Hinterhaltungsblatl des Porwärts Nr. 163. Freitag, den 22. August. 1902 MaSdrock Bsrfioteii.) 83] Dov Msuksmsnn. Nomon von Hall Caine . Autorisierte Uebersetzung. Alles dies kam im Ton dringender Bitte; dann atmete Philipp schneller:„Jemmy, nimm den Wagen von Shimmin und fahre selbst... wenn man in Ramsey das Pferd aus- zuspannen versucht... halte im Gäßchen, das zwischen der Kapelle und dem Ulmenhaus liegt... Im Augenblick, wenn die Tame kommt... Tu hast recht, Käthe, Du kannst nicht länger hier leben... dieses Leben der Täuschung muß enden... Das ist das Krächzen des Nachtraben, der die Schlucht von Ballure hinauf fliegt—" Jem-y-Lord, der das Kopflissen aufschüttelte, ließ es un- geschickt dem Deemster halb übers Geficht fallen und sah Pete voll Entsetzen an. Wollten denn diese grauenhaften Fieber- träume gar nicht aufhören? Wo blieb nur der Doktor? Würde er nicht endlich kommen? Pete war aufgesprungen und blickte betäubt vor sich nieder. Er hatte geglaubt, daß ihm Philipp das Kind geraubt hätte. War es etwa Philipp durch ihn entrissen worden? „Ja, Pete erzählt immer dieselbe Geschichte..... er schreibt Briefe an sich selbst... Ganz einfach und natürlich, auf seine Weise... der arme, alte Pete... er meint's nicht böse... er hat keine Ahnung, daß jedes seiner Worte wie Feuer brennt... Jemmy, setze mir mehr Brandy für die Nacht hin, die Karaffe ist leer—" Pete beugte sich über das Kissen. Plötzlich fuhr er zurück. Philipps Augen standen offen und blickten ihn an. Er konnte sich kaum vorstellen, daß Philipp anders als Auge in Auge zu ihm spräche. „Ich weiß, Philipp, ich weiß," flüsterte der bewußtlose Mann in fliegender Hast; er atmete rasch und laut.„Sag ihm, ich sei tot... ja, ja, das ist's— das ist's.. Grau- sam? Nein, nur gütig...„Die arme Frau." wird er sagen, „ich habe sie einst geliebt, doch hin ist hin!"... Ich wills thun, ich will's thun I" Dann im Tone der Furcht:„Es ist Wahnsinn, Gesichter ins Dunkle zu malen, Stimmen in der Luft zu hören— ist Wahnsinn I" Und nun feierlich, mühsam, mit stockendem Atem:„Dort... dort... an der Mauer—" Große Schweißtropfen standen Pete auf der Stirn. Hatte er nicht geglaubt, von Philipp gemartert worden zusein? Nein, er war's gewesen, der Philipp gemartert hatte. Die Briefe, die Botschaften, die Geschenke— es waren Geißeln und Skorpionen in seiner Hand gewesen. Jedes unschuldige Wort, jeder Blick, jedes Zeichen war ein schmerzender Riemen in dem Marterwerkzeug. Pete fing an, großes Mitleid für Philipp zu empfinden.„Er hat schwer gelitten," dachte Pete. „Er hat dieses Kreuz schon weit genug getragen." „Gute Nacht, Schiffer... ich war zu weit hinaus- gefahren... doch Gott sei gedankt, ich bin wieder zurück—" Diese Worte klangen heiter, froh und hoffnungsvoll; dann folgte im Tone tiefster Trmrer:„Leb' wohl, Philipp, alles ist meine Schuld— ich habe das Herz des einen Mannes gebrochen und verderbe die Seele des andern... ich lasse Dir diese Haarlocke... es ist alles, was ich Dir lassen kann... Lebe wohl! Ich hätte schon längst gehen sollen, doch wirst Du mich deshalb nicht hassen—" Die letzten Worte wurden abgebrochen gestammelt, als wollten sie ihm im Halse stecken bleiben. Dann kam rasch, doch mit schwerem Atem der Ruf:„Käthe, Käthe, Käthe!" wieder und wieder, erst in einem lauten, fleheirden Aufschrei, und dann nach und nach in langer Wehklage hinsterbend. Jem-y-Lord hatte sich nach der Thüre zurückgezogen; er rang die Hände wie ein Weib und flehte zu Gott, daß der Deemster nie aus seiner Bewußtlosigkeit erwachen möchte. „Er hat ihm alles verraten," dachte Jem.„Der Mann wird ihn umbringen." „Ich bin zwischen sie getreten," sagte sich Pete.„Sie war nicht für mich bestimmt. Sie gehörte nicht mir, fondern ihm." Die Bitterkeit war aus Petes Herzen geschwunden.