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Madame ist aufgestanden!" flüstert Nadja, durch eine Seitenthür aus dem Laden in die Arbeitsstube flürzend. Wo sind meine Patten! Ah, fie fommt gleich, und ich habe keine Arbeit!" Unruhig läuft sie in der Werkstatt umber. „ Da, da. nähe in diesem Rock Tasche und Haken ein!" schiebt ihr eine der Arbeiterinnen einen schweren Cheviotrock zu. „ Nu hat man endlich Thee , da heißt es wieder warten, bis fie alle Arbeiten angesehen hat!" hört man einige unzufriedene Stimmen.
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gezittert, als sie es bemerkte. Vor den Kunden ließ sie sichs natüra lich nichts ansehen!" Manta hat diese beunruhigende Botschaft in die Werkstatt gebracht.
„ Ach Unsinn! Was redest Du da für dummes Zeng! Wer soll denn da etwas verdorben haben?" Ich habe gestern abends selbst den Radmantel gesehen, als er Anjutka gegeben wurde. war zu bemerken!. Nichts
" Schwaz hier teine Dummheiten!" hört man gleichzeitig einige erregte Stimmen.
In der Arbeitsstube wird es still. Alles wartet auf Madame. Nur die alten ausgearbeiteten Nähmaschinen erfüllen das Zimmer" Ja, was fann ich denn dafür? Die Dame, welche das wollene mit ihrem flappernden Geräusch. Die eintretende Prinzipalin findet Kleid anprobierte, besteht den Radmantel und sagt:„ Ach, was für ihr Personal eifrig bei der Arbeit. Sie ist eine mittelgroße Frau ein schöner Plüsch! Das ist eine Rotunde!" Geht näher und dreht in den Dreißigeri, ziemlich forpulent, in einen nachlässig über- sie hin und her. Und Madame sagt: Jawohl... hundert Füchse geworfenen Flanellrock gekleidet. Mit einem forschenden Blick über sind drin. Eine durchreisende Dame hat's bestellt!" Und die Kundin die Mädchen und die an der Wand hängenden Arbeiten nähert sie sagt:„ Aber warum sind denn hier alle Fäden zu sehen?" Ich lese fich langfam, mit schlürfenden Pantoffeln, der ältesten Arbeiterin. gerade von der Erde Nadeln auf. Ich blicke verstohlen nach der Was, Sie sind noch nicht mit der Taille fertig? Ich rechnete Rotunde, und wahrhaftig: alle Heftfäden zu sehen! Madame geht bestimmt darauf, daß Sie heute schon das seidene Kostüm anfangen näher und wird ganz blaß, sagt aber gleich: Ach, das ist' ne follten. Uebermorgen mittag muß es fertig sein; es wird sehr Kleinigkeit.. nur einmal auszuplätten!" Und sie beginnen von dringend zu einem Konzert gebraucht!" zischt sie unzufrieden durch den neuen Stoffen zu sprechen; aber man sieht's ihr an, daß sie die Zähne. schrecklich verstimmt ist."
Ich habe nur noch das Chemisett anzunähen, dann ist es fertig, Madame." " Ist der Umhang fertig? Er muß heute abgeschickt werden. Katja, Sie haben ihn genäht, nicht wahr?"
" Ja, er ist fertig, nur noch auszuplätten." Na worauf warten Sie denn?" „ Das Eisen ist noch nicht heiß."
" Haben Sie schon etwas fertig? fragt sie die Rockarbeiterin Safcha.
" Da, den blauen Cheviotrod macht Nadja jetzt zu Ende, und hier diesen mit den Patten kann man auch bald in den Laden nehmen."
„ Schneller, schneller. Es ist noch eine Maffe Arbeit bis zu den Feiertagen! Warum klappern die Maschinen so? Sind sie denn rein gemacht? Katka, find die Maschinen nicht gereinigt?"
" Ja, Madame, heute früh."
„ Das ist gelogen! Das merke ich am Rasseln!" sagt sie im Fortgehen.
