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Rejer bog in die Quergasse ein, um ein Zipfelchen vom Haus des Kanoniers zu sehen.

Es gab ihm einen Stich ins Herz.  - Ja, da lag es mit all den kleinen Fenstern, die als Ausguckposten sich der See zukehrten! Gar oft hatte man da wohl ausgeschaut jedoch nach wem?

Es funkelte und glänzte in der Küche vom Herdfeuer, und im Hofraum hing, bis zum Holzschuppen hin, Wäsche zum Trocknen, das sollte er fennen, schien ihm!

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Er ging nicht am Haus vorbei; gesehen werden mochte er nicht, und es war noch nicht dunkel genug.

So steuerte er seinen Surs geradeswegs auf Walla zu. Wenn jemand ihm über alles Bescheid geben konnte, so war sie es!

Er sah recht gut, daß sie ihn schon am unteren Gassen­ende bemerkte, aber den Kopf ein wenig drehte. Schlimmes Zeichen!" dachte er sich, sollte der Wind nun hier mir so fonträr blasen?"

Als er näher fam, streckte sie den Körper wieder vor und that verwundert. Sie saß wie früher mit den Füßen in einem Storb, aber, infolge einer glücklichen Erfindung hatte sie zum Schutz gegen das Wetter ihr Quartier in einer großen, auf­gestellten, vorn ausgebrochenen Tonne aufgeschlagen; da drinnen saß sie auf einem Schemel wie in einem Lehnstuhl, vor jeder Gefahr völlig sicher, und im Regen hatte sie bloß das große blaue Parapluie als Dach aufzuspannen.

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Rejers Gruß beantwortete sie freundlich; allein er sah wohl, daß es ohne irgend welche Ueberwältigung des Gefühls geschah, cher etwas vorsichtig und so gleichgültig, als hätten sie sich gestern gesehen und würden sich morgen wieder sehen. Guten Abend, Madame Wahl! Welche prächtige Schale Sie sich da zum Sihen angeschafft haben!"

" Ja, bei meiner Treu! Dank sei Gott   und dem Kauf­mann Eberhard, der mir die Tonne schenkte."

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,, und dann

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Da haben Sie ja sozusagen ein eignes Haus, Madame Wahl!" Ach nein!" sie Hustete die Sache ist, daß ich" fie hustete schauen Sie, daß ich alt werde und meine clenden zwei Löcher für nich brauche. Sie kennen sie ja und Platz für die Körbe bei Nacht auch

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gehört! Aber ein braver und ansehnlicher Mann war er und die Strenge selbst draußen auf der Werft, das sagte man ihm ins Grab nach! Nein, die alte Haubize humpelt nun nicht mehr zur Werfte hin und zurück, blinzelt mir auch nicht mehr über die Körbe hin zu, wie er es pflegte, wenn er gut gelaunt war! Das bedeutete nämlich so viel, als daß er sich an die Anna Ludvigsen schon noch erinnere; nun tanzte man aber nach einer andern Pfeife, nun gehe er auf einem Stelzbein und ich fäße hier! Ach ja! ein armer Teufel sitt hier ganz allein und sieht, wie einer nach dem andern aus der Welt geht! Die Gedanken werden oft zu stark, Juhl, für ein altes Weib in ihrer Einsamkeit!"- Sie trodncte sich die Augen. ( Fortsetzung folgt.)

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( Nachdruck verboten.)

Das Recht des Kindes.

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Von Wilhelm Spohrs Multatuli  - Unternehmen( 3. C. C. Bruns. Minden   i. W.) liegt ein neuer Band, der sechste bis jetzt, aus, welcher den ersten Teil, die Abenteuer des kleinen Walther", enthält. Der große Gesellschaftskritiker war Multatuli  - Deffer geworden, als er ver­geblich als hoher Beamter der holländischen Kolonialverwaltung und dann als Schriftsteller mit seinem Anklageroman Max Havelaar  " das System von Raub, Mord und Gewaltthat, als welches er das Dienste feines holländischen Vaterlandes erkannt hatte, bekämpft und holländische Kolonialregiment während 17 jähriger Amtswaltung im zu beseitigen gesucht hatte. Die Wanzentattif, mit welcher die offi­ziellen Stellen die furchtbaren Auflagen Multatulis tot schwiegen, erfüllten diesen mit heiligem Born über die dieser Taktik zu Grinde liegende Berlogenheit und Korruption. Hatten doch nicht nur Res gierung, Minister und Parlament versagt, sondern auch ein großer Teil des Publikums, soweit dieses an dem System von Raub, Mord und Gewaltthat" interessiert war, sich mitschuldig gemacht an der Verfolgung und Aechtung des unbequemen Wahrheiten fagers!

