Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 172.
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Donnerstag, den 4. September.
Nachdrud verboten.)
( Schluß.)
Das Buch wurde zur Richterbank hinaufgereicht, Philipp unterzeichnete, händigte es dem Sekretär wieder aus und sagte, zu dem Gefängniswärter gewendet:
„ Aber behaltet sie noch im Gewahrsam, bis jemand kommt, sie abzuholen."
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Ein nur halbverständlicher Ausruf, der hinter Philipps Stuhl ertönte, unterbrach ihn.
Ach, glauben Sie nicht, alter Freund, daß ich in leerer Selbstunterschätzung befangen bin. Ich würde vorgezogen haben, mich nicht so genau auszudrücken, was aber sein muß, muß sein. Eure Excellenz hat von meiner fleckenlosen Ehre gesprochen. Wollte Gott , ich wäre rein; ich bin aber leider tief mit Sünde befleckt."
Er hielt inne und strengte sich an, von neuem zu beginnen, doch stockte er abermals. Dann aber sagte er in dumpfem Ton, mit gemessenem Ausdruck, während eine atemlose Stille herrschte:" Ich habe ein Doppelleben geführt. Unter dem Leben, das Sie alle sahen, war noch ein Während dieser Vorgänge hatte eine frostige Stille ge- zweites- Gott allein weiß, wie voll von Uebelthaten und Herrscht. Als sie vorüber waren, holten die Damen wieder frei Unehre und Schande! Es gehört nicht zu meiner Pflicht, Atem. Sie erinnern sich wohl noch des Falles," hieß es- andre mit in dieses Bekenntnis zu verwickeln. Lassen Sie sich die unwürdige Person hatte Mann und Kind verlassen, ist genügen, wenn ich erkläre, daß meine Laufbahn auf Falschseitdem geschieden worden."- ,, Ach ja. War es nicht bei heit und Raub gegründet war, daß ich das Weib betrogen ihrem ersten Verhör, daß der Deemster frant wurde?" habe, das mich aus tiefstem Herzen liebte, und den Mann " Die Männer sind solchen Geschöpfen gegenüber immer zu beraubt, der mir mit ganzer Seele vertraute." zartfühlend."
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Das Volk fing hörbar zu atmen an. Ein Stuhl wurde Philipp hatte sich wieder erhoben. Eure Excellenz, ich hinter dem Sprecher gerückt. Der Kanzleidirektor hatte sich habe zum letztenmal mein Amt als Deemster ausgeübt." erhoben. Sein hochgerötetes Gesicht war heftig bewegt. Seine Stimme war heiser geworden. Er sah erschöpft und Möchte es Eurer Excellenz gefallen," fing er stockend abgezehrt aus. und stammelnd, mit heiserer Stimme an, es wird zur Kenntnis Eurer Excellenz und zur Kenntnis aller auf dieser Insel gekommen sein, daß Seine Gnaden nur eben erst von einer langen und ernsten Krankheit genesen ist, einer Folge von ueberarbeitung und allzu eifriger Ausübung seiner Pflichten und daß thatsächlich nun, um die volle Wahrheit nicht zu verbergen... daß-" daß-"
Die warme Teilnahme des Ergouverneurs war durch den unerwarteten Zwischenfall etwas abgekühlt worden. Dennoch glätteten sich die Pockennarben seiner Stirn und er stand lächelnd auf. In demselben Augenblick trat der Kanzleidirektor herzu und legte zwei Bücher vor ihn auf das Pult- ein Neues Testament in zerriffenem Ledereinband und das Liber Juramentorum, das Buch der Eide.
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Mit ungeheurer Erleichterung atmete die ganze Versammlung auf, und der Gouverneur, der sehr blaß geworden war, nickte zustimmend. Nur Philipp lächelte traurig und schüttelte den Kopf.
nicht aus dem Grunde, welchen Sie angeben." " In der That bin ich frank gewesen," sagte er, aber nicht aus dem Grunde, welchen Sie angeben."