Na Gott sei Dank! Sie ist fort. Hast Du alles eingekauft, Manta? Dann wollen wir Thee trinken."
In einem Winkel der Küche, gegenüber dem Herd, verzehren die Arbeiterinnen an einem langen Küchentisch, auf dem ein großer Samowar, Tassen und Gläser stehen, ihr armseliges Frühstück. Wenn's nicht so eilig wäre, könnte man sich vielleicht ein paar Würstchen kochen, das wäre mal schön!" sagt Katja, sich halb fragend an Lisa wendend.
" Was nicht noch? Sie haben doch gehört, was sie zu mir gefagt hat? Da ist gerade Zeit, Würstchen zu kochen! Die ganze Seele hastet man sich bei dieser Arbeit aus dem Leibe; fast zwei Taillen müssen tagüber fertig werden, und noch immer nicht genug! Wie fann man da an sich denken?"
Schnell schlucken die Arbeiterinnen ihren heißen Thee herunter. Noch keine zehn Minuten sind vergangen, da sizzen sie, noch die legten Bissen Brot kauend, schon wieder in der Arbeitsstube.
" Im Laden find Damen zur Anprobe gekommen!" stürzt Katja hinein. " Wer zum Teufel hat die so früh hergebracht? Es ist ja noch nicht mal zwölf! Ist Henriette Ludwigowna schon angezogen?" " Ja, sie ist schon im Laden. Sie hat selbst so früh zur Anprobe gebeten Die eine Dame ist eine ganz neue.. zum
erstenmal hier
Bielleicht' ne neue Bestellung? Na das fehlte gerade noch Geh' doch, Manka, horch' ein bißchen!" Warte! Ich muß ohnedies das Chemisett auf der Puppe anheften, da höre ich gleich," sagt die älteste Arbeiterin, ihren Platz berlassend und über die Bank steigend, um die neben ihr sigenden Arbeiterinnen nicht zu stören.
Wo ist das Centimetermaß? Der eine Rod ist zu lang, muß firzer gemacht werden!" ruft, aus dem Laden hereinstürmend, ein Lehrmädchen.
" Nimm, nimm, da liegt es ja!... Also das ist die erste Aenderung!"... sagt seufzend die Rockarbeiterin Sascha.
„ Der Teufel hol's! Ich werfe alles hin und gehe! Eine neue Bestellung! Sie läßt sich, weil's so eilig ist, 25 Rubel bezahlen; dafür müssen wir dann alle Nächte bis zu den Feiertagen durchsißen und bekommen nichts, gar nichts 1" hört man plöglich die erzürüte Stimme der wiedereintretenden Arbeiterin.
Ist das Heliotropkleid nicht zu ändern, Lisa?" Nein, alles in Ordnung. Nur am wollenen Kleid muß der Rock filrzer gemacht werden." Da flingelts schon wieder! Es ist zum Verrücktiverden heute! Wahrscheinlich nach dem blauen Kleid. Ist der Rock fertig, Sascha!"
Nadja?"
" Ja, Nadja macht ihn gerade zu Ende.... Bist Du so weit Ich nähe eben den letzten Haken an, dann bleiben nur noch die Pufhänger." Wißt Ihr schon das Neueste? Der Radmantel ist verdorben! Alle Heftfäden sind auf dem Plüsch zu sehen 1 Madame hat bloß so
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,, Anjutka, Anjutta, was hast Du angerichtet?! Wie hast Du denn ausgezogen? Einfach ausgezogen wohl, ja?"
„ Man hat mich doch gelehrt, die Heftfäden immer ganz auss zuziehen," sagt unter Thränen die am ganzen Körper zitternde Anjutka.
„ Herr Gott! Wie kann man deur aus Plüsch Heftfäden ganz ausziehen! Der Faden muß bei jedem Stich durchgeschnitten werden, damit er nicht über den Plüsch gezogen wird!"
