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bewußten Sinnlichkeit in ihrem Spiele vertieft. Und wie wußte fie, überall in den Grenzen überzeugendster Natürlichkeit verbleibend, die ganze furchtbare Tragik ihres Frauenschicksals in Ton und Belegung zu enthüllen; wie verstand sie, selbst wenn der Körper unter den Schmerzen des verborgenen neuen Lebens sich wand, die sanfte, schlichte Anmut, auf welche der Ton der Rolle gestimmt war, zu be­wahren! Ebenbürtig stand ihr Herr Nittner als Meister Anton gegenüber. Er hatte den harten Fanatiker der bürgerlichen Ehre ins menschlich Mildere abgewandelt. Durch das rauhe Aeußere schaute überall ein zartes und eben darum so besonders schmerzhaft reizbares Gefühl hin­durch. Das Straffe und Gewaltsame trat mehr, als wohl der Dichter gewollt hätte, hinter dem Sympathisch- Rührenden zurück. Aber nicht zum Schaden. Man konnte ihn lieben, den Alten! Und darum glaubte man auch Magdalena, daß ihre Seelenqualen nicht sowohl aus blinder Furcht vor einem finstern Tyrannen, sondern zu tiefst aus ihrer findlichen Liebe herauswuchsen. Auch die Nebenrollen waren trefflich besezt. Hans Fischer und Otto Sommers torff gaben den beiden Liebhabern, was ihnen überhaupt gegeben werden kann. Es war ein künstlerischer Ehrentag des Deutschen Theaters. Conrad Schmidt .

Kleines Feuilleton.

M

th. Ein Junge. Frischen heißt er und zehn Jahre ist er alt; ein kleines Kerlchen, aber frisch und voller Kraft. Kein vermickerter Großstadtjnuge; seine Augen blizen und seine Backen sind voll und rot. Das macht der Wald, der dicht vor seiner Thüre wächst, das macht der Wind, der von der Müggel kommt, Wasserwind ist es, der pfeift um die Ohren und macht die Seele froh und den Leib gesund.

Unten am Bahnhof fah ich ihn das erste Mal. Wenn die Züge

aus Berlin ankommen, stehen da viel solche Jungens; sie stehen und passen auf die Leute mit den großen Paketen, und haben sie so einen aufgestöbert, drängen sie sich alle um ihn herum und strecken ihre Hände aus:

Derf idk Ihnen tragen helfen? Jeben Se' t mir! Ach ick bin ja ville jrößer! Jeben Se' t mir doch!"

Und es kriegt auch jeder immer sein Teil, aber Fritzchen wird zurückgeschubst, Frigchen ist viel zu klein.

Das verdirbt ihm jedoch die Laune nicht. Er kommt immer wieder, zu jedem Nachmittagszuge ist er da, denkt wahrscheinlich: mal wird doch schon etwas für dich abfallen. Gestern kriegte er mich an: Sie, haben Se den nischt zu tragen? Jeben Se mir doch' n Paket, id bring' s Ihnen zu Hause for eenen Sechser. Ihnen alleine is ja das alles zu schwer."

Es war eigentlich nichts zu schwer, aber Fritchens große Blau­augen jummelten; er hatte schon drei Züge abgewartet und nichts bekommen. Sei's also! Er bekam das Buch.

Zu Hause fand sich, daß noch etwas einzuholen war, und Fritzchen sprang. Schließlich gab es dann eine Tasse Kaffee und eine Butterschrippe, und zwei blanke Nickel fielen auch noch ab. Fritchen saß am Ofen und faute mit vollen Backen, der ganze Bengel war ein Vergnügen. Zwei Groschen, ein Riefengeschäft! " Was machst Du denn mit dem Geld, Frizchen? Kausst Du Dir Schokolade dafür?" Ach nee!"

meine Sparkasse."

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er war ordentlich empört

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,, dett leg' ick in

Soo? da ist wohl schon sehr viel drin?" Eene janze Mart," sagte er stolz, und denn noch fufzig Pfennige, aber wenn die von heute zukommen, sind es siebzig Pfennige."

Das kannst Du Dir so schnell ausrechnen?"

