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Was meinst Du wohl?" forschte Onkel Ben strahlenden Gesichts.

Es sieht aus wie' ne Schlangenwurzel, die Sie so' raus graben, mit' n bißchen Schmuh dran," entgegnete Rupert kritisch.

Das ist mein Name."

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Was ist das für'n frankes Wurm da unten auf der sunnatürlich muten im Vergleich mit dieser Teis andeutenden, Seite?" fragte er. fich eng an die Bescheidenheit der Natur" auschmiegende, Art, die die reflexionsreichen Auslaſſungen der Hebbelschen Personen, ihre Erzählungen und breit ausmalenden Monologe den Leser an! wort erhob, daß der in einem bürgerlichen Trauerspiel zu Und auch die andre Forderung, die der Dichter in jenem Bor­schildernde Vorgang nicht ein zufälliges Schicksal sein dürfe, sondern einfache, große Züge aufweisen müsse- Züge, durch welche er für die allgemeine Lage und Sinnesweise des darzustellenden Den Kopf auf eine Seite geneigt, blickten beide darauf Standes charakteristisch sei, wird man in dem Drama schwerlich er­hin: Es ist nicht so schlecht, wie das andre, was Sie ge- füllt fehen. Der tragische Konflikt, den der Dichter behandelt, kann schrieben haben, s könnt wohl Ihr Name sein. Das heißt, sich ebenso gut in andren, als in den specifisch kleinbürgerlichen Schichten, die es sieht ganz anders aus wie alles andre," meinte Rupert, spielen. Jene schroffe Geschlossenheit, mit der die Individuen der Dichter uns im Bilde vorführt, ab­dem der Gedanke fam, es möchte mehr seines Amtes sein, sich im beschränktesten Kreise gegenüberstehen", jene schreck­den Schüler zeitweise aufzumuntern. Mit der Zeit wird's fiche Gebundenheit des Lebens in der Einseitigkeit", bon schon gehen. Wozu thun Sie aber das alles?" fragte er denen Hebbel spricht, find ebensowenig wie dann weiter plötzlich. die Veräußerlichung und bornierte Verhärtung des Ehrgefühls aus­zeichnende Charaktermerkmale dieser einen Gesellschaftsschicht.

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Was denn?"

,, Na, hier in die Schul' kommen, wo sie doch keiner hin schickt und wo sie gar nicht hingehören als großer Mensch."

Onkel Ben wurde rot bis hinter die Ohren. Was giebst, wenn ich's Dir sage, Rup. Am Ende möcht' ich' mal Luft haben, unter die feinen Leute zu gehen? Vielleicht wollt' ich mich auch mit den andern Burschen auseinandersetzen, wenn die Zeit kommt? Am Ende auch Gedichte machen und Ge­schichten lesen- was?"

Ein Ausdruck unendlicher Verachtung trat in Ruperts Augen. Sie? Hör'n Sie' mal," fuhr er langsam und mit Nachdruck fort, ich werde Ihnen sagen, warum Sie bloß herkommen!"

Nun?"

Es ist' n Frauenzimmer!"

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Onkel Ben brach in ein Lachen aus, bei dem das ganze Dach bebte, und stampfte in dem Zimmer umher, daß der morsche Boden krachte. Dann erschien der Lehrer an Pforte und machte der Scene ein unwillkommenes Ende. ( Fortsetzung folgt.)

Maria Magdalena.

( Deutsches Theater.)

Mehr als fünfzig Jahre find ins Land gegangen, seitdem der junge Hebbel, damals noch mitten in feiner Sturm- und Drang periode die Maria Magdalena ", sein bürgerliches Trauerspiel" schuf. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts eine künstlerische That, der sich nur wenig andres aus jener Zeit zur Seite stellen läßt! Und Hebbel selbst hatte von der Kühnheit und Originalität des Wurfes das lebhafteste Bewußtsein; er suchte und proklamierte es stolz in dem merkwürdigen philosophischen Vorwort, mit welchem er das Drama in die Welt schickte, daß hier etwas Neues, die Grenzen des damals so beliebten bürgerlichen Rührstücks weit Ueber­schreitendes geschaffen sei.

