Anterhaltungsblatt des Vorwärts

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Dienstag, den 28. Januar.

( Nachdrud verboten.

Joma Gordjejew.

1902

brummte seinem Nachbar etwas als Antwort zu, indem er sich den Anschein gab, mit dem Essen beschäftigt zu sein, und wünschte, das alles wäre schon zu Ende. Er kam sich arm­selig, dumm und lächerlich vor und war sicher, daß alle ihn beobachteten und ihn bekrittelten. Das legte ihm

Roman von Maxim Gorki . Deutsch von Klara Brauner unsichtbare Fesseln auf und ließ ihn weder. sprechen

Aber warum sprechen Sie so?" sagte die Frau vor wurssvoll, und indem sie etwas an ihrem Kleide ordnete, strich sie wie zufällig über Fomas herabhängende Haud, in der er seinen Hut hielt, worauf dieser seine Hand ansah und ver­legen und freudig lächelte.

Sie werden doch am Essen teilnehmen?" fragte Medinskaja.

" Ja."

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"

Und morgen sind Sie bei meiner Sigung?" Gewiß!"

noch denken. Endlich geriet er in einen solchen Zu­stand, daß die Reihe der verschiedenen Gesichter, die sich ihm gegenüber den Tisch entlang zog, ihm ein langer, wellenartiger, weißer Streifen mit Tupfen von lachenden Augen zu sein schien, und alle diese Augen stachen ihn quälend.

,, Vielleicht kommen Sie auch einmal so, einfach zu ihn wie ein Ochse mit mit beharrlicher Aufmerksamkeit Besuch, ja?"

" Ich... danke Ihnen! Ich werde kommen!" Sie schwiegen. In der Luft schwamm die andächtige, Teise Stimme des Erzbischofs, der ausdrucksvoll das Gebet sprach, indem er seine Hand über die Stelle der Grundstein­legung des Hauses ausstreckte. Weder Wind noch Wasser noch sonst etwas soll es schädigen: walte über den Bau und behüte alle, die darin leben werden, vor jedem Leid..."

,, Wie inhaltsreich und schön unsre Gebete sind, nicht wahr?" fragte Medinskaja.

" Ja," sagte Foma kurz, ohne ihre Worte zu verstehen, und fühlte, daß er wieder errötete.

" Sie werden immer die Gegner unsrer kaufmännischen Interessen sein," flüsterte Majakin, der mit dem Bürgermeister neben Foma stand, laut und überzeugend, Was macht das Ihnen? Ihnen kommt es nur darauf an, von irgend einer Zeitung gelobt zu werden, und das Wesentliche können sie nicht verstehen. Sie leben nur fürs Aeußerliche und nicht um das Leben zu ordnen... Ihr Maßstab ist Schweden und die Zeitungen! Der Doktor hat mich gestern die ganze Zeit mit Schweden gestichelt; er sagt, die Volksbildung in Schweden und alles andre dort sei ein Muster! Was ist aber Schweden ? Vielleicht ist dieses Schweden nur etwas Ausgedachtes und wird nur als ein Beispiel angeführt... und die Bildung und alles übrige existiert dort gar nicht. Wir leben ja auch nicht für dieses Land, und es kann uns feiner Prüfung unter ziehen... wir müssen unser Leben unserm Leisten anpassen. Ist's so?"

Und der Protodiakon summte mit zurückgeworfenem Kopfe:

Ewiges Gedächtnis dem Gründer dieses Hauses!" Foma fuhr zusammen, doch Majakin stand schon neben ihm und fragte, indem er ihn am Aermel zupfte: Gehst Du zum Essen hin?"

"

Und das sammetweiche, warme Händchen der Medins­taja glitt wieder über Fomas Hand.

Das Essen war für Foma eine wahre Folter. Er befand sich zum erstenmal im Leben zwischen so eleganten Leuten und sah, daß sie beim Essen und Sprechen alles besser machten als er, und er fühlte, daß ihn von der gegenübersißenden Me­dinskaja nicht der Tisch, sondern ein hoher Berg trennte, Neben ihm saß der Sekretär des Vereins, in den Foma als Ehrenmitglied gewählt worden war es war ein junger Beamter, der Uchtischtschew hieß. Er sprach mit einem hohen. flangvollen Zenor, und dick, flein, rundwangig, wie er war, und dabei ein lustiger Plauderer, erinnerte er an eine neue Schelle.