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Empört lehrte Multatuli  - Deffer seinem Vaterland den Rücken, aber er fand bald, daß nicht nur in Holland  , sondern überall Eigen­muz, Gewinnsucht und schnöder Mammonsdienst herrschen und sich in die prächtigen Gewänder einer verruchten Klangmoral", einer Menge konventioneller Lügen" fleiden, welche die erhabensten und glänzendsten Namen von Tugenden führen. Staat, Monarchie, Adel, Religion, Kirche, Che Nun, furz alle socialen Erscheinungen und Einrichtungen erschienen ihm durchſeucht von dem Gift dieser Scheinsittlichkeit und er machte nun der ganzen Gesellschaft den Krieg bis aufs Messer, er ward Tange vor Nietzsche  ! der große Umiverter aller ethischen Werte", der er ist in seinen Schriften, und zwar ohne Nietzsches Verirrungen. In den Jahren 1862 bis 1877 ließ Multatuli   nach einander sieben Bände unter dem Titel Ideen" erscheinen. Darin legte er nieder all das, was sein Herz bedrückte in Gestalt vou funkelnden Aphorismen, Parabeln, Abhandlungen und Erzählungen; ja sogar bekenntnis des großen Dichter Denters, ist darin enthalten. ein Drama Fürstenschule", sozusagen das politische Glaubens­Seinem Verleger schrieb er bei Beginn des Unternehmens; Nein, es soll nicht gesagt werden, daß niemand versuchte, den Fluch zu beschwören, der auf dem Volfe ruht. Es soll nicht gesagt werden, daß niemand die Krankheit anrührte, die faulende Krankheit, an der das Volk leidet: Die Lüg'e. Ich werde thun, was ich fann, ich werde trachten nach Wahrheit.. Nennen Sie also meine

" Ja, freilich, freilich, Madame Wahl!". " Sonst aber wenn Sie wieder etwas verkauft haben wollen, so wissen Sie, daß die alte Madame Wahl sie beugte sich in ihrem alten brauen Mantel gerade vor, um die Laterne auf dem Stüdjenkorb anzuzünden ihre Hand nicht abzicht von einem alten Bekannten, der jedenfalls redlich be­zahlt hat mir zum mindesten! das kann ich der Wahr­heit gemäß bezeugen vor jedem, der mich fragt..."

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Oho! offenbar hat sie von zwei Seiten her Wind bekommen und weiß nun nicht, was von mir denken!"

,, Lassen Sie mich Ihnen helfen, Madame Wahl! Diesmal habe ich weder zu verkaufen noch zu borgen!" er schlug auf seine Tasche; cr fühlte, er müsse seinen Kredit heben.

Das Gesicht der Frau flärte sich auf. Die Rundungen des Kinns, der Wangen  , der fnospenden Nase formten sich zu einem wohlwollend überraschten Lächeln, welches die Hauer­zähne start entblößte:

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Ah, wirklich!"

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Arbeit Ideen". Anders nicht. Und schreiben Sie obenan: Es ging ein Säemann aus zu säen."

Und dann bin ich schon eine Zeit lang Steuermann, ,, ein neuer und besserer Faust, ein Don Quichote nach dem Geiste".

machte mein Examen droben in Drontheim  ."

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Ueber den Zweck seiner Walthersfizzen sagt Multatuli   selbst, daß er damit schaffen wollte ein Heldengedicht, in dem er den Kampf schildern wollte des Guten im Menschen gegen die Bosheit, den Riefentampf wahrer, heiliger Poesie gegen die Lügenprosa, die uns die Welt für Wahrheit giebt". Sein kleiner Held Walther war ihm Die herrliche Reinheit und poetische Sinnigkeit des eigenartigen Knaben, welche so schneidend kontrastiert mit der niedrigen Alltäglich­" Ja, habe ich's nicht immer gesagt, daß Sie ein gefeg-" teit und Gemeinheit seiner Umgebung, die echte Wahrheit feiner fie hielt inne. politischen Träume und Pläne im Gegensatz zu dem gemeinen Eigennug und der verlogenen Berechnung der meisten Großen, die ihn umgeben, die Darstellung des engen und dürftigen Daseins zwar nicht blutarmer, aber halbarmer gemeiner", d. h. im wahren Sinne des Wortes gewöhnlicher Leute, gelangen prächtig zu frappierend naturwahrer Darstellung.

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,, Geben Sie acht, Madame Wahl, daß Sie den Mund nicht zu voll nehmen! Nun, gehen dieses Jahr viele in den Navigationsturs des Lieutenants Albrechtsen? Und wie steht es sonst in der Stadt?"

Eine

O, Veränderungen giebt es jedes Jahr alte Frau, die an der Straßenede sigt, sieht sowohl die, die hinzukommen, als die, welche hinweggehen!"

Was machen sie droben beim Kanonier?"

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Gott   helfe uns! Da steht es nicht so besonders. Sie wird wohl ein Stückel von ihrem Hochmut ablegen müssen, wenn sie mit all den hungrigen Mäulern fertig werden will.. Das lernen wir alle, wenn wir in der Welt ein bigchen vorwärts tommen, Juhl!" Was brummen Sie da, Madame Wahl? Kanonier frank oder gar tot?"

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Ist der

" Ja, Sie, der Sie fort waren, haben es vielleicht nicht

Leben studiert! Wie scharfsinnig hat doch dieser Multatuli die Menschen und das

Es existiert ein sechster Weltteil, der bis jetzt seinen Columbus noch nicht gefunden hat. Dieser Weltteil heißt: Der Mensch." So sagt Multatuli   selbst an einer Stelle des vorliegenden Bandes. Und er selbst hat sich als einer der scharfsinnigsten, tübusten und genialsten Entdeckungsreisenden auf dem Ocean der Menschens kunde und Psychologie eben durch seine Walthergeschichte bewährt. Diese Frau Petersen, die profaisch gemeine Seele, die eines solchen Kleinods, wie es ihr Sohn Walther ist, gar nicht wert ist; der trocken beschränkte älteste Sohn Stoffel, Lehrer an einer der " Zwischenschulen" d. h. eines jener Lehrinstitute des alten Amsterdam  für nicht sehr arme Kinder, aber für solche, deren Eltern nicht in

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