„ Wenn ich auch nur mit stets wachsendem Bedauern," fagte der Ergouverneur, an die Lösung der Bande denten kannt, die mich an diese schöne Insel geknüpft haben, so wird mein Schmerz doch gemildert durch die Befriedigung, mit der mich die Wahl meines Nachfolgers erfüllt, den ich als einen Ehrenmann von gewaltigem Geist und fleckenlosem Rufe kenne. Er wird die selbstherrliche Unabhängigkeit wahren, welche Der Kanzleidirektor sank in seinen Siz zurück. Ihnen aus fernem Altertum überliefert wurde, und gleichzeitig Gericht sitzen sollte, der Augenblick, da sie, die ihre Ehre ver„ Der Augenblick kam, da ich über meine eigne Sünde zu die Treue eines Volkes aufrecht zu erhalten wissen, welches der Strone immer ergeben gewesen ist. Möge der Segen des all- loren, weil sie der meinen vertraut hatte, auf der Anklagemächtigen Gottes auf seiner Verwaltung ruhen und möge er, wenn bank vor mir saß. Jch, der die erste Ursache ihres Unglücks je die Zeit kommt, daß er sich in derselben Lage befindet wie ich gewesen war, faß auf dem Richterstuhl als Richter. Sie beheute, ebenso lebendig fühlen, wie ich es thue, welche treue findet sich jetzt im Gefängnis, und ich bin hier. Dasselbe Hilfe und große Güte er hier erfahren hat. Gleich mir wird Gefeß, welches ihr Vergehen mit Schmach ahndet, hat mich er sich dann nur mit dem tiefsten Bedauern von der kleinen zur Macht befördert." Mantenation trennen, die er dann verlassen wird."
Der Gouverneur ergriff hierauf den Amtsstab und gab das Zeichen, fich zu erheben. Alles stand auf.„ Und nun," sagte er, sich lächelnd zu Philipp wendend ,,, um, wie Sie fagten, alles zu thun, was der Regel entspricht, lassen Sie uns zuerst die Vollmacht Ihrer Bestallung in Empfang
nehmen."
Es entstand eine augenblickliche Stille, dann sagte Philipp mit ruhiger, flarer Stimme:
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Excellenz, ich habe kein Anstellungsdekret. Das Dokument, das ich erhielt, habe ich wieder zurückgeschickt. Ich habe daher fein Recht, als Gouverneur eingesetzt zu werden. Auch habe ich mein Amt als Deemster niedergelegt, und obschon mein Entlassungsgesuch noch nicht angenommen worden ist, bin ich in Wirklichkeit doch nicht mehr im Dienste des Staats."
Im Gerichtshof herrschte eine eisige Nuhe; das erste Licht durchbrach die Dämmerung. Mit dem raschen Instinkt, welcher sich einer Menge in großen Momenten bemächtigt, begriff das anwesende Volt alles die Unlauterkeit des Charakters, der für so rein gegolten, die Nichtigkeit eines Lebens, das sich scheinbar so edel gezeigt hatte.
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Als ich mich nun fragte, was mir zu thun übrig bliebe, fonnte ich nur eins finden. Ich durfte das Richteramt nicht länger ausüben, im Hinblick auf meine eigne Ungerechtigkeit und auf die höheren Schranken, vor denen ich einst selbst stehen würde. Ich mußte aufhören, Deemster zu sein. Doch dies konnte mir nur Schutz gegen die Zukunft bieten, es war noch keine Strafe für das Vergangene. Ich konnte mich nicht einem irdischen Gerichtshof stellen, weil ich keines Verbrechens gegen ein irdisches Gesetz schuldig war. Das Gesetz kann den Menschen nicht vor das Gericht des Gewissens stellen. Er muß dies selbst thun."
Ganz betäubt vor Ueberraschung sahen die Anwesenden den Sprecher mit verwirrten Blicken an. Jemand war hinten auf der Richterbank aufgestanden. Es war der Kanzleidirektor. Er hielt wieder inne und sagte dann ruhig:„ Mein Urteil Er streckte die Hand aus, als ob er Philipps Schulter be- ist dies offene Bekenntnis meiner Sünde und das Aufgeben rühren wollte. Dann zauderte er und setzte sich wieder. der weltlichen Vorteile, die durch das Leiden andrer erkauft worden sind."
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Meine Herren des Rats und der Keys, die Sie hier versammelt sind," fuhr Philipp fort, Sie werden glauben, einen Mann vor sich zu sehen, der in einen Abgrund springt, welcher noch dunkler ist, als der Tod. Das mag sein, wie es will. Jedenfalls haben Sie ein Recht auf Aufklärung, und ich bin da, sie zu geben. Bei dem was ich gethan habe, gehorche ich nur dem Zwange meines Gewissens. Ich bin des Amtes, dem ich bisher vorstand, nicht würdig und noch weniger des Amtes, das man mir jetzt anträgt."
Es war nicht länger möglich, an seinen Worten zu zweifeln. Er hatte gesündigt und den Lohn seiner Sünde geerntet. Dieser Lohn war groß und glänzend gewesen, aber er war entschlossen, ihm zu entsagen. Die Träume seines Ehrgeizes waren erfüllt, er hatte Wunderbares erreicht, die Welt war erobert und hatte ihm zu Füßen gelegen, und doch stand er jetzt im Begriff, auf alles dies zu verzichten. Die Ruhe des Gerichtshofes war jetzt zu einer scheuen ehrfurchtsvollen