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( Nachdrud verboten.)

Taft uns Kinder werden! Laßt uns Kinder werden, aber ganz im Ernst: laßt uns Kinder werden! Die Kinder haben es heutzutage so gut! Es ist nicht zu fagen, wie gut fie es haben. Sie sind die Helden des Tages, der Pol, um den sich das Leben dreht. Alle Welt sorgt für sie, alle Welt denkt an sie. Glückliche Kinder!

Nicht bloß füße Süppchen tocht man ihnen, man schenkt ihnen nicht mur Puppen und Bleisoldaten, man läßt sich auch ihre Erziehung angelegen sein. Das hätte man auch sonst schon gethan? Na ja, gewiß doch, aber fragt mich nur nicht wie! Man hat die Jungens geprügelt, wenn fie fich Löcher in die Hosen rissen, man lehrte die Mädchen Strümpfe striden und wenn es hoch kam auch noch Kanten häkeln. Prügel bekommen die Jungens auch heut noch, wenn sie Löcher in die Hosen reißen, denn Löcher flicken ist keine schöne Arbeit, aber Strümpfe stricken lernen die Mädchen nicht mehr. Erstens sind die gewebten viel billiger, man tauft sie schon für sechs Dreier das Paar, und dann sieht Stricken chinesisch aus; das hat schon der große Jbsen gefunden, und was der findet, muß wahr sein, denn er ist ein künstler. Kunst" aber heißt das Feldgeschrei, mit dem man heut auszieht für das Kind.

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Kunst für das Kind, Poesie für das Kind, Theater, Malerei, Blaftit, alles fürs Kind! Und die Dichter setzen sich hin und dichten für das Kind und sie dichten sogar in der Kindersprache. Statt Vögelchen sagen sie Vöselien" und statt Mädchen: Mädsen". Und die Maler malen für das Kind, sie malen Jugendstil und Secession. Die Theaterdirektoren geben Borstellungen für Kinder, und die großen. Schauspieler und Schauspielerinnen, die sonst nur Ophelia und Hamlet spielen, setzen sich hin und lesen Märchen und Mag und Moriz" und verkleiden sich als Miez und Mauz, als Karo und Phylax und bellen und mianen alles fürs Kind. Sogar die Berliner Stadtverordneten nehmen teil an der allgemeinen Bewegung.

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Große Sigungen halten sie ab für das Kind. In heißer Nede und Widerrede fämpfen sie für den Märchenbrunnen, daß er nur ja recht findlich werde, von Grund aus findlich. Und sie prüfen Pläne und Entwürfe und verwerfen Bläne und Entwürfe. Was fte heute schön gefunden haben, finden sie morgen nicht mehr schön, aber darüber kann man ruhig sein: zur Ausführung fommt bestimmt nur der Plan, der am findlichsten ist, am aller allerkindlichsten.

Kindlich" ist Trumpf in der modernen Kunst.

Es sind noch keine zwei Jahre her, da hieß das allgemeine Schlagwort fin de siècle "; fin de, SiefGtel", sagte der schnoddrige Berliner . Jeder Auswuchs in Kunst und Leben, der Dirnenroman und das Lindengigerl, die Frauentracht und der pessimistische Dichter: alles und jedes war fin de siècle .

Aber schließlich geht alles vorüber.

Auch das Ende des Jahrhunderts fand sein Ende, und wir be­famen die Secession, den Uebermenschen und das Ueberbrettl, die Ueberkunst, die Höhenkunst. Jetzt, da alles lleber" allmählich an­fängt, den Modeschwärmern wirklich über" zu werden, jetzt besinnt man sich auf das Kind.

Prachtvoll ist diese Rückkehr zum Kinde.

Neben Maeterlinks Träumen und D'Annunzios Farben­schwelgereien, Hundetheater und Kaßenscenen. Reben den schatten Haften Bildern der Secession, der Kampf um das beste Bilderbuch. Die Kunst den Kindern! Sie haben bisher ja auch keine Stunft gehabt die armen Kleinen!

