. v. Werner. Und schließlich reizt mich immer noch die Schönheit arbeitet, und ob auch moderne Kommerzienräte Kartoffelfelder statt der milonischen Venus zu größerer Andacht als ein aufgedunsenes Meeresbrandungen und gedörrte Spitalmädchen statt Haremsfette Aktmodell mit deutlich sichtbarer Schnürleber und den unverwischfaufen mögen. Es fehlt der Zusammenhang mit dem Großen, baren Spuren unheilbar katarrhalischer Erkrankung sämtlicher Massigen, Gewaltigen der Zeit. Es ist keine Volkskunst die Schleimhäute. Wenn man eben nicht Fachkenner ist und nicht warten Secession ist zumeist technisches Raffinement, fie schielt nach Batent- tann, bis die Serenissimi sich herbeilassen, einen anzusprechen!... amt und Musterschug, und ihre Schaustellungen haben etwas Fatales bon technischen Versuchsstationen.
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Im Vorjahre schien es, als ob thatsächlich neues Leben in der Secession fich fündete. Hener ist die geistige Armut des Nachwuchses erschreckend. Wer ist es denn, der von den mehr als 300 Werken Ewigkeitsgehalt hat, weil in ihnen die große Persönlichkeit, die Stimmen der Zeit, die Einsamkeit im Weltleben, meistert? Da fins die großen Alten, Böcklin und in gebührendem Abstand Leibl, da find einige Franzosen, Holländer und Skandinavier, da fesselt die in zartem Wafferduft atmende Landschaft eines Engländers, da ragen einzelne Tüchtigkeiten hervor, solide Arbeiten von Könnern , wenn auch nicht eben revolutionärer Raffe. Sonst aber ist das meiste für das große Nichts der Vergessenheit gemacht. Eine schlimme Dürftigkeit der Phantasie spreizt sich ins Leere. Es fällt den guten Leuten verdammt menig ein, sowohl in der Stoffwahl wie in der Symbolit des Erfindens. Die tausend fältig gebrochenen Stimmungen der Zeit gewinnen keine Aussprache der Sturm des großen Kampflebens ist ausgesperrt auch von dieser Stätte, wo man ganz wie die„ Akademiker"- die Zugluft nicht vertragen kann. Es grollt nichts, es hämmert nichts, es will nichts gebären. Höchstens daß wirre Märchenphantastik in bösen Farben träumen einen tieferen Sinn vorzutauschen, daß ein Drang nach erhöhter Lebensfreude stammelnd Form zu gewinnen sucht! Und wagt sich gar jemand an eine mystisch verzückte, unklare Ueberschwenglichkeit, so gelingt ihm das nicht anders, als daß er 100 wie mit dem Momentphotographen aufgenommenen Typen verzerrten Affekt in die Grimassen einbläst und die ganze Gesellschaft zujammenhanglos nebeneinander stellt, wie die Marmorfchwadronen der Puppen- Allee.
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Kleines Feuilleton.
Joc.
th. Auf dem Perron. Die alte Frau steht auf der Plattform. mit großen ängstlichen Augen starrt sie in das Menschengewoge der Bahnhofshalle. Auf dem linken Arm trägt sie ein Kind, in der Rechten ein Bündelchen, ihr Billet und ein Kopftiffen mit buntem Bezug, Es ist ein ganz sonderbarer Bezug: Farbe und Muster wie man sie nirgends sieht, scharlachrote Nelken auf giftgrünem Grunde. Jeder, der vorübergeht, sieht auf das Kissen und lacht:„ Nein, hast Du schon mal so etwas Verrücktes gefehen?" fragt eine Dame. Und der Hut von dem Jungen tomische Krute!" Auch der Perronbeamte wird aufmerksam. Ein paar Minuten steht er und beobachtet die Alte, dann drängt er sich zu ihr vor: Na wollen Se nu eigentlich raus oder rein, Sie? Mal jetzt raschrasch-"
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Die alte Frau schreckt zusammen und brummelt etwas. Der Beamte versteht sie nicht, er nimmt ihr das Billet aus der Hand:„ Berlin , na also- denn mal raus hier." Er greift nach dem Kissen und wirft es hinter sich gegen eine Barriere. Die Frau schreit auf, dann scheint fie verstanden zu haben. Sie folgt langfam. Sie wirft ihr Bündel auf das Kissen und stellt sich daneben, sie ist wirklich eine sonderbare Erscheinung. Ein großes dreizipfliges Stopftuch deckt ihr Gesicht; sie trägt einen frausen, turzen Rock, eine lose Jade aus Kattun und grobe Lederschuh. Als wäre sie nur nach Berlin gereift, um auf dem Bahnhof stehen zu bleiben, steht sie neben ihrer Habe, das Kind im Arm. Es ist übrigens ein großes Kind, ein Junge von etwa elf Jahren. Er hat den Kopf an ihre Schulter gelehnt. Aus dem rungligen eingefallenen Gesicht blinzelu müde und verschlafen zwei blaue Augen; die Beine hängen schlaff. Den Kopf deckt ein Strohhut. Er ist beinah ebenso sonderbar wie das Kissen, keine Garnierung darauf, der Rand ausgefranst. Er sieht aus als hätte man ihn vom Kehricht aufgelesen. Aber der Junge ist stolz auf den Hut, er rückt daran und lacht.
Der Beanite stemmt die Arme in die Seiten: Sagen Sie mal, wo wollen Sie denn nu eigentlich hin?"
Die Alte brummelt als Antwort unverständliche Laute. Der Beamte fragt sich hinter dem Ohr:„ Liebste Jüte, se kann nur polnisch." Er winkt ein paar Kollegen heran:„ Kann von Ihnen einer polnisch?"
