Hlnterhaltungsblalt des ?!?. 209. Freitag, den 25. Oktober. 1901 Mach�ruck verbot«.) 33] Dvauf los! Roman von JonaS Lie. „Sie waren immer ihr Liebling!" sagte Frau Wahl,„und Sie hinwieder haben auch immer mit freundlichen Augen auf sie geblickt;— Sie haben mit mir ja vielemale von ihr ge sprachen.. „Gott stärke meine sündige Seele! Mit dem, was ich von ihr gesagt, könnte sie ruhig ins Himmelreich eiw gehen... was sie schon alles, so jung sie auch ist, geleistet hat!— Und wie sie ihr alles böse ausgelegt und sie stolz und hochmütig genannt haben... und so errang sie sich dennoch, gerade den andren vor der Nase weg, einen tüchtigen Kapitän!" „Ja, sehen Sie, Madame Wahl, darum hat Sara beim Fortziehen auch wieder an Sie gedacht mid gesagt:„Was da zurückbleibt, soll niemand andrer erben als die alte Walla!" Walla fuhr hastig empor und verneigte sich ein um das andre Mal:„Sagen Sie Madame Jühl, daß ich fast in die Erde sinke— ganz in die Erde hinein I— und daß die alte Madame Wahl, wenn sie tagsüber bei den Körben an der Straßenecke sitzt, ihrer gedenken wird in allem, was sie bei Gott ausrichten kann zum Segen für die Reise und für alles andre im Leben I— Ach, du mein, so dachte sie wirklich an ein armes Weib l... Alles, das Ganze, sagten Sic?" unter- brach sie sich plötzlich. „Es liegt alles in der Küche für Sie zusammengepackt. Bei Torgersen finden Sie den Schlüssel, und dort weiß man Bescheid." Walla begann wieder sich zu winden und zu drehen und in starken Alisdrücken ihre Dankbarkeit zu beteuern. „Setze» Sie sich nur tvieder nieder, Madame Wahl!— Sehen Sie, Sie verlieren ja ein Papierstück nach dem andern!" sagte Sicher und hob einige Stmnpfchen mit Bleistiftzeichen «ub Strichen ans. „Ach ja, Du mein,— das sind die Rechnungen! ... Ich saß gerade darüber, Herr Kapitän... sonst ver- liert man bald dies, bald das aus dem Gedächtnis l Die Gedanke» werden kurz, wenn mau alt wird I Da ist dieser Anders vom Semilitär... er sagte, er sei nur für sieben Pfefferkuchen schuldig, indessen... Böse Jugend in diesen Zeiten!..." „Arme, alte Walla I" dachte er, als er zum Hafen ging; „hartes Wetter verkrümmt den Baumwnchs I... Sie biegt und schniiegt und windet sich, um sich am Leben festzuhalten 1" 15. In den Jahren, tvclchc Rcjcr fern von Aafjord zugebracht, war wohl von den lichteren Verhältnissen der Welt ringsum mancher Sonncnstreifen auch in sein Heimatsbhgd gefallen; aber besonders zündende Macht hatte das nicht beseffen.— Der Fcnclschwauml war hier zu feucht und schimmelig, um Feuer zu fangen. Und eigentlich war die ganze Zeit über des Juhlbootes abenteuerliche Ausfahrt auf Heriilgsfang die einzige Be- gebenhcit gewesen, welche die Gemüter tiefer aufgeregt hatte, obgleich auch das in dem trügen Gewässer schließlich bloß eine kvastlose Deining blieb. Dieselbe hatte nur einen oder dcu andern Grübler unten am Fjordrand abgesetzt und im ganzen Bygd die dunkle Empfindung geweckt, daß anderivärtS Welt und Leben doch vielleicht Heller rmd leichter zu tragen feien,— ein Mißvergnügen, welches zur Folge hatte, daß mchrevc nach Amerika zogen. Als aber Rejer hier drinnen seinen Handel einzurichten anfing, da brachte er es in ein paar Jahren zuwege, daß mau vou Stavaugcr bis nordwärts nach Kinn wußte, es gebe einen Fischbaas. Namens Rejer Jansen Juhl, der den Hering im Meer förmlich zu riechen schien und auf ihn losging wie ein Walfisch. Immer der vorderste, immer in Thätigkeit, rücksichtslos und tolldreist jede Art von Wetter und jede Möglichkeit ausniitzend,— so hatte er abwechselnd verloren und gewonnen, gewönne» und verloren, im ganzen sich aber so Vorgearbeitet, daß er nun zwei, drei eigne Watnctzbctriebe mit ihren Vorn:eistern an der Spitze und außerdem Anteil bei verschiedenen andren besaß. In den Fjordgemeittde» nannte man ihn allgemein nur den Heringskönig. Die verschiedenen Packhäuser, die sich nach und nach im Aafjordsande erhoben hatten