Märchen hatte man ihnen zu lefen gegeben, einfache Volts­märchen. Kein symbolistischer Dichter hat sie geschrieben, kein moderner Lyriker erdacht. Elendes Zeug war es, rohe Voltsdichtung, vom Volt geschaffen, als es selbst noch Kind war. Ist das vielleicht

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Woche hält er eine große Rede im Verein, für künstlerische Jede Ausstattung der Schulzimmer plaidiert er, für stilgerechten Wands schmuck in den Kinderstuben, für künstlerische Bilderbücher, für künstlerische Lektüre. Kunst für das Kind, das ist auch seine

Losung.

Und all die eleganten, gepußten Mamas, die andächtig seinen orten lauschen, klatschen Bravo , wenn er fertig ist und stimmen ein in sein Feldgefchrei: Kunst für das Kind!"

vollen Wandschmuck für die Kinderstuben. Es sieht ja so schön aus Und dann gehen sie hin und kaufen gute Bilderbücher und stils und ist Kunst für das Kind.

Kind.

Kunst für das Kind ist die Hauptsache," sagte Herr Dottor Lehmann, als er gestern nachmittag bei mir war. Ich sage Ihnen, das Alpha und Omega aller Erziehung heißt: Kunst für das Da tam gerade Lenchen. Lenchen ist nämlich die Welteste vom Portier. Sie sitzt in der zweiten Klasse der Gemeindeschule; sie tam, um Briefe abzugeben." oben bist, Lenchen, sich doch mal auf dem Fensterbrett nach, ob noch Na, Lenchen," sagte Herr Doktor Lehmann, da Du gerade mal ne Meise auf dem Futterplatz sitzt."

" Nee," sagte Lenchen, Maise sin nich da!"

Aber, Lenchen, wer spricht denn von Mäusen! Nach' ner Meist habe ich gefragt. Weißt Du denn nicht, was' ne Meise ist? Kannst Du nicht' ne Meise von' nem Spaß unterscheiden?"

Nee," sagte Lenchen zum zweitenmal, nee, sowat ha'm wa in unse Schule noch nie nich jehabt."

Gräßlich," seufzte Herr Doktor Lehmann, nun verwechselt fie auch noch die Fälle! Gräßlich, diese Gemeindefchüler, nicht eins mal richtig deutsch können sie sprechen! Davon, wie sie's schreiben, will ich gar nicht reden. Aber wo waren wir stehen geblieben? Jal Ach ja, sehen Sie, wie ich Ihnen fage, künstlerische Bilder für die Schule! Nur mit der Kunst werden wir etwas erreichen. Es ja, hm! Es liegt eben alles in dem einen Wort: Kunst für das Kind!" Soweit die Zuschrist, die uns dieser Tage zugegangen. Unfre Leser werden auf den ersten Blick sehen, wo der berechtigte Born in Uebertreibung umschlägt. D. N.

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Kleines Feuilleton.

Die Budickersche. Es war damals, als wir das Brot ferbten; nicht, um unser Heim zu schmücken, sondern aus einem andern Grunde. Am Rande des Scheunenviertels, in einem Keller, aus dem man, wenn man am Fenster saß, genau noch die Knöchel der Vor­überhaftenden erkennen konnte. Vom Wirt sagten sie, er habe einen Lötkolben zwischen Mund und Augen. Beschwert hat er sich nie­mals; weder über die Schreihälse der Koppelfnechte, noch über das Treiben der Chabrusleute, die aus dem nahen Leihhause herüber­tamen, um unter sich ihre letzte Auktion abzuhalten; nahm nur immer und immer wieder einen Kleenen, der Gute, die Reihe durch, alle 64 Flaschen, damit er auch wußte, was er seinen Gästen vorjette: ein stiller Märtyrer feines Diensteifers und Pflichtgefühls. Das Sie stammte schlagende Herz der Kneipe war die Wirtin. Aber eine Wachtel. aus Schlesien , also schlug sie. Wie eine gewöhnlich erst nach dem Abendessen. Bei Weißbier mit Himbeer. hinten, au einem runden, blizblanken Tisch saßen die Stock Jungs gefellen und freuten sich, daß ihnen jemand das Reden abnahm.

