Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 82.

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Der Manksmann.

Sonntag, den 27. April.

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1902

( Nachdruck verboten.). auch von meinem Vater erzählen Gott hab' ihn selig, den trogigen alten Mann, der so streng war und doch gerecht." Eine Gelegenheit bot sich bald dar. Es war spät in der Roman von Hall Caine . Autorisierte Uebersetzung. Nacht, schon sehr spät. Die Frau schlief irgendwo unten ihren Die Frau konnte sich nicht zu hohen Gedanken erheben, Rausch aus, und der Knabe, der in findlicher Unschuld und aber sie war rasch bei der Hand, das gelegentliche stumme Unwissenheit nicht ahnte, wie feierlich der Augenblick war Spiel, worin sie Ausdruck fanden, auf ihre Art auszulegen. machte sich mit geschäftigem Eifer in der Stube zu schaffen Das hätte sie doch nicht von ihm gedacht- nein, wirklich weil er wußte, daß er längst zu Bett sein sollte. nicht, nein! ,, Es ist aber immer so, wenn' ne rechtschaffene, praktische Frau über ihren Stand hinaus heiratet. Man muß sich unverschämt und respektwidrig behandeln lassen! Un­verschämt und respektwidrig, noch dazu von einem, der auf der Welt nichts thut und für jeden Quark verpflichtet ist. O, es ist widerlich, es ist haarsträubend!"

In solchen Ausbrüchen suchte ihre Eifersucht ihn seiner Armut wegen zu höhnen und seiner Trägheit wegen zu schmähen, um ihn die ausgesprochene Bevorzugung des Knaben entgelten zu lassen. Er konnte es mit Geduld hin­nehmen, wenn sie allein waren, in Gegenwart Philipps war es ihm aber Gift und Galle da traf's ihn wie Ruten­und Geißelhiebe.

,, Geh, mein Junge, geh!" lichem Ton und suchte ihn aus ,, Nein!" schrie die Frau.

ein Mann Dein Vater ist."

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sagte er dann wohl in fläg­der Stube zu drängen. Bleib hier und sieh, was für

Und der Vater murmelte in sich hinein:" Dann wird er auch sehen, was für eine Frau seine Mutter ist."

"

Sinabe.

Bin aufgeblieben, Dich zu pflegen, Vater," sagte der

Der Vater antwortete mit einem Seufzer.

Wenn Du was Besonderes brauchst, so rufe mich nur. Hörst Du wohl, Vater?"

Und fort wie der Blik war der Kleine. Doch gleich dar­auf fam er, wie der erste Morgenstrahl, wieder hervor­geschossen. Er trug mit unsicherer Hand einen Aufguß von Mohn und Kamillen, der als Waschung verschrieben worden war.

Bater."

Mohnköpfe, Vater! Mohnköpfe sind gut, glaube mir, Warum bist Du nicht im Bette, mein Kind?" fragte der Bater. Du mußt ja doch müde sein."

"

,, Nein, bin nicht müde, Vater. Ich fühle mich wohl etwas müde, da roch ich nur an die Mohnköpfe, und weg war alle Müdigkeit bis wo der Pfeffer wächst. Ja, Mohn­töpfe find gut."

Der kleine Blondkopf glitt wieder hinweg; der Vater rief ihn aber zurück.

"

,, Komm her, lieber Junge."

Wenn sie aber die beiden so festgehalten hatte und der Knabe sie anhören mußte, ließ der Mann den Kopf auf den Tisch sinken und brach in Schluchzen und Thränen aus. Da Der Kleine trat wieder ans Bett und der Vater fuhr veränderte die Frau plötzlich den Ton, schlang die Arme um ihm mit den Fingern durch das lange glänzende Haar. ihn, füßte ihn und weinte an seinem Halse. Er vermochte Glaubst Du, Philipp, Dich nach zwanzig, dreißig, vierzig sich weder ihrer Schimpfreden noch ihrer Liebkosungen zu er- Jahren, wenn Du ein großer Mann bistja, ein großer wehren, weil er sie trog allem noch liebte. Darin lag das Mann, Kleiner- glaubst Du Dich dann noch an das erinnern eigentliche Grundübel. Ohne die Liebe, die er für sie noch zu fönnen, was ich Dir jekt jagen werde?" im Herzen trug, hätte er sie von sich abschütteln und wieder sein eigner Herr werden können. Er aber machte Frieden mit ihr und erwiderte ihre Küsse, und beide küßten sie dann den Knaben und waren zärtlich, selbst heiter.

Philipp war noch ein Kind, aber er sah das Verhältnis seiner Eltern zu einander, und auf seine Weise begriff er alles. Er liebte den Vater mehr, aber er haßte die Mutter nicht. Sie war gegen ihn fast immer zärtlich. obschon eifer süchtig auf des Vaters größere Liebe und Sorge für ihn und manchmal nur aus diesem Grunde gereizt. Allein die häufigen Streitigkeiten zwischen ihnen trafen ihn schlimmer als Schläge, die doch nur an seinem Leibe Narben zurückgelassen hätten. Er schlief in einem Bettchen in derselben Stube mit ihnen und zog sich des Nachts die Bettdecke über den Kopf mit einem Gefühle von Furcht und körperlichem Schmerz.