-

Das Beste in unserm Verein ist die Vorsitzende, das Vernünftigste, was wir darin thun, ist, unsrer Vor­fißenden den Hof zu machen, das Schwerste ist, unsrer Vorsitzenden ein Stompliment zu sagen, das sie befriedigen könnte, und das Gescheiteste ist, die Vorsitzende schweigend und ohne Hoffnungen zu bewundern. So daß Sie eigentlich tein Mitglied des Vereins für Armenpflege und so weiter sind, sondern ein Mitglied des Vereins der Tantalusse, die im Dienst von Sofja Medinstaja stehen."

Majakin saß neben dem Bürgermeister, drehte die Gabel schnell in der Luft hin und her und sprach auf ihn ein, indem er feine Runzeln spielen ließ. Der Bürgermeister, ein grau­haariger, rotbackiger Mensch mit einem furzen Hals, blickte an und klopfte ab und zu bejahend mit dem Daumen auf die Tischkante. Die animierte Unterhaltung und das Lachen übertönten die laute Rede des Paten, und Foma konnte kein einziges Wort davon hören, um so mehr, als in seinen Ohren unablässig der Tenor des Sekretärs flang: Sehen Sie, jetzt hat sich der Protodiakon erhoben und lädt seine Lunge mit Luft... er wird gleich Ignat Matwjeitſch eine Seelenmesse halten."

"

,, Könnte ich nicht fortgehen?" fragte Foma leise.

Warum denn nicht? Das werden alle begreifen." Die schallende Stimme des Diakons übertönte und zer­drückte gleichsam den Lärm im Saal; die angesehene Kauf­mannschaft starrte entzückt in den großen, weiten, offenen Mund, aus dem sich die tiefen Töne ergossen. Foma be­nügte diesen Moment, erhob sich vom Tisch und verließ den Saal.

Nach einer Minute saß er, frei aufatmend, in seinem Wagen und dachte besorgt daran, daß er zwischen diesen Herren nicht an seinem Platz sei. Er nannte sie im Geiste geleckt, ihr Glanz mißfiel ihm, ihm mißfielen ihre Gesichter, ihr Lächeln, ihre Worte, aber die Freiheit und Geschicklichkeit ihrer Bewegungen, ihre Fähigkeit, über alles und viel zu sprechen, ihre schöne Kleidung, das alles erregte in ihm ein Gemisch von Neid und Achtung ihnen gegenüber. Das Be­wußtsein, daß er nicht so leicht und so viel zu sprechen ver­stand wie alle diese Menschen, drückte ihn und machte ihn traurig, und er erinnerte sich dabei, daß Ljuba Majakina ihn mehr als einmal deswegen ausgelacht hatte.

Foma liebte Majakins Tochter nicht, und nachdem er von Ignat von dem Vorhaben des Paten, ihn mit Ljuba zu verheiraten, erfahren hatte, begann er sie selbst zu meiden. Doch nach dem Tode des Vaters kam er fast täglich zu Majakins, und eines Tages sagte Ljuba zu ihm:

" Ich schaue Dich an, und weißt Du was? Du sichst einem Kaufmann gar nicht ähnlich."

Auch Du siehst nicht wie eine Kaufmannstochter aus 1" fagte Foma und blickte sie mißtrauisch an.

Er begriff den Sinn ihrer Worte nicht; wollte sie ihn dadurch kränken oder sagte sie das einfach so.

,, Gott sei Dank!" erwiderte sie und lächelte gut und freundschaftlich.

,, Worüber freuſt Du Dich?" fragte er. " Daß wir unsern Vätern nicht ähnlich sehen." Foma blickte sie erstaunt an und schwieg.

"

Sag aufrichtig,"" fragte sie mit gesenkter Stimme, Du liebst meinen Vater nicht? Er gefällt Dir nicht?" ,, Nicht... besonders," sagte Foma langsam. Nun, und ich liebe ihn gar nicht." Warum?"

Für vieles... Wenn Du gescheiter bist, wirst Du es selbst verstehen. Dein Vater war besser."

Und ob!" sagte Foma stolz.

Nach diesem Gespräch bildete sich bei ihnen fast plötzlich eine Neigung zu einander aus, die sich von Tag zu Tag ent­wickelte und bald den Charakter einer etwas seltsamen Freund­schaft annahm.

Foma hörte dem Geplauder zu, blickte hie und da die Ljuba war im selben Alter wie ihr Taufbruder, sie be Vorsitzende au , die eingehend mit dem Polizeimeister sprach, I handelte ihn aber wie eine Erwachseite einen Knaben. Sie