„Und doch hätte ich gewünscht— doch was nützt alles Wünschen?" murmelte er mit gebrochener Stimme, sank auf den Schemel und bedeckte sich das Gesicht mit den Händen. Philipp hatte den Kopf erhoben und stützte sich auf den Ellenbogen. Er sah mit glasigen Augen in die leere Lust, als ob er ein Bild vor sich sähe. „Ja... nein... ja... sagt mir das nicht... das soll Käthe sein?... Es ist ein Irrtum... das ist nicht Käthe... dieses bleiche Gesicht... die hohlen Augen... das elende Weib... auch ist Käthe tot... sie muß ja tot sein— was geht denn mit den Lampen vor?... sie löschen ja aus... obendrein auf der Anklagebank und vor mir... sie dort und ich hier... sie die Gefangene, ich der Richter!" Dies alles rief er in heftiger Erregung und streckte dabei den Arm über Petes gebeugten Kopf aus. „Wenn ich nur ihre Stimme hören könnte... vielleicht wüßte ich dann... o... ich falle... ich sinke um... es ist Käthe, ja. Käthe... o, o!" Philipp hielt ein paar Sekunden inne, als lausche er auf eine Stimme; dann stieß er einen gräßlichen Schrei aus, schloß die Augen und sank auf das Kissen zurück. „Was wird er nun thun?" dachte Jem-y-Lord an der Thür und steckte den Kopf vor.„Soll ich um Hilfe rufen?" Pete hatte die Haarlocke unter seinem Fuße vom Boden aufgehoben und legte sie zurück auf Philipps Brust. „Es steht nichts zwischen ihnen als ich," dachte er,„nur ich allein." „Setzen Sie sich, Herr!" rief jetzt der bewußtlose Mann. Es war nur der letzte Ausbruch des Fieberwahns, doch Pete zitterte und wich zurück. Dann stöhnte Philipp, und feine blauen Lippen zuckten. Er öffnete die Augen. Sie schweiften rasch über das Zimmer und blieben dann mit einem langen, verstörten Blick starr auf Pete haften. Petes eigne Augen waren zu voll von Thränen, um klar sehen zu können, doch bemerkte er gleich- wohl, daß eine Veränderung eingetreten war. Sein Herz klopfte vor Erwartung, und er sah mit ungefälschter Freude auf Philipp herab. Einen Augenblick war alles still, dann hauchte Philipp kaum hörbar:„Was ist... Wer ist das... ist es Pete?" Pete stieß einen Freudenschrei aus:„Er ist wieder bei sich... er ist zu sich gekommen." „Was denn?" fragte Philipp hilflos. „Rege Dich jetzt nicht ans," sagte Pete.«Liege still, mein Junge. Du bist hier in Deiner eignen Stube, und es geht Dir so gut wie nur möglich." „Aber," entgegnete Philipp,„willst Du mir denn nicht..." „Kein Wort weiter, Phil,'s ist nichts. Es ist alles in Ordnung— und Du bist glücklich über den Berg." «Euer Gnaden haben im Fieber gesprochen," sagte Jem-y-Lord. „Still," raunte ihm Pete mit vorgehaltener Hand zu und rief dann in übermütiger Freude:„Willst Du ein Beefsteak, Phil, oder, eine Tasse Thee und einen Hering?" Philipp sah ganz verdutzt aus.„Aber könnt Ihr mir denn nicht helfen?" stammelte er. „Sie wurden im Gerichtshause dhnmächtig, Herr," sagte Jem-y-Lord. „Ach ja!" Es stand ihm alles wieder vor Augen. „So schweigen Sie doch, Sie Dummkopf," flüsterte Pete und versetzte Jem einen heimlichen Rippenstoß. Pete lachte und weinte in einem Atem. In seiner Freude darüber, daß die böse Leidenschaft der- flogen war, gcberdetc sich der große Mensch wie ein Knabe. Er schürte das Feuer zu lodernder Glut an, putzte das Licht mit den Fingern, schrie:„Au weh!" als er sich verbrannt hatte, that einen Luftsprung und schoß dann hierhin und dorthin, wie eine Schwalbe nach einem Regenschauer. Philipp sah ihm zu und verfiel wieder in Schweigen. Ihm war, als kehre er von einer Reise zurück und als müsse während seiner Abwesenheit etwas vorgefallen sein. Das Ge- heimnis, das zu bekennen er sich so lange vergeblich abgemüht hatte, war irgendwie enthüllt worden. Jem-y-Lord schüttelte ihm die Kopfliffen auf.„Weiß er denn?" fragte Philipp.—„Ja," raunte Jemmy ihm zu. „Alles?" „Alles. Sie haben im Fieber gesprochen." »Im Fieber?" stagte Philipp erschrocken.
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19 (22.8.1902) 163
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