Och na: zwanzig und fufzig-" er ist ganz und gar verletzte Würde ,, und in Rechnen hab ick immer jut."

" Das ist ja nett von Dir Frißchen, und das ganze Geld haft Du Dir auf der Bahn verdient? Hat wohl Mutter doch mal' n Sechier zugelegt, was?"

Nee! Die hat nischt!" Er schüttelte den Kopf. Aber auf die Bahne is nich viel. Da nehmen se immer de Froßen, und wenn mal wat is, denn jeben se nischt. Und die feinen Damens aus de Villen jeben man knapp' n Sechser."

Er war gesprächig geworden: Aber Sonntags jeh ick an'n See, wo de Boote liegen und helfe se abbinden und ranziehn, wenn se nach Haus kommen, und dafor jiebt mir der Schiffer immer fufzehn Pfennige, und manchmal jeben mir die Fräuleins auch noch'n Sechser, wenn id se helfe aussteigen, und besonders, wenn's' n Liebespaar is, idk jeh immer zu de Liebespaare."

" Die kennst Du wohl schon ganz genau raus?"

ja," er biß in seine Schrippe, dett sind immer die, die Dollheiten machen, und je döller se sind, desto eher jeben de Fräuleins' n Sechser, und wenn Eis is, und man schnallt ihnen Schlittschuh an, dann jeben se och' n Froschen .

Also Schlittschuh anschnallen gehst Du auch, Frißchen?" a, aber id faun man bloß nich," er wurde ordentlich betrübt, weil wir doch Schule haben bis Viere und dann ist's duster und' s looft teener mehr aber Sonntags helf' ick denn immer."

Frißchen, Frißchen, da mußt Du ja bald reich werden. tomme zu Dir und pumpe Dich an."

Ich

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Er lachte, der Gedanke machte ihm offenbar Spaß. Aber das vor jeh' ich denn abends nach's Strandhotel und helfe de Gläser aus'm Saal holen, und in de Küche trock'ne ich ab, und denn jiebt mir die Köchin' n Teller Braten und manchmal krieg' ich auch noch ' n Sechser zu." Aber der Braten ist das Beste, was?"

Nee, der Sechser; aber der Braten is fein und de Wirtin derf's nich wissen, denn schimpft se."

Möchtest Du denn nicht aber lieber spielen gehen?" " Nee, Geld will ick haben", er sagte es sehr bestimmt, dann richtete er sich lebhaft auf:" Sie, derf ick Ihnen morjen wieder was einholen?"

Kannst ja mal nachfragen kommen, Frigchen."

Au ja!" Er klatschte in die Hände. Haben Se schon Ihr Holz für' n Winter da? Für unse Wirtin hol ick Holz von' It Zimmerplaz, da jiebt's ville mehr wie beim Kohlenhändler, da jiebt's für drei Froschens' n janzen Kinderwagen voll, darf ich Ihnen nich auch was herfahren?"

" Frißchen, Frißchen, was bist Du geldgierig! Ja, Du darfst mir auch Holz einfahren, bekommst einen ganzen Nickel dafür, aber fag' mal, was machst Du mit all' Deinen Reichtümern, willst Du sparen, bis hundert Mark zusammen find?"

" Nee," er schüttelte energisch den Kopf, aber' n Dahler will ich haben."

Und dann kaufst Du Dir Pfefferkuchen?"

Nee, so wat ja nich. Mutter sagt: zwee Mark nimmt se aut for Stiebels. Aber denn krieg ick ooch janze feine, sone mit Stulpen, wie se de Jungens aus de rote Billa tragen, und Mutter fooft se alt in Berlin , da jiebt's se billig, und mit neue Sohlen. Aber mit dem, was über is, fann ich machen, wat ick will."

So? Und was wirst Du dann wollen?" Er sah etwas zaghaft zu mir herüber:" Mutter sagt, wat muß id von haben, weil ick doch for gearbeitet habe, und ob ick mir nich' ne warme Müge toofen will, so eine mit Ohrenklappen"

"

Das wäre doch auch sehr fein, Fritzchen!" " Ja, ja", er ist ganz kleinlaut geworden. Und ich möcht' es auch, aber eigentlich möcht ich auch mal mit der Bahne fahren,' n janzen Vormittag immer hin und her nach Berlin ."