Es sammelt sich ein ganzer Kreis um die Frau.
„ Sie wollen wohl nach Amerika ?" fragt ein Gepäckträger. Der erste Beamte wiederholt es beinahe schreiend:" Wollen Sie nach Amerika ? oder nach Berlin ?"
Sie schaut ängstlich und verlegen drein, aber sie lacht. Sie hat offenbar Furcht vor den Uniformen und will durch Freundlichkeit gewinnen. Sie brummelt wieder ihr Polnisch, es sind jetzt aber auch deutsche Brocken darunter:„ Balien Balien-" und dann auf das Kind zeigend:„ Kalinit a Wirt sagt Kalinit-"
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Ein Zeichen des rapiden Verfalls der Secession ist der völlige Mangel an socialer Kunst. Hier und da wagt sich noch ein Proletarierbild hervor, aber auch diese haften ängstlich an dem groben Außenschein der tristen Not, und das Befreiende, das sie durchleuchtet, gelangt nicht zum Ausdruck. Wie in der Litteratur so erschöpft sich die sociale Bemühung auch in der bildenden Kunst in dem äußer lichen Hang zum Lumpenproletarier", zur Dede und Dürre des stumpfen Elends. Da ist beispielsweise eine größere Leinwand, die die entzückende Landschaft der Schöneberger Gasanstalt zur Anschauung bringt, da wo sich Wannseebahn und Ringbahn schneiden; arme Frauen und Kinder fahren auf Handwagen Coats in ihre Mietsfasernen. Im Vorjahr sah man an der selben Stelle von dem gleichen Maler eine Scene aus den Berliner Laubenkolonien. Es ist zuzugeben, daß der Mann eine nicht unbeträchtliche, treffsichere Birtuofität in der Wiedergabe zerstörter, verödeter Proletariertypen besitzt. Aber bedeutet dieses trostlose Grauen des endlosen Graus, dieses Haften an der furchtbaren Monotonie finnfälliger Verelendung wirklich schon sociale Kunst? Lodern nicht von der Höhe der Weltgeschichte betrachtet Flammen in diesen gemergelten Leibern, fliegen nicht Adler um diese verwüstete Notdurft, leuchtet nicht Zukunft aus den dem Modellmaler sich darbietenden glanzlojen Augen? Sind solche Ach, in die Klinik wollen Sie!" Die Beamten fangen an zu sllavischen Momentaufnahmen aus den socialen Niederungen das begreifen. Das Kind ist wohl frank?" fragt ein Herr aus dem letzte Wort, das der Künstler zu sprechen hat, ist diese Natürlichkeit Bublifum. Sie lächelt noch immer:„ a Wirt-- a Wirt sagt Kalinit." wirklich Wahrheit und Wahrhaftigkeit? Wenn ich mir vorstellen„ Na ja a Wirt is ja jut Der Beamte schlägt sie müßte, irgend ein schweres Geschid würde mich zwingen, zwei derartige auf die Schulter: Wo wollen Sie denn nu hin, in die königliche Bilder in meinem Zimmer aufzuhängen, so ist es für mich nicht zweifelhaft, Klinit?" daß ich nach einer Woche entweder die Bilder verbrennen oder mich A Wirt, a Wirt, Kalinit." Sie wiederholt immer nur das daneben aufhängen würde. Ja, warum seht Ihr mir die Kleider eine, was sie notdürftig aufgeschnappt hat. und die Falten des Hungers und der Qual, warum faßt Ihr nicht ,, Ach der Wirt will sie wohl abholen?" meint einer von den auch die große Leidenschaft, den tapferen Idealismus, den heldischen andern Beamten. Befreiungskampf, warum erkennt Ihr nicht die große Seele„ Will der Wirt sie abholen?"- Werden Sie von jemand abder Not, so wie sie in der socialistischen Bewegung fich offenbart? geholt?" Alles drängt sich um fie und fragt: Was seid Ihr wie armselige Leibeigene, an die Scholle und den Sie weicht zurück, sie besinnt sich offenbar, sie streichelt das Staub gebannt, anstatt frei und herrlich in die Zukunft zu schauen Kind:„ Kalinit a Wirt sagt Kalinit gesund machen." „ Achund zu schreiten? Ich meinte, daß der proletarische Maigedanke fo." Man begreift. Der Wirt hat gesagt, die Klinit beispielsweise den Künstler zu immer neuen Versuchen, ihn wird es gesund machen übersetzt eine Dame. Was fehlt denn im Bilde zu gestalten, reizen müßte. Statt dessen zieht dem Jungen überhaupt?" fragt der alte Herr neben ihr. man auf koloristische Abenteuer, die, wenn es hoch kommt, Sie versteht nicht die Worte, aber den Sinn. Sie fährt dem sich an Arbeiterkleidern und den toten Furchen des Elends vergreifen. Kinde mit der Hand über die Veine und spricht in einem fort, Selbst die Wahl socialer Stoffe in bloßer äußerlicher Nach deutsch und polnisch wirr durcheinander. Die Teilnahme hat bildung wird immer spärlicher, und lieber bemüht man sich um sie zutraulich gemacht. Die andren folgen ihr gespannt, die Dame sexuelle Verwefung oder ergeht sich mit Hilfe der traditionell versteht sie ani beften, sie begleitet ihre Steden mit halblautem Ges mythologischen Formensprache in den Ausschweifungen eines un flüster: lleberfahren worden ist er? ja hören Sie, sie sagt es natürlich erhigten, überreizten finnlichen Genußsuchens. Dermaßen noch einmal überfahren vor einem halben Jahr. Die gnädige
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