"

Ei gewiß, Vater, wenn's' was Wichtiges ist und Du mich nicht selbst daran erinnern kannst. Kannst Du nicht, Vater?"

Der Vater schüttelte den Kopf." Ich werde dann nicht mehr hier sein, mein Junge, ich gehe ja fort

"

" Fort, Vater, fort? Kann ich mitgehen?" ,, Ach, ich wünschte, Du könntest es, mein Junge. Ja, wahrlich, ich wünschte fast, daß Du's könntest."

,, Nun, so nimmst Du mich mit! O, wie froh ich bin, Vater!" Der Knabe fing an im Zimmer herumzuspringen und zu tanzen und auf allen vieren, wie ein Frosch, auf dem Boden nach der Thür zu hüpfen.

Der Vater fiel mit feuchender Brust auf die Stiffen zurück. Vergebens, vergebens! Was nügte es auch, es ihm zu sagen? Vor dem Kinde lag das Leben, vor ihm der Tod. Sie standen nicht auf gleichem Boden, sie sprachen verschiedene Sprachen. Und wie sollte er's übers Herz bringen, den unschuldigen Knaben in sein zerstörtes, beflecktes und mit Narben bedecktes Innere sehen zu lassen.

Als Philipp sechs Jahre alt war, lag der Vater an seiner letten Krankheit darnieder. Die Frau hatte sich damals der Trunkjucht ergeben und war von Stufe zu Stufe herab­gesunken, bis zu völliger Verworfenheit. Es sprach wohl einiges zur ihrer Entschuldigung. Sie hatte beim Glücksspiel Du verstehst mich nicht, Philipp. Ich meine, daß es mit des Lebens den fürzeren gezogen und da Schmach geerntet, mir zu Ende geht. Ja, Herzensjunge, und nur zu gern wo sie Bewunderung erwartet hatte. Eitel und unfähig, würde ich sterben, wenn ich Dich nicht zurücklassen müßte. Ich Unglück zu ertragen, fehlte es ihr an einer tiefen Quelle der habe mein Leben vergeudet, Philipp. Wenn man später vor Liebe, aus der sie hätte schöpfen können, als der Brunnen Dir von Deinem Vater spricht, wirst Du Dich seiner schämen. ihres Stolzes ausgetrocknet war. Wenn ihr Mann sie ein Vielleicht erinnerst Du Dich aber dann, daß er, troß alledem, wenig bemitleidet hätte, würde alles leichter gegangen sein. Dir ein guter Vater gewesen ist; wenigstens hat er Dich Er hatte sie aber nur geliebt und sich ihrer geschämt. Und zärtlich geliebt. Könnt' ich nur hoffen, daß, wenn ich tot bin, jetzt, auf seinem Sterbelager, versiegte die Liebe und die Du meinen Namen wieder zu Ehren brächtest. Willst Du Scham wurde zu Furcht und Grauen. das, Philipp? Nein, weine nicht, Liebling. Hier, hier, füsse

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Er schlief nachts nur wenig und so oft er die Augen mich so! Wir wollen nicht weiter davon sprechen. schloß, murmelten ihm höhnische und vorwurfsvolle Stimmen Auch ist's ja vielleicht nicht wahr, obschon es Vater beständig ins Ohr. gesagt hat. Ja, ja vielleicht doch nicht. Und nun ,, Dein Sohn!" riefen fie. Was wird aus ihm werden? zieh Dich aus und krieche hinein in Dein Bett, ehe Deine Träume Deine hochfliegenden Träume Deemster! die Mutter kommt. Sieh, dort liegt Dein Nachthemd Ballawhaine! Und Gott weiß was! Du mußt nun den unten auf dem Bettchen. Fehlen Knöpfe daran- wirklich? Knaben verlassen wer aber wird ihn erziehen? Die Gleichviel... nur hinein so, mein guter Junge." Mutter? Stell' Dir das bor !" Endlich fiel ein blasser Hoffnungsstrahl in das Dunkel seiner schlaflos ringenden Seele und machte ihn fast glücklich. Ich will mit dem Knaben sprechen", dachte er. ch will ihm meine Geschichte erzählen, ihm nichts verbergen, ihm

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Unmöglich, unmöglich! Vielleicht auch nicht vonnöten. Und doch, wer kann's wissen. So jung der Knabe auch war, fonnte er doch vielleicht das, was er gefehen und gehört hatte, nicht vergessen. Eines Tags bekam es dann wohl auch seine Bedeutung für ihn. So tröstete sich der Vater. Und