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" Fritchen, ich glaube, die Mütze möchtest Du lieber " Ja, det möcht' ich schon, aber, aber det andre möcht' ich auch mal gerne, und in die zweete Klasse müßt es sein und auf ' ne Banke von rotem Sammit." Seine Augen leuchten auf. Sie, glauben Se nich, daß det furchtbar, fein wäre, auf so' ne Banke von rotem Sammt?"

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C. Ein konsequenter Naturalift. In Paris hat man sich in diesen Tagen wieder viel mit Guy de Maupassant beschäftigt, anläßlich des Erfolges, den seine dramatisierte Yvette" im Vaudeville gehabt hat. Aus der Jugend des Dichters wird bei diefer Gelegenheit eine Anekdote erzählt, die bei allen strengen An­hängern des Naturalismus Beachtung zu finden verdient. Flaubert forderte seinen Schüler unaufhörlich auf, nur nach der Natur zu arbeiten, wie er selbst zu thun mit größter Konsequenz bemüht war. Eines Tages behauptete der Meister, daß es, wenn man die Sensationen und Em­pfindungen, die durch einen Fußtritt wo, braucht nicht erst gesagt zu werden hervorgerufen würden, kennen lernen wollte, das beste wäre, eine Person, die eben das Opfer einer solchen Behandlung ge­worden wäre, genau auszuforschen. Maupassant nahm sich den Rat feines Lehrers zu Herzen, ging hinaus auf das Feld von Bauteleug und richtete an einen jungen Burschen die Frage: Willst Du Dir einen Frank verdienen?"" Aber natürlich, mein Herr."" Nun, so dreh Dich um, ich will Dir einen Fußtritt geben, aber ohne Dir allzusehr wehe zu thun; alsdann wirst Du mir genau beschreiben, was Du dabei empfunden hast." Beide wurden handelseinig, und die Operation ging vor sich. Aber der Vater des jungen Bauern hatte durch eine Hecke die Scene mit angesehen, er eilte herbei, mit einer Heus gabel bewaffnet, und versetzte dem wissensdurstigen jungen Dichter einige wohlgezielte Büffe. Angesichts dieses väterlichen Zornes­ausbruchs verzichtete der Dichter darauf, die Impressionen des Sohnes fennen zu lernen und nahm schleunigst Reißaus. Nun, hast Du etwas ausgerichtet?" fragte ihn Flaubert , als er ihn wiedersah. Ja, durchaus genug." Als Maupassant darauf sein Abenteuer erzählte, mußte Flaubert Thränen lachen, und er erzählte die Geschichte allen seinen Freunden.

Uebrigens liebte Maupassant sein ganzes Leben lang förperliche Gewalttouren. Sein Mitarbeiter, der Dichter Jacques Normand , veröffentlichte vor kurzem einen merkwürdigen Brief, den Maupassant wenige Monate vor seinem Tode an ihn gerichtet hat. Ich fühle mich sehr wohl," schrieb der Dichter darin; beunruhigen Sie sich nicht meinetwegen. Heute habe ich gerade auf meinem Dreirad das Haus Voltaires in Ferneh besucht; hin und zurück von Divonne nach Ferney , 28 Kilometer in zwei Stunden zehn Minuten, alle Wagen bei auf und absteigenden Wegen überholend. Bei der Rückkehr habe ich mich in diesen Fischteich, die Divonne, gestürzt, die so kalt ist, daß wir nur drei oder vier von Dreihundert es wagen. Ich mache einen Kopfsprung in das Loch, von wo diese eisige und heftige Flut auss tritt. Das Wasser hat hier 5 Grad. Die Douche des Morgens hat 6 Grad. Es sind die ersten Douchen der Welt, da kein Wasser an dieje Kälte heranreicht, die immer, Winter wie Sommer, gleich ist. Es ist ein wahres Phänomen. Ich bin hier wie ein Fisch in das Waffer, in sein Wasser gekommen, und ich bin sicher, daß eine Saison, alljährlich in diesem Eiswasser verbracht, mich noch lange flott halten