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Zwei surrende Gasflammen waren weniger galant, aber die man und zu

Ammeureime waren es, Reime, die schon Urähne ihren Kindern summite! Kein Böselsen" und kein Hündsen" kamen drin vor, kein Fizebuze und fein fleiner lieber Dott". In ganz gewöhnlichem Deutsch drückten sie sich aus, im Deutsch der Großen. Soll das etwa Kunst sein? Und endlich die Bilderbücher! Na ja, die Bilder bücher!

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Aber jetzt wird das anders werden, jetzt schafft man den Kindern ihre Kunst, die Kinderkunst. Sie haben sie so nötig. Furchtbar nötig haben sie die Kunst, deshalb her mit der Kunst für das Kind! Das Kind braucht die Kunst. Es soll in Kunst erzogen werden, Kunst sehen, Kunst hören lernen. Kunst ist den Kindern so nötig, wie das liebe Brot. Die Kunst öffnet das Auge für nie geahnte Schönheiten, fie schärft das Ohr für die leisesten Harmonien, fie reißt die Simme empor aus dem Getriebe des Alltags, freier, reiner macht fie die Seele. Was ist der Mensch, der nichts von Kunst versteht? Ein Jammerlappen ist er; er kann nicht mal ein Ueberbrettl von einem Brettl unterscheiden.

Und darum soll das Kind Kunst lernen, und darum heißt das Schlagwort der neuesten Zeit, das Schlagwort von heut bis über­morgen: Kunst für das Kind!

Es ist ein gutes Schlagtvort, ein brillantes Schlagwort, ein Wort, das alles ausdrückt, was unsre Zeit an ethischen Forderungen aufzustellen hat. Herr Doktor Lehmann findet das auch.

Herr Doktor Lehmann wohnt drüben jenseits des Platzes; er gehört zum Verein für Voltserziehung, er hat ihn sogar, glaube ich, felbst gegründet, zusammen mit Herrn Dottor Schulz und Herrn Doktor Meyer. Herr Doktor Lehmann ist sehr für Voltserziehung, für gute Erziehung, für die Erziehung zur Kunst.

Ab

ging auch einmal die Tochter der Wirtin durch den Raum. Aus der Nebenstube in die Küche oder umgekehrt. Dann knackte an dem runden Tisch ein Stuhl, oder der Sand knirschte unter einer hart aufgesetzten Sohle. Gott ja, wer weiß denn, was in so einem Jung­gesellen Herzen vorgeht!" In der Nationalgalerie hängt oder hing das Bild einer jungen Frau. Um das blaffe, etwas volle Gesicht wellt fich dichtes, aschblondes Haar; große, runde Augen sehen Dich an; ein roter Schmuck vorn auf der Brust.

Vor einigen Tagen ging ich nach der Markthalle, um einen Stod fisch zu kaufen. Aus den Leuten redete schon die Weihnachtsfrende; jedes Mundwerk wie geölt. Ich schlenderte durch eine Gemüse- Gasse. Da... dort vor der roten Krautkopf- Wand war das nicht meine Aschblonde?! Im ersten Augenblic gab es mir einen Niß, als hätte man mir dünnen Redaktions Kakao eingegossen. Dann Sieb begann ich an den Fingern zu zählen. Nicht möglich! zehn, beinahe achtzehn Jahre! Die lange, lange Zeit. Aber!... Das Licht konnte ja täuschen!. Oder etwas andres... Ein Dickes, Rundes, Kugeliges, das in einem weiten, fchwarzen Theatermantel stat, versperrte mir die Gasse. Ich mußte eine Seitenbewegung ausführen. Endlich sah ich das liebe Gefichtchen wieder. Es schien aber mit einem Male etwas breit geworden zu er gea sein, faft schlapp, und die Augen müde. Noch ein Blick nügte.

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Gnädige Frau, gestatten, daß damals im Keller... Am Abend, wenn die Frau Multer

Ein heller Schein flog ihr über das breite Gesicht. Sie sind es?!... Gehr erfreut!" Sie wies nach der Kohl- Wand.