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" Ich w... w... wußte das ja nicht!" schluchzte Anjutka. Da tlingelt's schon wieder. Jetzt gehen die Damen, gleich wird " sie" erscheinen ( Schluß folgt.)
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Kleines Feuilleton.
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bei unseren Damen die Klage über rote Nasen, und manche gefallNote Nasen. Mit der rauhen Jahreszeit mehrt sich wieder der natürlich nicht in der Lage ist, mit der erwünschten Schnelligkeit süchtige Schöne wird jezt zu einer wahren Plage für ihren Arzt, Schäden auszugleichen, welche eine langjährige Unvernunft veranlaßt Schleiers bei uns geworden, und wenn unsre Frauen durch das voll hat. Denn eine solche ist die ursprünglich orientalische Sitte des kommen zweckloje Tragen eines Schleiers die Gesichtshaut vers weichlicht haben, mögen fie sich auch nicht wundern, wenn bei tälterem, windigem Wetter, besonders bei faltem Regen und Schnee, die den Schleier durchnässen, die Haut auf Wangen und Lippen springt, und die Nase als unerfreuliches Thermometer fich rötet. Aber auch direkt eruste Erkrankungen, so schreiben die Blätter für Volksgesundheitspflege", fann ein Schleier veranlassen, und so manche schwere Gesichtsrose ist allein darauf zurückzuführen gewesen, daß beim Färben des Schleiers schädliche Stoffe Verwendung gefunden hatten. Ganz thöricht ist es schließlich, wenn als Schleier nicht nur gleichmaschiges dünnes Gewebe benutzt wird, sondern wenn man dazu mit Arabesten verzierte oder mit Tüpfelchen versehenen Mull wählt. Durch diese Beeinträchtigung seines Sehfeldes kann das Auge ernstlich Schaden nehmen, und gilt das vor allem für die in der Entwicklung begriffenen Mädchen, die sich auf eine solche Weise leicht das Schielen oder wenigstens den sogenannten„ falschen Blick" angewöhnen. Wir brauchen weder im Sommer noch im Winter einen Schleier, dessen angebliche Verhütung von Halskrankheiten mindestens eine zweifelhafte ist, und wer ohne Schen sein Gesicht jeder Witterung aussetzt, wird zum Lohn dafür die schönsten und reinsten Gefichtsfarben aufzuweisen haben, weil feine Hautgefäße nicht ihre zusammenziehende und erweiternde Kraft verloren haben, und damit der Haut die Anpassungsfähigkeit an jede Witterung er halten worden ist. Blasse, welke Gesichter, spröde Haut und rote Nasen rühren oft nur von dem gewohnheitsmäßigen Gebrauch eines Schleiers her, den deshalb unsre Damen möglichst bald in ihrem eigenen Interesse aus der Liste ihrer Toiletteartikel streichen sollteir.
Theater.
Deutsches Theater . Die Jüdin von Toledo. Historisches Trauerspiel von Grillparzer.- Das halb vers geffene Stück Grillparzers ist schon seit Jahren in den Spielplan des Deutschen Theaters aufgenommen. Joseph Kainz und Agnes Sorma Faben in den beiden Hauptrollen Triumphe gefeiert. Aber damit, daß die Tragödie großen schauspielerischen Individualitäten mannig fache Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Darstellerkunst gewährte, sind auch die Vorzüge der Dichtung in der Hauptsache erschöpft. Die Glut der Leidenschaften, die wir auf der Bühne sehen, läßt uns selbst talt. Es fehlt die fiegende Macht, die Fülle der Phantasie, welche die Illusion in den Herzen der Zuschauer heraufzwingt. Mit lugen Wendungen, wohl überlegt wird die Fabel eingeleitet, entwickelt und einem äußerlich befriedigenden Abschluß zugeführt, aber an diese kluge Ueberlegung wird man eben überall erinnert. Nirgends, trop so mancher fein beobachteten Charakterzüge und Nuancen etwas, das mit der Gewalt einer genialen Intuition überraschte, das aus der