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Doch das ist schließlich in dem Stück kein Schade. Dadurch, daß Meister Autons enge Denfart im Punkt der Ehre weniger aus seinent Stande, als aus persönlichen, vom Stande unabhängigen Eigenschaften herauswächst, wird der dichterische Wert dieses wunderbar gezeichneten Einfachheit. Aber leider ist es dem Dichter nicht gelungen, dema Menschenthpus wahrlich nicht herabgemindert. Er hat Größe und entsprechend auch die Handlung, die sich um den alten Tischler­meister gruppiert, in einfachen und großen Strichen mit typischem Charakter zu entwickeln. Hier spielen jene Zufälligkeiten", die Hebbel an dem bürgerlichen Drama seiner Zeitgenossen so bitter tabelt, störend und verwirrend hinein. Meister Anton, der die Ehre die eigne und die seines Hauses als den Nerv seines Lebens empfindet, wird in dem Schicksal seiner Kinder getroffen. Auf den Sohn lenkt sich der Verdacht des Diebstahls, und die Tochter hat dem Drängen eines Liebhabers nicht widerstehen können. Mit namenloser Angst fühlt sie ein neues, junges Leben in ihrem Schoß sich bilden und bewegen. Sie war der Liebling des Vaters, und sie weiß, daß, wenn die Schande offenbar wird, er, deffen Kraft schon durch den Gram über die Schande des Sohnes ins Mark getroffen ist, den Schlag nicht überleben wird. Einmal bereits ist ihm der Argwohn aufgestiegen, und da hat er, zitternd in Erregung und furchtbaren Grimm, geschworen, wenn er Das je erleben follte, dann griffe er zum Messer, um ihr Platz zu machen. Dies graufige Bild verläßt sie nicht, sie wetß, der Vater ist der Mann, mit seinem Worte Ernst zu machen. Er oder sie einer muß sterben. Nur indem sie sich selbst den Tod giebt, kann sie das Geheimnis vor ihm und vor der Welt bewahren. Und in ausweg­loser Verzweiflung, durch die entsetzliche Drohung des eigenen Vaters getrieben, vollbringt sie das grausige Opfer.

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So in seinen allgemeinsten Zügen betrachtet, ist der von Hebbel hier entrollte Konflikt von einfacher und erschütternder Tragik. Aber die Wucht des Grundgedankens geht in der konkreten Aus­gestaltung der seltsam verästelten Handlung dann zu einem großen Teil verloren. Das Mädchen, dessen Kindesliebe eines solchen Opfers fähig war, soll sich diese Aunahme mutet der Dichter uns zu einem ungeliebten Manne, einem elenden Schurken hin­gegeben haben, und zwar gerade in einem Augenblicke, wo in ihr die alte Liebe zu einem Jugendgespielen mit neuer Kraft erwacht war. Ihr Fehltritt war nicht eine That sich aufbäumender Leiden­schaft, sondern ein aus plöglicher Verwirrung aufsteigendes, völlig Maria Magdalena " und der wenige Jahre später entstandene paffives Gewährenlassen, an welchem das Herz keinen Anteil hatte, Erbförster" von Otto Ludwig sind in der älteren deutschen eine Art bösen Zufalls, der mit dem Wesen des Charakters, Theaterlitteratur des neunzehnten Jahrhunderts die einzigen Werke wie ihn der Dichter entwickelt, gar nicht in einen von wirklich litterarischer Bedeutung, die in gewisser Hinsicht als inneren organischen Zusammenhang zu bringen ist. Man wird den Vorläufer und Ankündiger des neuen bürgerlichen Bühnen- Eindruck des Konstruierten hier nicht los. Hebbel brauchte die Vor­naturalismus betrachtet werden können. Aber eben darum, weil aussetzung, weil nach dem Plane des Stückes der Verführer und die Entwicklung in den durch diese Werke angestrebten Bahnen, Bräutigam des Mädchens ein erzgemeiner und berechnender Schuft wenigstens in verwandten Bahnen, erfolgt ist, fühlt man bei der sein mußte, dem dann im letzten Augenblick ein edler Bewerber, eben Lektüre den Abstand der Jahre um so deutlicher. Was damals iener Jugendgeliebte, strafend gegenüber treten sollte. Er hat durch diese und zwar mit vollem Recht als ein tiefer Bruch mit der dem Figuren im Stücke selbst einen bewegteren und spannenderen Wechsel Leben entfremdeten konventionellen Theatersprache und Scenenführung, der Situationen erzielt, aber doch auch nur auf Kosten innerer, als fühne naturalistische Neuerung empfunden wurde, klingt unfrem organischer Geschlossenheit. Die schleichende Canaille Leonhard und durch die intime Wahrheitskunst der Tolstoj , Jbsen und Hauptmann der Rächer, der im letzten Augenblick erscheinende idealistisch- kühne so verwöhnten Gehör heute bereits vielfach wieder als theatralisch Sekretär können uns wenigstens ist das der Eindruck, den der und konventionell. Leser erhält ebensowenig von ihrer inneren Naturwahrheit über­zeugen, als der Fehltritt Maria Magdalenas.

