Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 253.
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tot
Dienstag, den 31. Dezember.
( Nachdruck verboten.)
Sie hielt inne und sah ihn bedeutungsvoll an. Er trat ans Fenster, seine Verlegenheit zu verbergen.
,, Weil wir gerad' davon schwähen," fuhr sie fort, ich müßt' ja falsch sein, wenn ich Dir's nicht ins Gesicht fagen thät, wie Du Dich an mir versündigt hast. Ez sein's bald zwei Jahr, daß Du fortgemacht bist. Sell hab' ich gedenkt, Du müßt' mich kennen, daß ich mich vor Dir nur aufnesselt hab' und sonst vor keinem mehr auf der Welt. Ja, sein dann die Weibsleut allegar liederlich, daß kein Mannsbild so was glauben darf? Guck, wärst Du nicht so treulos gewest, das Bubchen hätt mir nix gemacht. So hoch hätt' im mein' Stopf getragen!"
Sie stand auf, und eine entschiedene Haltung hob ihre schlanke Gestalt. Unwillkürlich wandte er sich um, und ihre Blicke begegneten sich.
„ Christine," bekannte er offenherzig, ich bin kriminalisch schlecht gewest."
"
Du hast keine Ahnung," sprach sie weiter und ihre Stimme dämpfte ein schmerzlicher Slang, wie mir's gewest ist in den zwei Jahr'. Guck, wann eins ein Mekgermesser nimmt und stößt mir's afrat in die Brust,' s kann nicht so weh thun, wie mein Brast. Und daß Du's nur weißt, ich hab' Dich verflammt und verflucht und" setzte sie schamhaft errötend hinzu, hab' mich während dabei erwischt, daß ich Dich doch noch lieb haben that."
-
Er zog sie beseligt an seine Brust und beteuerte:
So wahr Gott im Himmel ist, ich mach's wieder gut!" „ Das hoff' ich," sprach sie vertrauensvoll.
Eine Weile genossen sie stumm ihr Glück, dann sagte er: Ich hab' mir das so ausgedenkt. Du sollt'st zuerst mit
dem Vater reden."
Jakob, ich denk', wir reden beidsammen."
Er runzelte die Stirn.
" Ich fürcht' halt, er wird kollerig."
,, Dein Vater ist kein unguter Mann."
XI.
1901
Hoch in den Lüften kreist ein Schwarm von Krähen. Schnell wie die Windsbraut stoßen ihrer zwei auf frisch bestelltes Ackerland herab. Mit hörbarem Brausen folgt der ganze Flug. Die schwarze Legion bedeckt den lockeren Grund und macht sich über die Wintersaat her.
Dem Bauersmann sind die Krähen verhaßt, was man ihm auch von ihrem Nußen vorpredigen mag. Er weiß, sie wackeln hinter dem Sämann her und lesen die leckeren Fruchttörner auf. Spricht die Obrigkeit ihr Placet aus, so wird das Krähenschießen zum Fest.
Am Saum des Gemeindewaldes, vom Stamm einer mächtigen Kiefer gedeckt, steht der Flurschüz, das Gewehr im Anschlag.
Jezt drückt er Ios.
Zwei Räuber bleiben tot auf der Stätte. Die übrigen ergreifen die Flucht, aus der Höhe klingt ihr frächzendes Kroa.
Der Flurschüß lädt aufs neue sein Gewehr, freilich nur dem Jägerbrauch folgend, denn er kennt die Krähen als schlaue Patrone. Zum Schuß wird er diesen Morgen kaum wieder kommen.
Gemächlich nähert er sich dem Feld und bindet die Jagdbeute zusammen: zwei alte, feiste Gesellen, das Gesicht vom Bohrgeschäft federlos. Die haben mancherlei auf dem Gewissen. Nun hat sie ihr Verhängnis ereilt.
Der Flurschüß überschreitet die Gewann und begiebt sich hinunter zum Hollerbach. Am Uferrand läßt er sich langsam nieder. Er ist seit Tagesgrauen auf den Beinen, da thut ein wenig Ruhe gut.
Der Platz ist ihm gar wohl vertraut. Hier hat er oft als Kind gesessen, der Gänsehannes neben ihm.
Hannes, Bopannes,
Was machen die Gäns? Sie figen im Wasser
Und puddeln die Schwänz."