und manches andre im Bygd droben bewies, daß unter den Leuten hier mehr als ein runder Schilling am Hering Ivav verdient worden. Der Heringskönig wohnte nicht auf dem Hammernäs; dort saß nun seine Schwester,'die verwitwet worden; er hatte sich im Hamniervig ein neues Haus mit blauen Dachschiefern und zwei große, schöne„Seebuden"(Lagerhäuser) davor er- baut. Letztere standen am Strande unten, rechts und links von der Landungsbrücke. Das eine enthielt die Garne und Watnetze, welche wie Wände von dem Dachgerüste hingen; im andern, der Suljerei, lag Boot in Boot— das kleiiiere im größeren, so lvie man Schale in Schale stellt. Vor den. Gebäuden herrschte emsige Eile. Die Leute besahen und prüften allerlei Warp- und Dregganker und Trossen, die man beim Winterfang benutzen ru:d in die halb- ausgerüsteten Boote, die in etucr Reihe bei der Brücke lagen, hinabschaffen sollte. Ein paar Jungen von sechzehn und siebzehn Jahren halfen eifrig bei der Arbeit. Ter eine hieß Jan, der andre Jan Konrad,— den Namen des Vaters, der heute ungeduldig lvie ein Türke in seiner Stube auf und ab ging und welcher schon alle Leute auf dem Hofe zum Strand hinäbgetrieben hatte.— seinen Namen errät der Leser. Ilm Weihnachten, wenn die Heringszeit nahte, ging er einen wahren Berserkerschritt: übte das Mi eis Volk und die Boote und hielt Nachschau und sandte„Expresse", wohl sieben, acht Meilen weit hinaus an die Meeresküste, nni die Nachrichten aus erster Hand und ganz frisch zu erhalten. Eine solche Nachricht hatte heute ihn und den ganzen Hof außer Rand und Baird gebracht,— es sollte misgefahreu werden! Man sandte um die Fischmeistcr und die Besatzung, man machte den Proviant fertig... tausend Dinge I— Und barsch tönten und hastig die Befehle zu den Bevollmächtigten und den Leuten hinaus. Der Betrieb war sehr umfangreich. Das Wolltuch lose um den Hals geschlungen, die Peajack« aufgeknöpft, die Hände auf dem Rücken, so trieb sich Rejer in der Stube auf und ab. Der Gang war schaukelnd, die hohe Figur etwas zurückgebengt und ans dem scharfen, stark mar- kierten Antlitz lag heute eine Röte, ctlva wie sie eine Ohrfeige auf den Wangen zurückläßt. Es waren zwei höchst verschiedene Erscheinungen, die im Zinnner drinnen den Loden kreuzten, sich aber wohl hüteten, einander in die Quere zu kommen. RejerS Gattin war nicht so leicht in ihrem Konzept zu erschüttern... sie hatte so oft vorher solch' einen stururplötzlichen Aufbruch mitgemacht; so ging sie nun breit und solid und festen Fußes herum rmd ließ sich irr ihrer häuslichen Verrichtung nicht stören. „Lieber Rejer, wenn Du wartest, bis Weihnachten vor- über ist, wärst Du wohl immer noch einer der allerersten auf dem Platz I Der Expreßbote hörte ja gar nichts von Hering." „Hörte nichts?— vom Hering gehört; ob ich je so etwas gesehen! Dann rrrderten ja alle andrm gleichfalls aus I— Nein, schaust Du— aber das, was er sagte, roch nach Hering, das verstehe ich, i ch!" „Ach, Du witterst immer Hering! Laß die Lercke ihre Feiertage in Frieden geirießcu;— zu etwas andrem taugt nun der Aafjording nicht viel!" „Taugt nicht?— Nein— aber Gottes Gabe im Meere draußen ziehen zu lassen, ohne sie genug zu schätzen, mir auch nur die Hand auszustrecken und sie entgegenzunehmen— ja, dazu tangt der Aafjording!... Jul durchschwelgen, ja— und dann, wenn die Bicrtonne leer, dann ist für sie gemächlich Zeit,— das taugt ihnen, das!... Nim kommt aber der Hering zu- fällig früher und wartet nicht auf sie!— Ich werde sie lehren I Ich werde sie gerade klopfen, und wenn sie noch so krumm sind! Sie sollen den Hammer ans dem Nagel fühlen!" „Run ja. Du hast ja zu befehlen, Rejer I Was mich bo- trifft, so ist der Proviant bereit... Ihr habt ihn nur z» holen!" „Fertig... alles?" Er schaute sie etwas verblüfft und fast zweifelnd an.
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18 (25.10.1901) 209
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