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Wie höhnisch verurteilte Hebbel die schönen Reden", mit welchen die Verfasser bürgerlicher Schauspiele ihre Figuren aus Die Aufführung im Deutschen Theater war ein Wunderwerk. ihrem eignen Schaze" ausstatten, so daß dieselben uns zum Teil als Nicht nur, daß sie das Große in dem Drama zu kraftvollster verwunschene Prinzen und Prinzessinnen vorkommen, die ein Zauberer Wirkung herausarbeitete, auch das, was sonst uns heute als tot und aus Malice in Bäckermädchen und Schneidergesellen verwandelt hat"; falt in dem Stücke anmutet, vermochte sie wie mit warmem Lebens wie energisch weist er darauf hin, daß die Sprache des Alltags auch blute zu erfüllen. Die bilderreiche Sprache, die beim Lesen vielfach auf der Bühne an die Bilder und Gleichnisse, die der Alltag mit so geschraubt, so zäh und dickflüssig erscheint, fie tlang in und allgemeinen Lebensverhältnissen bietet, sich der minutiös durchgeführten Beseelung, die ihr die Schauspieler halten soll! Aber er selbst, der diese Forderung aufgaben, leicht und frei, oft wie der natürlichste Ausdruck innersten stellt, ist, für unser heutiges Empfinden, um ein veites hinter Empfindens. Im Banne dieser Wiedergabe, die den geheimsten ihrer Erfüllung zurückgeblieben. Nur aus den Worten des Meisters Intentionen des Dichters nachging, ja sie aus Eignem merkwürdig Anton weht uns bei der Lektüre so etwas wie wirklicher Grögeruch ergänzte und vertiefte, erschien alles groß und bedeutsam; die entgegen, in den Reden der andern Personen tönt noch immer all zu Macht des unmittelbaren Eindrucks schlug siegreich alle sonstigen Bes start vernehmlich die fremde Stimme des reflektierenden Dichters denken nieder. Dieser Maria Magdalena , die Frene Triesch spielte, durch. Wie viel von außen hereingetragene Rhetorik, wie viel konnte man sogar jenen in der Dichtung so ganz und gar nicht motivierten offenbare Absichtlichkeit noch in diesem Dialoge, wenn man ihn mit verhängnisvollen Fehltritt glauben; so sehr hatte sie den Zug des Hilflos­dem Dialog etwa der besten Ibsen- Dramen vergleicht! Wie Rührenden, des liebenswürdig Schwachen, und einer leisen, halb un