Der Gänsehannes erzählte Geschichten, von Nöcken und Niren, wunderbar. Und das Wasser rauschte so seltsam dazu, da konnte man das Gruseln lernen. Der Jugendfreund ist lang schon tot, und die Nöcken und Niren auch. Nur das
" Ja schon, aber wo ich so jähling komm'. Und auf den Wasser rauscht wie jenesmal.
Stuber noch unser Sach'."
Jch fenn' Dein' Vater," ermutigte sie ihn.„ Der schäumt gleich auf und donnert los. Et wann er's verworgt hat, giebt er nach."
Er hegte doch noch mancherlei Zweifel, ob alles gut verlaufen werde. Sie meinte, er sei so lang draußen gewesen, daß ihm der Vater fremd geworden. Sie erzählte, wie sie's angefangen, daß der Flurschüß sie niemals angeschnauzt habe. Wer ihn nur recht zu nehmen wisse, der könne ihn um den kleinen Finger wickeln, denn im Grund habe er ein treues Herz und mute niemand Unbilliges zu. Das verdeutlichte sie an allerlei Zügen, die sie bei ihm beobachtet hatte.
Jm Dorfe läutete es zehn Uhr. Was mochte jetzt die Christine schaffen? Wahrscheinlich war sie in ihrer Kammer und packte ihre Siebensachen. Daß sie heute Abschied nahm, war ausgemacht, wie er fie fannte. Danach ging sie wohl in die Stadt zurück und that sich nach einer Stelle um. Das Mädchen gab einem Rätsel auf. Sie brachte sich lieber fümmerlich durch, als daß sie behäbig im Wohlstande lebte. Oder waren ihr die Mannsleute allesamt ein Greuel? Dem widersprach ihr leibliches Kind. Der Schnappersgritt Rede nach hatte sie's von einem Infanteristen, der längst über alle Berge war. Sein Name war nie über ihre Lippen ge tommen. Und doch bedachte man's genau, gab's für ihr Thun nur eine Deutung: der Soldat hatte sell es ihr angethan, daß sie ihn nimmer vergessen konnte. Wahrhaftig, das mußte ein Mordskerl sein!-
-O
Jakob wunderte sich ein über das andre Mal, wie erzgescheit die Christine war. Wenn die's darauf anlegte, feinen Vater herumzukriegen, da mußte er die Segel streichen. Wenn man unter den Weibsleuten Umschau hielt, es gab Das Bild des Flurschützen, das er sich in düsteren Farben nicht viele wie die Christine. Er hatte seine Freude an ihr ausgemalt, erschien ihm gemach in freundlicherem Lichte. gehabt, ja daß er sich's nur eingestand, er war bis über die Seine Besorglichkeit wich einer beruhigten Stimmung. Nach Ohren in sie verschossen. feiner Art entwarf er Zukunftspläne, fezte sich aufs hohe Pferd und überließ sich einer großen Fröhlichkeit.
Juchhe! Martini muß Hochzit sein!"
Vergangene Woche hatte ihn der Balthasar Röckel geladen. Sie probierten den neuen Aepfelwein und saßen, als hätten sie Bech an den Hosen. Er hatte ein bißchen viel ge
Jubelnd hob er Christine in die Höhe, setzte sie auf seinen trunken. Um Mitternacht trat er in seine Hofraithe ein. Da Schoß und herzte sie, daß ihr der Atem verging. " Jakob, Du bist nicht recht flug," wehrte sie. Ihre Zurückhaltung steigerte seine Leidenschaft.
Er preßte sie an sich und bedeckte ihren Mund mit brennenden Küssen.
Sie stemmte die Arme gegen seine Brust und stammelte angstvoll:
" Jakob, lass' ab!"
Seine wilde Sinnlichkeit riß ihn mit fort.
Sie widerstrebte ihm mit aller Straft.
So kämpften sie einen heißen Stampf.
überkam ihn unbändige Jugendlust. Und accurat wie die jungen Burschen thaten, holte er die Leiter aus der Scheuer herbei, Sproffen hinauf. stellte sie unter der Christine Fenster und stieg behende die
Steh auf, du waderes Mädelein, Komm, laß mich zu Dir herein."
Droben regte sich nichts. So frabbelte er bedumpft herunter und stellte die Leiter an ihren Ort. Am andern Morgen hielt er Einkehr bei sich. Der Teufel sollte den Aepfelwein holen. Der hatte ihn zu dem Streich verführt.